Schritt B, Übung 16

Dokumentarfilm Britt Beyer begleitet in „Werden Sie Deutscher“ einen Integrationskurs in Berlin, während der Amerikaner Matt Sweetwood durchs deutsche „Beerland“ reist
Ausgabe 17/2013
Arbeit im Integrationskurs in „Werden Sie Deutscher“
Arbeit im Integrationskurs in „Werden Sie Deutscher“

Foto: Marcus Lenz

Man ist sich am Anfang von Britt Beyers Dokumentarfilm Werden Sie Deutscher nicht sicher, ob nicht eigentlich schon alles gesagt ist mit dem ersten O-Ton. Und man ist sich erst recht nicht sicher, ob das an dem Übungshörtext auf der eingelegten Lern-CD liegt: „Ich arbeite viel und komme immer sehr spät nach Hause. Am Wochenende ruhe ich mich aus. Bei schönem Wetter sitze ich im Garten und mache gar nichts. Und wenn am Abend ein guter Krimi im Fernsehen kommt, bin ich glücklich.“ Oder ob die Quintessenz von allem, was man über Deutschland wissen muss, schon in der Quellenangabe zu diesem Text steckt: „Übungssatz 3 für Integrationskurse, Hören, Schritt B, Übung 16“.

Britt Beyer hat über ein halbes Jahr einen Kurs in Berlin begleitet, den Einwanderer besuchen können, mitunter müssen, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Im Spiegel dessen, was denen, die dazugehören dürfen sollen, abverlangt und beigebracht wird, zeigt sich naheliegenderweise das, was das Dazugehören ausmacht: eine Beschreibung des Deutschseins.

An der versucht sich auch Matt Sweetwood mit dem Film Beerland, der ebenfalls in dieser Woche seinen Kinostart hat: eine Art Selbsterfahrungsversuch als Reise durch eine spezifisch deutsche Trinkkulturlandschaft. Die Kamera (Thomas Lütz, Axel Schneppat) ist daher zumeist damit beschäftigt, in Situationen, in denen der Alkoholpegel steigt (Oktoberfest, Schützenfest, Karneval), die Protagonisten trotz laufendem Zugeproste im Blick zu behalten.

Legt man nun beide Filme übereinander, um nach den Qualitäten zu suchen, die mit Deutschland von außen betrachtet assoziiert werden, dann kommt eben das Biertrinken heraus, gefolgt vom unlimitierten Rasen auf der Autobahn. Was man mit diesen Befunden anfangen kann, wenn man sich nicht nur für das Aufzählen von Klischees interessiert, deutet Beerland an. Am konsequentesten scheint den lange in Deutschland lebenden Amerikaner Sweetwood die Vielfalt von Brauereien vor allem im Fränkischen zu beeindrucken – und das aus dem rührenden, vorglobalen Anachronismus, dass eine Ware in der gegenwärtigen Welt eben nicht nur von drei, vier Großkonzernen zur Verfügung gestellt werden kann.

In diesen Momenten merkt man, was Beerland für ein Film hätte werden können, wenn sein Regisseur sich mehr getraut hätte – ihn entschiedener in Richtung solcher, nämlich ökonomischer Lesarten getrieben oder zumindest versucht hätte, seiner Differenzerfahrung mehr Bewegung zu verschaffen als das friedfertig-folkloristische Naserümpfen, aus dem der Film größtenteils besteht.

Die Harmlosigkeit von Beerland zeigt sich als Scheitern an der Form. Mit putzigen Landkarten-Grafiken zum Recherchereiseverdeutlichen, schicken Animationen von Dioramen oder alten Werbetafeln zur Erzählung kulturgeschichtlicher Exkurse (Kühlschrankerfindung) und dem Vertrauen auf das dezente Sich-anstellen des alles am Leibe seines Ichs erfahrenden amerikanischen Autors (inklusive Schlüsselbeinbruch) ruft Sweetwood eine modische Dokumentarfilmästhetik auf, die er mit seiner Geschichte nicht zu füllen vermag. Die Frage nach einer „Bierkultur“ stellt Sweetwood so allgemein, dass sie banal ist. Und den Erkundungsprozess, den die Form vorgibt, beschließt er in einem alles versöhnenden, alles beantwortenden Schlusswort, das in seiner Bravheit an den Willen zum Rausgefundenhaben erinnert, wie studentische Seminararbeiten ihn behaupten. Mancher Text im Film klingt auch so: „Schon wieder hat das Ritual des Anstoßens eine ziemlich wichtige Bedeutung.“

Britt Beyers Erkundung ist dagegen ein weitaus offenerer Versuch. Auch wenn der Kinostart von Werden Sie Deutscher sich – wie bei Beerland – nicht ästhetischen Aspekten, sondern Förderauflagen verdankt (Freitag vom 7. Februar): So einfach wie die Idee ist, einen Integrationskurs zu begleiten, so elegant gelingt es Beyer, für eine Realität vom Einwanderungsland Deutschland zu werben, die in den Debatten, auf die Thilo Sarrazin sich versteht, noch immer als Option firmiert.

Freundlicher Paternalismus

Der Film schaut auf den Apparat des Deutschlernens aus Sicht der Schüler. Und er tut das mit einem gewissen Schmunzeln, einer leicht irritierten Stulligkeit, wie sie das Unverständnis so hübsch hervorbringt. Wobei die erwachsenen Schüler sich manchmal auch mit Recht unverstanden fühlen dürfen vom freundlichen Paternalismus der Lehrer: Als während einer Übung, die darin besteht, einen anderen Kursteilnehmer vorzustellen, eine Frau über ihre Mitschülerin sagt, sie lese gerne „Thriller“, korrigiert die Lehrerin mehrfach und bestimmt in „Krimi“, bis die Schülerin fast etwas verzagt „Thriller“ haucht – weil das doch nicht falsch ist und nicht nur ein anderes Wort für „Krimi“.

Werden Sie Deutscher blickt auf alles Deutsche so, wie sich das Land im Spiegel der Fußball-WM 2006 rasch selbst erkennen wollte: entspannt. Deutschland ist hier nur ein Unterrichtsstoff – die Sprache zu sprechen, die Regeln zu verstehen, die Geschichte zu kennen, das alles wird mehr oder weniger erfolgreich verarbeitet von Menschen, denen das Sprachelernen aufgrund ihres Alters nicht mehr so leicht fällt. Nebenher zeichnet Beyers Film in Skizzen, unter welchen Umständen die Schüler leben. Dabei kommt innereuropäische Arbeitsmigration genauso vor wie das zermürbende Warten auf etwas anderes als Duldung.

Werden Sie Deutscher Britt Beyer 84 Min., zuerst in Kinos in Hamburg und Berlin Beerland Matt Sweetwood 85 Min., Stationen der Kinotour unter beerland.de

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