Anfang Januar 1968 kam ein ungewohnt lässiger und komischer Film in die deutschen Kinos, der heute als Klassiker gilt: Zur Sache, Schätzchen. Der aber gerade deshalb häufig getrennt wahrgenommen wird von dem Werk, das die Regisseurin May Spils mit ihrem Lebensgefährten, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Werner Enke danach geschaffen hat: vier weitere Langfilme, die der Filmclub 813 in Köln vom 25. bis 28. Januar zeigt. Organisiert wurde die Reihe von Bernhard Marsch.
der Freitag: Ist das eigentlich die erste May-Spils-Retrospektive?
Bernhard Marsch: Nein, es gab vor ein paar Jahren schon mal eine Werkschau im Hamburger Metropolis-Kino. Aber unsere ist die erste komplette, denn in Hamburg fehlte der fünfte und letzte Spielfilm von Spils und Enke: Mit mir nicht, du Knallknopp.
Wieso? Ist der verschollen?
Der Film existiert, aber das Ganze ist ein trauriges Kapitel für die beiden. Es ist der Grund, warum das Werk danach abbricht. Mit mir nicht, du Knallkopp kam im März 1983 in die Kinos, wurde aber schon ein paar Tage später wieder zurückgezogen – von Werner und May. Weil sie glaubten, der Film sei nicht gut genug, haben sie alles darangesetzt, dass er nicht öffentlich wird. Das ist wie ein Trauma für die beiden. Seitdem haben sie keine Filme mehr gemacht, weil ihnen dieser vermeintlich misslungene so nachgegangen ist.
Und warum können Sie den jetzt in Köln zeigen?
Weil ich die beiden mehr oder weniger überredet habe, das einfach mal zu machen: Mit mir nicht, du Knallkopp vorzuführen. Ich bin mit den beiden befreundet, und deshalb haben sie dem Filmclub 813 zugestanden, dass der Film doch noch einmal das Licht eines Projektors erblicken darf. Ob sich das am Ende für die beiden als gelungene Unternehmung herausstellen wird oder nicht, das wird sich zeigen. Das bleibt auf jeden Fall eine Ausnahme.
Weshalb waren Spils und Enke denn so unzufrieden?
Der Film ist unter unglücklichsten Umständen entstanden. Werner hatte unter anderem einen schweren Stunt-Unfall: Er ist mit dem Fuß in die Kette eines Zehner-Tandems gekommen, bei voller Fahrt! Danach war er zwei, drei Monate außer Gefecht gesetzt. Der Film musste aber unter größtem Druck fertiggestellt werden, da der Verleiher weiterhin auf dem Starttermin beharrte. May und Werner haben das später als großen Fehler bezeichnet, sie hätten einfach sagen müssen: Wir schaffen’s nicht, wir müssen schieben. Das haben sie sich nicht getraut. Mit dem Titel sind sie noch immer unzufrieden, ein „Stressfehler“, laut Werner.
Zur Person
Bernhard Marsch, Jahrgang 1962, ist Filmemacher, Produzent, Drehbuchautor und Schauspieler. Im Jahr 1990 gehörte er zu den Gründern des „Filmclubs 813“, seit Mitte der 90er Jahre ist er Teil und Motor der „Kölner Gruppe“, eines losen Verbunds von Filmemachern
Foto: Jan Erting
Woher kennen Sie Spils und Enke?
Das erste Mal, das muss vor 20 Jahren gewesen sein, habe ich Werner getroffen, als er im Atomic Café in München seine „Sprechmännchen“ vorstellte, in einer Overheadprojektor-Show. Das war eine Art Vorläufer für das Buch Es wird böse enden, das er später mit seinen Zeichnungen gemacht hat. Ich habe dort einen Spils/Enke-Kurzfilm mit unserem mobilen 35-mm-Projektor projiiziert. 2003 ging er mit seinem Sprechmännchen-Buch auf Tour und wurde vom „Besonders Wertlos“-Festival eingeladen, das damals noch in Bochum stattfand. Die haben uns den Tipp gegeben, und so kam er auch nach Köln in den Filmclub 813, um sein Buch zu präsentieren. Dazu haben wir Nicht fummeln, Liebling!, den Nachfolger von Zur Sache, Schätzchen gezeigt. Das war eine sehr schöne Veranstaltung, fast ausverkauft, Bombenstimmung. Werner hatte den Film selbst ewig nicht mehr gesehen. Darüber haben wir uns angefreundet. Das führte unter anderem dazu, dass Werner sich später für meinen Messie-Kurzfilm Wohnhaft im Off unterhielt über das, was wir sahen.
Waren die beiden nach 1983 noch künstlerisch tätig?
May hat filmisch nichts mehr gemacht, zwar noch weiter geschrieben, aber nichts mehr veröffentlicht. Werner hat ernsthaft an einem Drehbuch gearbeitet und sich jede Menge Notizen gemacht, aber das ist alles ins Stocken geraten. Und er hat schließlich dokumentarisches Material gedreht über seine Jugend in Göttingen, woher er stammt, über seine Mutter und seine alten Freunde. Ich habe da größtenteils die Kamera gemacht. Es ist ziemlich viel entstanden, ob da jemals was draus wird, sei dahingestellt. Aber es war ein Wunsch von ihm, seinen Abschied von Göttingen filmisch aufzuarbeiten.
Welches Verhältnis zur Öffentlichkeit haben Spils und Enke denn?
Sie zeigt sich ungern. Als 2013 DVD und Blu-ray von Zur Sache, Schätzchen rauskamen, gab es auf dem Münchner Königsplatz eine große Open-Air-Veranstaltung, da war May dann auch. Sie hält sich aber lieber raus, sie habe eine Rote-Teppich-Phobie, sagte sie. Enke ist da anders, muss aber auch in Form sein, unter Leute zu gehen. Zum Beispiel in Zeigen was man liebt, dem Dokumentarfilm über die sogenannte Münchner Gruppe, da laufen sie durch Schwabing für die Kamera und erzählen.
Also leben die beiden sehr zurückgezogen.
Aus einer medialen Sicht. Mit diesem klassischen Medienrummelzeugs haben die beiden nichts am Hut. Da sind sie zurückhaltend. Der größte Auftritt, an den ich mich in den letzten Jahren erinnern kann, war die Ausstellung zu 50 Jahre Zur Sache, Schätzchen in München, in der Pasinger Fabrik. Das war ein Riesending mit Originalrequisiten, Devotionalien und Plakaten, Konrad Hirsch von Schamoni Film hatte sogar den Schneideraum von damals noch mal aufgebaut. Großer Bahnhof mit Bürgermeister. Und May und Werner. Das war sehr gelungen.
Sind die beiden für nachgeborene Filmemacher noch interessant? So, dass jüngere Autorinnen, Regisseurinnen Kontakt suchten?
Es gibt da einige Leute, die auf die beiden zugehen. Aber das sind nicht zwingend Filmemacher, eher Fans. Und zwar Fans aus verschiedenen Phasen, mit denen Kontakt gehalten wird, daraus sind auch Freundschaften entstanden, letztendlich gehöre ich ja auch dazu. Ich kenn auch teilweise den einen oder anderen. Dabei geht’s aber nicht darum, von May oder Werner was zu lernen. Das ist eine Sache der Sympathie. Eine Haltung, wie man zum Leben steht, wie man sich definiert.
Bei der Retrospektive werden die Spielfilme auf 35 mm vorgeführt. War es schwierig, die Kopien zu bekommen?
Von Zur Sache, Schätzchen gibt’s relativ viele Kopien, der lief damals ja kreuz und quer. Da hat auch Schamoni Film noch eine, die damals produziert haben. Das war übrigens eine Gemeinschaftsarbeit zwischen May und Peter Schamoni, wobei er immer als der Produzent auftrat, in Wirklichkeit war sie Koproduzentin. Von Nicht fummeln, Liebling! (1970), Hau drauf, Kleiner! (1974)und Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt (1979) gibt’s nach meinem Wissensstand jeweils nur eine Kopie. Die liegen alle bei May und Werner. Und Mit mir nicht, du Knallkopp befindet sich natürlich auch in ihrem Besitz. Der ist quasi unter Verschluss.
„Zur Sache, Schätzchen“ ist 2013 digitalisiert erschienen. Die anderen Filme aber findet man mitunter selbst bei Mitschnittdiensten oder in den Tiefen des Internets nicht.
Hau drauf, Kleiner! ist meines Wissens nie gesendet worden, das erklärt, warum der so schwer aufzutreiben ist. Mit mir nicht, du Knallkopp gab es damals dagegen auf VHS, den Verkauf konnten die beiden nicht mehr stoppen. Heute sind solche Videokassetten was für den Sammlermarkt. Es besteht aber der Plan, auch alle Filme zu digitalisieren. An Nicht fummeln, Liebling! sind die beiden gerade dran. Der kommt vielleicht noch im Laufe dieses Jahres auf DVD und Blu-ray heraus.
Um noch mal auf den Termindruck beim Kinostart von „Mit mir nicht, du Knallkopp“ zu kommen: Wie frei konnten Spils und Enke denn damals arbeiten?
Bei Mit mir nicht, du Knallkopp war, wenn ich mich richtig erinnere, Paramount der Verleiher, und das System war damals so, dass die Verleiher durch ihre Garantien in sechsstelliger Höhe quasi Koproduzenten waren. Die haben das Geld vorgestreckt in der Erwartung, das wieder einzuspielen. Zum Beispiel bei Marran Gosov, einem anderen Filmemacher aus der Münchner Gruppe, von ihm weiß ich, dass er seine drei Filme Engelchen oder Die Jungfrau von Bamberg, Bengelchen liebt kreuz und quer und Zuckerbrot und Peitsche, die zwischen 1967 und 1969 entstanden sind, im Dreierpack für die Constantin gemacht hat. Der Produzent Rob Houwer kriegte also für jeden Film eine Million D-Mark Vorschuss. Das war einerseits toll, andererseits auch eine Art Knebelvertrag: Gosov musste über drei Jahre praktisch durcharbeiten. May hat bei Zur Sache, Schätzchen mit Peter Schamoni als Produzent die Erfahrung gemacht, hinter ihm zu verschwinden. Da lag es nahe, selber zu produzieren. Und aufgrund des vorherigen Erfolgs war es leicht, einen Verleih zu finden.
Spils und Enke fangen ja zur Zeit des Neuen Deutschen Films an, haben aber mit dem Ernst von Wenders, Kluge, Fassbinder nichts zu schaffen. Wo gehören die beiden denn hin in der Filmlandschaft?
Es gab natürlich Oberhausen und das Manifest und den Neuen Deutschen Film. Aber was in den Rückblicken vielleicht verschwindet: Es gab damals auch schon wieder eine Gegenbewegung zu Oberhausen. Den Oberhausenern war alles so ernst. Aber May und Werner wollten Komödien machen, die Leichtigkeit der französischen Nouvelle-Vague-Filme übernehmen, wo Leben und Kino sich durchdringen. Eine Parallelbewegung war die lose, erst im Nachhinein so genannte Münchner Gruppe um Klaus Lemke und Rudolf Thome, Marran Gosov, Martin Müller, den Drehbuchautor Max Zihlmann. Da gehören Spils und Enke hin. Die haben ähnlich gedacht, hatten eine ähnliche Haltung zum Kino, einen ähnlichen Humor. Die wollten unterhalten und ihre Ideen verwirklichen.
Wie vielfältig München doch damals war in Sachen Film.
Das ging ja noch weiter. Werner erzählt gerne, dass er mit dem späteren Kaufhausbrandstifter Horst Söhnlein in denselben Kneipen saß. Zusammen spielten sie in Lemkes Kurzfilm Kleine Front (1965/66). Man wusste voneinander, saß Rücken an Rücken. Bei Nicht fummeln, Liebling! gibt es neben der Liebesgeschichte zwischen Werner und Gila von Weitershausen einen Bezug zur Frankfurter Kaufhausbrandstiftung. Lemke hat kurz danach mit WDR-Geld Brandstifter gemacht, der handelte auch davon. Das war damals ein Thema.
Haben Sie persönlich einen Favoriten im Werk der beiden?
Eigentlich Nicht fummeln, Liebling!, der ist irgendwie reflektierter. Dann habe ich aber wieder eine Phase, in der ich Zur Sache, Schätzchen lieber mag. Wobei mir Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt auch gut gefällt. Die Filme haben sich ja verändert im Laufe der Zeit. Zur Sache war aus der Hüfte geschossen. Bei Hau drauf, Kleiner! merkt man den Wandel, bei Schwarzenbeck und Knallkopp steht dann nicht mehr so sehr der Sprachwitz im Vordergrund, sondern der Slapstick. Werner nennt das „optische Gags“. Jacques Tati war eines seiner großen Vorbilder.
Werden die beiden in Köln sein?
Eher unwahrscheinlich, aber wer weiß? Sie sind nicht mehr sehr reiselustig. Aber vielleicht kommt Werner ja doch. Das wird sich dann kurzfristig zeigen.
Info
Die Retrospektive May Spils/Werner Enke findet vom 25. bis 28. Januar im Kölner Filmclub 813 statt
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