Sie schon wieder!

Tatort Fenster zum Neuköllner Hof: Der Berliner Tatort "Hitchcock und Frau Wernicke" spielt auf den Meister des Suspense an, ohne so vermessen zu sein, sich an ihm zu messen

Mal was anderes. Schon der Titel des Berliner Tatorts verrät eine Abweichung vom Muster. Während die Folgen der beliebten Krimiserie normalerweise Namen tragen, die so indifferent klingen wie Arbeitstitel von Projekten bei denen sich erstmal kein Mensch vorstellen soll, worum es dabei geht (Schussfahrt, Schlafende Hunde, Mauer des Schweigens), heißt diese Episode: Hitchcock und Frau Wernicke.

Hitchcock, weil auf Hitchcock gemacht wird: Die Folge ist eine Art reflektiertes Remake von dessen Film Das Fenster zum Hof von 1954, in dem bekanntlich James Stewart einen Fotografen spielt, der durch ein Gipsbein an seinen Sessel gefesselt ist und aus Langeweile einen Mord im gegenüberliegenden Haus beobachtet, den ihm keiner glaubt.

Und Frau Wernicke, weil im RBB-Tatort eine alte Frau die James-Stewart-Rolle übernimmt, die – ein ungewöhnlich realer Bezug zur Geschichte zum Standort des produzierenden Senders – von der Trümmerfrau Barbara Morawiecz gespielt wird. Reflektiertes Remake, weil Klaus Krämer, der für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, nicht erst versucht zu vertuschen, dass er auf Hitchcock anspielt.

Hitchcocks Stil

Der Hinweis, dass am Abend bevor Frau Wernicke der Polizei ihre Beobachtungen mitgeteilt hat, Das Fenster zum Hof im Fernsehen lief, dient im Gegenteil noch der Spannung: Womöglich hat die gute Frau ja bloß die Realität nicht vom Film unterscheiden können. Was Krämer auch nicht versucht: Hitchcocks Stil nachzuahmen. Das ist einerseits schade, weil es für uns Apologeten der reinen Lehre (Spannung, Spannung, Spannung) ein Spaß gewesen wäre, mal einen Tatort zu schauen, in dem es zugeht wie bei Hitchcock (Suspense, Suspense, Suspense). Aber vermutlich würde sich das heute ausnehmen wie ein Gang durchs Museum, wie eine Kleist-Inszenierung von Peter Stein.

Immerhin schlägt sich Hitchcock und Frau Wernicke recht wacker, was die Spannung betrifft: Man braucht tatsächlich relativ lange, um zu begreifen, wie der disparate Weinhändler Benkelmann (Hans-Jochen Wagner) sich seiner Frau entledigt hat, weil die Puzzleteile zwischen Neukölln und Portugal zusammenhanglos rumliegen. Ein bisschen schade ist, dass sich der Tatort noch mehr Spannung vergibt, indem er – wie bei Hitchcock – die Titel an den Anfang des Films setzt: Dort ist dann der Name Jenny Schily zu lesen, und der ist leider zu prominent, als dass man ihn nicht mit dem Gesicht der blonden Schauspielerin verbinden würde, die – wenn man zum ersten Mal ein Bild von Frau Benkelmann sieht – rasch als Doppelgängerin dieser im Portugiesischen identifiziert ist.

Etwas leichtfertig vergibt sich der Film mehr Thrill durch die recht unbeholfene Weise, mit der Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris Aljinovic) den verdächtigen Benkelmann mit ihrem Verdacht konfrontieren – und durch die geduldige Art, mit der der perfekte Unschuldige den Kommissaren gegenübertritt. Dafür ist die Szene, in der die Jenny-Schily-Figur in Benkelmanns Wohnung tritt und er das Lichtlöschen befiehlt, ganz hübsch. Ebenso wie der Abgang der Jenny-Schily-Figur, die sich – für unseren Geschmack eine Sekunde zu lang – unter die eine Party im Stockwerk drüber verlassende Gäste mischt.

Aber wir wollen nicht klagen: Die fast sedierte, melancholische Ruhe, mit der Ritter und Stark fern jedes machistischen Aktionismus aus diesem Tatort schauen dürfen, hat gerade in der Woche nach dem extemporierten Klamauk aus Münster etwas sehr Sympathisches. Außerdem wird Musik sparsam eingesetzt und Stark flirtet in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit still mit einer unprätentiösen Altenpflegerin (Lotte Ohm).

Sehr unrealistisch (1): Wo läuft denn heutzutage Hitchcock im Abendprogramm?

Sehr unrealistisch (2): Schauen alte Frauen Arte?

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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