Eben noch waren die Gespräche wohlgemut, fast aufgekratzt. Nun, da sich der kleine, uniformierte Trupp in Bewegung setzt, herrscht Ruhe. Der Blick ist nach vorn gerichtet, kein Auge für den Nebenmann, die Schritte sind nicht eilig, aber doch entschieden, es liegt eine Spannung in der Luft – Vorfreude, Aufregung, Ungewissheit, wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Über den Asphalt donnern die Rollkoffer, hallt in kalter Vereinzelung der entschlossene Klang von Absatzschuhen. Der Weg führt vom Bahnhof in Köln-Deutz hinüber zur Messe, und dass er ein wenig wirkt wie der Gang in die Schlacht, ist vielleicht kein Zufall. Drinnen werden sie von Rekrutieren sprechen. Und von Selektion.
In Köln ist Personalmanagementmesse. Sollte man „nur“ sagen? Zukunft Personal, Europas größte, seit 12 Jahren, anfangs viel Software, heute alle Facetten von Human Resource Management, also auch Beratung und Coaching. Im Grunde ein Branchentreff, wie es Tausende gibt, eine Messe mit Hostessen, Rollkoffern, Absatzschuhen, einem Heer an Anzugträgern, das sich durch die Gänge zwischen den Ständen bewegt, hier in Halle 3.1, 2.1, 2.2. Messen sind provisorische Schaufenster, Leistungsschauen, der Aufwand soll sich lohnen, die Geschäftsfeldvermessung versprüht einen grundsätzlichen Optimismus, der sich in der Erwartung von gedeihenden Bilanzen zeigt, in denen immer größere Zahlen stehen sollen: 12.446 Fachbesucher kamen in diesem Jahr (2010 zum Vergleich: 11.837) an die Stände von 520 Ausstellern (2010: 532, hier stagnieren die Zahlen ein wenig). Sein und Schein gehen ein intensives Verhältnis ein, und weil das eine so naheliegende Wortkombination ist, muss man nicht lange warten, ehe man darauf auch im Untertitel eines Programmpunkts stößt.
Die Kölner Messe zeigt sich von dieser Erregung unbeeindruckt, auch wenn das weiße Eingangsgebäude am Südrand des Geländes frisch, neu und luftig wirkt, Schriftzug und Logo den Geschmack einer Zeit vermitteln, die zweifellos noch als Gegenwart durchgeht. Die Hallen dahinter, also 3.1 und 2.1., 2.2, wirken spürbar desillusionierender. Bulliger, abgenutzter, humorloser Beton, der einfach nur da ist, ohne eigene Ambition, und wenn der ganze Zinnober da drinnen nicht wäre, das leuchtende Bunt, die temporären Teppiche, die geschwungenen Tresen – die Hallen sähen trostlos aus. Der Kölner Messebeton sagt: „Ist mir doch egal, wie ihr euch fühlt, nächste Woche kommen die Nächsten.“
Solch eine Haltung bildet die Realität eines jeden Geschäfts ab. Aber weil die Realität allein schwer zu ertragen ist, gibt es diese Messen, die eine Begleiterzählung liefern. In den Geschichten, die auf der Zukunft Personal erzählt werden, wirkt die Arbeitswelt paradiesisch. Es geht um weiche Faktoren, um eine Form der Angestelltenzufriedenheit, für die der jeweilige Arbeitgeber sich strecken muss mit Nettigkeiten, Verständnis, forciertem Wunsch-von-den-Lippen-Ablesen. Weil auch eine Personalmanagementmesse den Eindruck des Neuen, Zeitgemäßen vermitteln muss, handeln die meisten Geschichten von vergangener Praxis, die „nicht mehr“ funktioniert, und vn zukünftigen Herausforderungen, die mit der jeweils offerierten Technologie bewältigt werden können.
Grüner Mut macht Mut
Wie jede Subkultur verfügt das Personalmanagementwesen über eine eigene Sprache. Zum Wandel sagt man etwa „Change-Prozess“, und nach einem Tag auf der Messe muss man zu dem Schluss kommen, dass das Universum der sogenannten Personaler ohne „Change-Prozess“ im Grunde nicht vorstellbar ist. Das kann natürlich auch ein Trick der Referenten sein, die keine Universitätsseminare abhalten, sondern in ihren Vorträgen eben eine Technologie oder ein konkretes Produkt durch den Exkurs ins Ratgeberhafte anpreisen wollen. Es lassen sich aber auch empirische Befunde finden: Als Ali Wichmann vom Scharlatan-Theater während seines Praxisforums ins Rund der Zuhörer fragt, wer unter den Anwesenden gerade einen „Change-Prozess“ im Unternehmen moderieren müsse, ist die Resonanz so überwältigend, dass man im Umkehrschluss, bei der Gegenprobe, zu überlegen beginnt, ob die Frau, die sich da gerade meldet, weil sie aktuell keinen „Change-Prozess“ im eigenen Haus vorweisen kann, nicht eigentlich ihren Beruf verfehlt hat.
Die Veranstaltung von Ali Wichmann trägt den Titel: Das limbische System als Adressat fortschrittlicher Personalentwicklung. Oder: grüner Hut macht Mut, und diese erratische Beschreibung, die sich selbst im Laufe der Veranstaltung nicht so richtig erklärt, ist zweifelsohne klug gewählt. In der Konkurrenz zu Foren namens Recruiting Trends 2011, Digitaler Workflow, Servicequalität mit Personaleinsatzplanung verbessern oder Mitarbeiterkompetenz systematisch ausbauen fällt man mit erratischer Sprache zwischen Konkretion („grüner Hut“) und Abstraktion („fortschrittliche Personalentwicklung“) zwangsläufig auf. Wie auch ein Theater, das sich dazu noch selbstironisch Scharlatan nennt, auffällt zwischen lauter Rednern von GmbHs, AGs und Fachhochschulen. Dabei ist, so viel Stehpartywissen haben die letzten Wirtschaftskrisen dann doch vermittelt, die Welt der Ökonomie ein Reich der Fiktionen, weshalb man den Auftritt Ali Wichmanns umgehend als die allerlogischste Konsequenz der gesamten Messe begreifen will.
Leider ist der Auftritt dann aber eher dazu geeignet, die Sache mit der Bedeutung der Fiktion für eine Wichtigtuerei von Kulturleuten zu halten, die den Wirtschaftsteil der Zeitung nicht verstehen, aber trotzdem mitreden wollen. Denn Wichmanns Performance weckt mitleidige Gefühle: Schon der Versuch, das Publikum in die ersten Reihen zu bewegen, endet unbefriedigend. Seine Kritik an Powerpoint-Präsentationen, die er mit dem Bild eines versuchten gleichzeitigen Genusses von Hör- und normalem Buch beschreibt, stößt an Grenzen in dem Moment, in dem man realisiert, dass sein Flipchart dieselbe Funktion übernimmt wie eine Powerpoint-Projektion. Vor allem aber liefert Wichmann keine Kostproben, spielt nichts vor, um zu zeigen, was Ziel seines Theaters ist: „Change-Prozesse“ in dramatische Situationen zu überführen, die – nichts anderes macht der Hamlet – im Spiel von den Mitarbeitern als Realität begriffen werden können. Das liegt daran, erklärt der Mann mit dem grünen Hut, dass der Partner kurzfristig nicht gekonnt habe.
Die Zuhörer überzeugt das nicht. Sie wandern ab, und selbst wenn man nicht Verfechter einer Hire-and-Fire-Mentalität ist, die dem Personalmanagement als deformation professionelle unterstellt werden könnte, denkt man an die stolze Tradition der Bühne und die großen Monologe, die sie hervorgebracht hat. Oder man schaut sich andere Performances an: Die Präsentation von Ulrich Jänicke und Martin Grentzer, die dialogisch für ihr Geschäft als Scandienstleister werben („2,9 Cent pro Blatt“), kann dem platonischen Dialog durchaus das Wasser reichen. Prof. Martin Kersting fackelt in seinem Exkurs unter dem Titel Hausmannskost statt gebratener Tauben: Potenzialdiagnostik in Zeiten des Personalmangels ein Feuerwerk von Problemaufriss und umgehender Bearbeitung ab.
Was den Tenor angeht, die Trends und „Themen“, so herrscht verkehrte Welt auf der Zukunft Personal. Dass „wir“ in Deutschland keinen Arbeitgebermarkt mehr haben, sondern einen Arbeitnehmermarkt, gilt als Binsenweisheit. Und so wird in Köln aus einer Perspektive auf die Arbeitswelt geblickt, die der Arbeitslosenzahlenverkündung der Nürnberger Bundesagentur entgegengesetzt ist. Vielleicht ist es ein persönlicher Fehler, ein Zeichen von Schwäche, sich mit den Zahlen aus Nürnberg zu identifizieren, wenn die Tagesschau sie vorträgt, weil man das eigene Wohlgefühl damit von einer Gesamtprosperität abhängig macht, die von diesen siebenstelligen Zahlen bedroht wird.
Das Problem der Personalmanager ist aber nicht die Arbeitslosigkeit. Für sie gibt es keine Arbeitslosen, vielmehr fehlt es an den richtigen Leuten für die Stellen als Ingenieure, IT-Fachkräfte oder Marketingspezialisten, die sie offerieren. Ausdruck dieser misslichen Lage ist der Ratschlag: „Die Perlen müssen Sie schnell fixen, weil die sich auch woanders umschauen.“ Arbeitslosenzahlen betreffen Leute, für die sich hier keiner interessiert, „männlich, jung, wenig qualifiziert“, wie es auf einem Podiumsgespräch über „Equal Pay in der Zeitarbeitsbranche“ heißt.
Der große Bagatello
Dementsprechend muss sich ein Kopf vor allem um das eigene Employer Branding gemacht werden, also um die Attraktivität des Arbeitgebers, die angeblich „immer“ wichtiger wird, weniger um soziale Fragen, holistische Denkweisen. Zeitarbeit wird folglich als Geschäftsmodell diskutiert, in das als einziges Korrektiv noch „christliche Werte“ hineinreichen – was aber auch damit zu tun haben kann, dass mit Christa Thoben eine CDU-Politikerin auf dem Podium sitzt. Und aus Sicht des Scandienstleisterduos Jänicke und Grentzer erscheint so etwas wie ein Betriebsrat nicht als Gegengewicht bei der betrieblichen Mitbestimmung. Der Betriebsrat ist hier lediglich ein Teil des „Change-Prozesses“, was die stets nur vorteilhafte Umstellung auf digitale Personalakten bedeutet. Ihn zu gewinnen sei „das gleiche“, wie den Auftraggeber zu gewinnen: Da gilt es argumentativ „Unsicherheitsketten“ zu sprengen, „Antworten zu geben“ und am Ende die Betriebsvereinbarung aufzusetzen, die eine Einführung der digitalen Personalakte erleichtert – „damit der Betriebsrat ein gutes Gefühl haben kann“.
Wo die Unterschiede zwischen den Akteuren der Arbeitswelt derart nivelliert sind, überrascht es auch nicht mehr, dass das Personalmanagement nach neuen Wegen sucht. Dr. Jörg Sander von der Beratungsfirma Detecon hat für dieses „Neue“ das Bild vom „Schwarzen Schwan“ gefunden, wie überhaupt Tiermetaphern sehr beliebt sind. Der „Schwarze Schwan“ steht für alles, was man nicht weiß, und nimmt deshalb neben Gans, Biene und Fisch einen wichtigen Platz in der von Sander vorgeschlagenen „Lernarchitektur“ zur steten Weiterbildung ein. Ein „Schwarzer Schwan“ als Mensch wäre wohl Sanders reale Angestellte, die in seinem Vortrag als „Lisa“ firmiert und so was wie die Perle des Unternehmens ist: „international orientiert, hat Kulturwissenschaft studiert und sich auf Youtube Tutorials von anderen Universitäten angeschaut“. Mit anderen Worten: „Lisa“ ist das Rolemodel jedes „Change-Prozesses“, weil sie weiß, wie Facebook funktioniert.
Es ist in diesem Setting aus Fiktionen kein Zufall, dass Figuren des Imaginären an den Ständen anzutreffen sind: Hexenmeister, putzige Maskottchen oder Zauberer wie der große Bagatello, der am Stand von Placement24 harmlose Hütchenspiele vorführt. Harmlos, weil das Austricksen des Publikums nur im Modus des Als-ob geschieht. Wie ein glücksspielender Zauberer mit einem Personaldienstleister in Zusammenhang steht, darüber kann man lange grübeln. Am Ende geht es um die Visitenkarte, die der große Bagatello statt Geldscheinen von seinen Zuschauern als Einsatz fordert. Visitenkarten sind die Währung auf der Messe, die immer auch, wenn nicht vor allen Dingen, eine Kontaktbörse ist: Auch aufwendigere alkoholfreie Cocktails werden nur im Tausch gegen Visitenkarten ausgehändigt.
Der Eindruck des Paradiesischen auf der Zukunft Personal wird zuletzt verstärkt durch die verschiedenen kleineren, im Laufe des Tages wechselnden Speiseangebote auf der Messe. Kekse, Schokolade und Gummitiere sind Standard, Schnittchen, Desserts und Currywurst gibt es auch. Ab 15 Uhr werden Kölschfässer angezapft und Weingläser rausgeräumt. Das Käferzelt unter den Ausstellern ist eindeutig die Personalbörse JobScout24. Dort werden gegen Ende des Tages Sandwiches für den Heimweg gereicht.
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