Nur ein Spaßvogel könnte behaupten, dem ersten Schweizer Tatort seit 2002 und dem zweiten Schweizer Kommissar überhaupt mit brennender Ungeduld entgegengefiebert zu haben. Denn eigentlich sollte Reto Flückiger aka Stefan Gubser in Luzern die Nachfolge des unvergessenen Berner Ermittlers Laszlo I. Kish als Philipp von Burg in Bern schon im April antreten – die Folge wurde aber verschoben, es musste nachgedreht werden, und dass bis heute nicht klar ist, aus welchem Grund genau, macht die Lage, in der Flückiger sich nun vom international sidekick Frau Blums am Bodensee emanzipiert hat, nur desolater.
Ob Wunschdenken nun wegen mieser schauspielerischer Leistungen von Gubsers Partnerin Sofia Milos, deren Scientology-Angehörigkeit oder gar wegen Gerüchten um eine missgeliebte Darstellung der rechten Schweizer Politikszene – alles wurscht, herausgekommen ist doch nur unterstes Mittelmaß. Nils-Morten Osburgs Buch bindet einen bunten Strauß aus Verdächtigen an der Politikerentführung und/oder der Strizzi-Ertränkung quer durch alle gesellschaftlichen Problembezirke zusammen – gewöhnliche Verbrecher wie flirty Widmer (Andreas Matti), verlassene Politikerehefrauen wie Natalie Kreuzer (Stephanie Japp), vom großen Coup träumende Privatdetektive wie Mathias Wagner (Christof Gaugler), tugendbewegte Rechtspopulisten wie Old Ebnöter (Peter Wyssbrod), dessen Sohn passenderweise noch wie ein Mann aussieht, den man sich als Saalschutz engagieren kann, osteuropäisch-mafiöses Schwerverbrechertum in Gestalt des Radu "Der Schlächter von – wenn wir das richtig verstanden haben – Craiova" Pankiewicz (Ronnie Paul) und seines Gangsterflittchens Margrit Scherrer (Rebecca Burkhardt). Und der Witz der Spannungsverteilung ist dann, dass am Ende alle irgendwie mit drinhängen. Die Erklärungen retten nicht viel: Dass sich ein Luzerner Politiker zur Popularitätssteigerung bei Regierungsratswahlen entführen lässt, ist, da hat Flückiger schon recht, "krank".
Die Regie von Markus Imboden lässt sich zu Beginn Zeit und gewinnt am Ende durch ein, last couple standing, dickes Geballer in Luzerner Mietshausumgebung zumindest an Action. Wenn man die Augen schließt, könnte man sich ob der Musik (Balz Bachmann) in einem beliebigen Fernsehfilm wähnen, countrysierende Fendermucke, die hintenraus zumeist sonnig bleibt, so stellt man sich E-Gitarren-Entspannung auf der Alm vor. Ist aber irgendwie undifferenziert. Und die Schauspieler?
Ein Schweiz-DDR-Vergleich
Der große Jean-Pierre Cornu hat seinen Auftritt als Regierungsrat Eugen Mattmann. Andrea Zogg, der unter Philipp von Burg schon diente, gibt Retos Kollegen Ernst "Schmidi" Schmidinger, und sieht beeindruckenderweise mittlerweile so aus wie die gesündere Version des barocken Gérard Depardieu. Gubsern, wie in ländlichen Region etwa des Thüringischen gesagt würde, kennt man ja schon, mag man schon auch, aber dann ist da Sofia Milos. Das Presseheft beschreibt diese Besetzung als Coup ("Das Schweizer Fernsehen konnte Sofia Milos mit der einmaligen Gastrolle als Abby Lanning in 'Tatort: Wunschdenken' zum ersten Mal für eine Rolle in einem Schweizer Film gewinnen"), dabei ist er das Übel dieser Folge.
Er illustriert den Minderwertigkeitskomplex der Schweiz, die sich, darin der DDR nicht unähnlich, freut, wenn es eine der irgendwie Ihren in der weiten Welt geschafft hat. Sofia Milos war nicht nur Model, sondern spielt mittlerweile in der beliebtem Hardcore-Kriminaltechnik-Krimi CSI: Miami mit, weswegen ihr erstes Wort hier "postmortal" ist und sie dem toten Kreuzer (der auf den Bildern aussieht wie das letzte Modell des jüngst verstorbenen Malers Lucian Freud) sämtliche Brüche ansieht, die zu ermitteln die ehrpusselig-ehrliche Kriminaltechnikerinnenhaut Yvonne Veitli (Sabrina Schneebeli) wohl Tage bräuchte.
Das Faszinierende an Sofia Milos ist, dass man ihrer Schönheit die Arbeit am Superschauspielerkörper ansieht, den ganzen postnational-diffusen Druck, dem sich aussetzt, wer es in der großen, weiten Welt schaffen will. Zurück ins Schweizer Fernsehen kehrt sie dann als Fremdkörper ihrer selbst, als entindividualisiertes, globalschönes Opfer der Projektionen, zu deren Erfüllung sie im Große-Weite-Welt-Fernsehen beitragen muss; gemachte Nase, gemachte Brüste, kaum Falten. Und weil solche Attribute hart erarbeitet sind, ist Abby Lanning kein Kind von Traurigkeit und steigt mit dem verduzten Flückiger, den wir an der Seite von Frau Blum noch als Womanizer alter Manier erleben durften, in die Kiste, um am Morgen danach auf ihre Unabhängigkeit zu pochen. Diese Unwucht zwischen krasser Projektion und einem immer noch leutseligen Charmeurism kriegt der Tatort nicht ausbalanciert, und so gehen alle Blicke, jedes Zwinkern und noch das rührende Mit-der-eigenen-Jacke-Zudecken ins Leere.
Wie der Hase läuft
Ein anderes Problem des Tatort ist die Nachsynchronisation für den untertitellesefaulen deutschen Fernsehzuschauer. Es lässt die Folge billig wirken wie einen Kung-Fu-Film aus den siebziger Jahren auf RTL2, weil da immer ein Abstand ist zwischen den Lippen und den Worten, und es reduziert das Schweizerische am Schweizer Tatort auf putzige Helvetismen wie "Dem sagt man Gedankenübertragung" oder "Wenn sie nicht sofort umparkieren, gibt es eine Buße". Dabei ist es gerade die Putzigkeit, die der Schweiz Unrecht tut, wenn nicht Gewalt an-. Kein erwachsenes Land dieser Erde will dauernd von dem größeren Nachbarland, das der Meinung ist, zu wissen, wie der Hase läuft, weil es dialektale Verwandschaften gibt, über den Kopf gestreichelt werden. Die Schweiz hat doch auch Gefühle, und die kommen bestimmt besser zum Ausdruck, wenn sie sich nicht laufend einem mehrheitsdeutschen Hochsprachensnobismus unterwerfen muss, der dann trotzdem noch über sie schmunzelt.
Wer träumt davon nicht: "Einmal mitten in die 12 und dann mit vollen Säcken nach Hause."
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