Ist das deutsche Fernsehen besser als sein Ruf? Immer wieder gibt es Produktionen, deren Ankündigung allein aufmerken lässt. Die Verfilmung der Farce Guttenbergs (Der Minister, unlängst auf Sat.1) war so ein Fall, die vierteilige Serie Lerchenberg, die am 28. März auf ZDFneo wöchentlich läuft (22.45 Uhr) ist ein anderer, und wenn man's weiträumiger mag, kann man noch einen Film wie Leander Haußmanns Hotel Lux mit Bully Herbig von 2011 dazurechnen.
Die drei Beispiele interessieren nämlich für sich, weil sie von dem Muster abweichen, das man aus deutschem Fernsehen/Kino gewohnt ist. Normalerweise geht es bei Serien um Krimis (wenn nicht um Förster oder Ärzte), und bei Filmen um unartikulierbare, weil unausgegorene Mittelstandsprobleme (der durchschnittliche Hochschulabschlussfilm) beziehungsweise um redundante Groschenheftfantasien ("Die junge Verlegerin Svea Jerndahl muss auf die Schäreninsel Hallmaken, um dem dort lebenden, sehr guten, aber leider unzuverlässigen Autor Erik Larsson Beine zu machen: Denn seine Texte für den neuen Bildband sind längst überfällig. Doch da Erik gerade mitten in einer weiteren stürmischen Beziehungskrise mit seiner temperamentvollen Freundin Lilli steckt, schickt er seinen Freund Anders Vinter mit einer Notlüge vor...")
Das Überraschende an den drei Beispielen ist, dass sie munter auf etwas Bezug nehmen, das es wirklich gibt oder gegeben hat, die politische Realität (Der Minister), sich selbst als Fernsehsender (Lerchenberg) oder eine im Fernsehen relativ unerzählte Geschichte (Hotel Lux), und das man solche Bezüge nach Jahren mit Bergdoktoren, auf Traumschiffen oder in Cornwall einfach nicht erwartet. Die Kritik honoriert diesen – soll man wirklich sagen: Mut? – wachen Geist mit Anerkennung und Lob, was vielleicht das eigentliche Probleme bezeichnet – dass man mit dem deutschen Fernsehen immer schon zufrieden ist, wenn es sein dröges Einerlei überhaupt einmal variiert. Ekkehard Knörer hatte sich am Beispiel von Unsere Mütter, unsere Väter unlängst auf cargo-film.de intensiv gewundert, woher die konzertierte vehemente Hingerissenheit von etwas kommt, das bei allem größeren Aufwand doch nur "knapp überm filmdramaturgischen und geschichtserzählerischen Analphabetentum" bleibt.
Die Perfidie des Systems
Es geht nicht darum, mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen und der Fernsehkritik alleinige Verantwortung oder gar Schuld für etwas zuzuschieben. Aber das Bemerkenswerte an der bestenfalls öden Mittelmäßigkeit des deutschen Fernsehens ist eben auch, dass die Ausfluchten daraus so kalkulierbar sind, dass – etwas pauschal gesagt, vielleicht – alles, was abweicht, schon dafür gefeiert wird, dass es das tut. Die Logik dahinter ist, wenn man das so sagen kann, die Perfidie, die das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehsystem hervorgebracht hat: Gerade weil es aus dem Geld, das ihm im Fiktionalen zur Verfügung steht, so wenig macht, wird jede Insel, die in dem Meer des Komplettseichten auftaucht, sofort zum Naturschutzgebiet erklärt.
Man muss Lerchenberg also schon deshalb gutfinden, weil sonst die schlechtgelaunt-zynischen Verantwortlichen, gegen die so ein Projekt von jungen, zweifellos motivierten Leuten durchgesetzt worden ist (oder wie immer die Erzählung dazu lautet), ja Recht hätten, dass es sich nicht lohnte, was anderes zu machen als das, was man immer macht. Anders jedenfalls ist so ein Lob wie das des FAZ-Kritikers Michael Hanfeld nicht zu erklären: "Es ist ein Pointenfeuerwerk sondergleichen, nach einem Drehbuch von Felix Binder, Niels Holle, Vivien Hoppe, Maren Lüthje und Marc Seng, das der Koautor Binder auch mit dem richtigen Gespür für Tempo und Zwischentöne inszeniert." (Es sei denn, man kapitulierte vor seinen eigenen Ansprüchen und schwenkte auf den pragmatischen Befund ein, dass es besser einfach nicht ginge, keiner wollte und folglich auch niemand brauchte.)
Denn ein Pointenfeuerwerk müsste, sollte, könnte Lerchenberg sein – ist es aber leider nicht. Und deshalb bleibt, so sympathisch einem das alles scheinen muss, die Miniserie der jungen Filmemacher auch eine Enttäuschung. Lerchenberg ist besser als vieles andere im deutschen Fernsehen, schon allein wegen der Idee, Sascha Hehn sich selbst spielen zu lassen, wegen einiger hübscher Witze und kluger Kommentare ("Die Leute wollen das sehen" – "Warum sagen das alle? Ging da ein Memo rum?"), wegen der tollen Schauspielerin Eva Löbau als verzweifelter Redakteurin, wegen der schön gealterten architektonischen Moderne des Mainzer Sendezentrums, in dem Lerchenberg gedreht wurde.
Anstoß und Ablehnung
Aber Lerchenberg ist deshalb eben nur gut und nicht triftig beziehungsweise das, was es sein könnte. So – relativ – konsequent die karrieristische Volontärinnenfigur Judith (Cornelia Gröschel) inszeniert ist, so herbeigewünscht wirkt Karin Giegerichs Redaktionsleiterin Dr. Wolter. Die kommt nicht hinaus über das üblich schnepfige Oben im deutschen Fernsehfilm, das seine Macht gar nicht ausformulieren muss, weil es sich sicher ist, sie zu haben. Dabei müsste es doch im natürlichen Umfeld des realen Mainzer Lerchenbergs genügend Anschauungsmaterial davon geben, wie sich die Macht einer Redaktionsleiterin äußert. Etwas irritierend ist bei der Figur auch, dass sie mit Sascha Hehn Affären hat und ihn überhaupt durchboxen will, gleichzeitig aber ihrer mit der Findung eines neuen Sascha-Hehn-Formats beauftragten Redakteurin (Eva Löbau) als das große Nein gegenübersteht.
Die Enttäuschung, die Lerchenberg bedeutet, wird am anschaulichsten durch Sascha Hehn. Der ist mit seiner eingeschleppten Vita aus Softporno, Kommissars-Jugendlichem, Schwarzwaldklinik-Udo und Traumschiff-Victor eigentlich eine Entdeckung in der Wollpulli-Hornbrillen-Normalität, die er in der Miniserie performt. Und ein Ereignis sowieso, als das dieses Massiv einer durchroutinierten deutschen Fernsehgeschichte hineinragt in etwas, das ein verschmitztes Bewusstsein für eben diese Geschichte zu haben versucht.
Aber Sascha Hehn ist anders als in seiner Sascha-Hehn-Haftigkeit anscheinend nicht zu haben (oder von einem jungen Regisseur wie Felix Binder nicht zu inszenieren). Hehn spielt die meiste Zeit nämlich genau mit der Bräsigkeit, gegen die sich Lerchenberg qua Idee schon wendet. Statt sich tatsächlich über sich selbst lustig zu machen (was völlig ungefährlich wäre, weil zeitgleich mit der Lerchenberg-Idee Hehns Verrentung als Kapitän auf dem Traumschiff vermeldet wurde), kommt Hehn an die Seite von Eva Löbau wie ein reicher Onkel, der ihr gönnerhaft sein bekanntes Gesicht leiht. Für Sascha Hehn ist Lerchenberg offenbar eine reine Pro-Bono-Aktion, er weiß gar nicht, was das sein könnte – eine selbstreferentielle, ironische oder auch sarkastische Serie über die eigenen Arbeitsbedingungen –, denn zu "lustig" fällt ihm immer nur Grimassieren und Figuckchen-Machen ein.
Cornwall-Gemütlichkeit
Das Problem von Lerchenberg, das derart deutlich wird, ist ein größeres: Es gibt zu wenig Tradition, in die sich eine solche Serie stellen könnte (auf die Schnelle fielen einem allenfalls Helmut Dietls gesammelte Münchner Geschichten ein). Deshalb landet die nicht übermäßig budgetierte Serie, bei der die Teile 2 und 4 noch einmal fahriger erscheinen als die relativ geschlossen Folgen 1 und 3, immer wieder bei den Konventionen, die sie doch mit böser Lust bearbeiten müsste, also in der Cornwall-Gemütlichkeit, in der einen die Musik schon in den Arm nimmt, wenn mal Liebeskummer sein soll. Im besten Fall wäre Lerchenberg dann der Anfang von etwas – der Befreiung von dieser Gemütlichkeit.
Kann man sich über etwas lustig machen, was man selbst wieder nur reproduziert – lautet ist die fast philosophische Frage, die sich mit dem Versuch und dem Scheitern von Lerchenberg verbindet. Bis darauf eine befriedigende Antwort gegeben werden kann, klingt manche Ankündigung aus dem deutschen Fernsehen besser, als ihre Umsetzung schließlich ist.
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