Sinn und Format

Im Kino Seit 18 Jahren erklären die "Simpsons" die Welt als Fernsehserie. Nun kommt ein Film dazu

"Die Wiederholung", stellt Bart Simpson schon am Ende der 7. Folge der 5. Staffel der Zeichentrickserie fest, "die Wiederholung ist mein Job." Die Simpsons-Folge handelt unter anderem davon, wie die gesamte Familie, also Vater Homer, Mutter Marge sowie die Kinder Bart, Lisa und Maggie, zur Lesung eines Motivationstrainers gehen, und wie Bart, auf die Bühne zitiert, die Show des Motivationstrainers durch respektlose Sprüche zerstört, was den professionell toleranten Motivationstrainer von gnadenloser Affirmation nicht abhält. Er rät dem versammelten Publikum auf den Jungen zu hören, indem er dessen Frechheit zum Leitsatz erhebt: "Tu, was du willst." Bart wird prominent, es beginnt eine Karriere als "Tu-was-du-willst"-Junge, zu der etwa ein Auftritt in der Fernseh-Show des von ihm bewunderten Lokalstars Krusty, der Clown gehört. Allerdings lernt Bart rasch auch die Schattenseite seines Ruhms fürchten. Zum einen halten sich die restlichen Bewohner Springfields an seine Maßgabe und tun, was sie wollen. Was wiederum Bart vor Augen führt, dass Provokation nur dann ein Profilierung versprechender Lebensentwurf ist, wenn nicht alle ihm folgen beziehungsweise wenn es die anderen gibt, gegen die Provokation sich richten kann. Zum anderen ist er reduziert auf einen Satz, eine Erkenntnis, die in der eingangs zitierten Aussage gereift ist, die Verzweiflung und Sicherheit zugleich bedeutet. Denn der Witz der Serie, der in dieser Folge zum Witz gemacht wird - alle Figuren mit typischen Aussprüchen tätigen diese Aussprüche, von Homers "Neinn", über Mister Burns´ "Ausgezeichnet" bis zu Nelsons "Ha, Ha" -, besteht ja eben in der Wiederholung.

Die Simpsons wiederholen sich seit 18 Jahren und über 400 Episoden, wobei Wiederholung das Spiel von Kontinuität und Varianz meint, das eine Serie als solche erst erkennbar macht. Zumindest für das Feuilleton sind die Simpsons im Laufe dieser Zeit zu etwas geworden, das mit dem Alltag des Fernsehens nicht mehr viel zu tun hat, wiewohl es den Alltag des Fernsehens bestimmt. In Deutschland überträgt seit geraumer Zeit Pro7 die Folgen, nachdem das ursprünglich die Rechte besitzende ZDF sich zurückzogen hatte aus Enttäuschung über den mangelnden Erfolg zu Beginn. Kein Umstand zeigt besser, wie sehr das Serienformat auf Dauer angewiesen ist; mittlerweile ist Pro7 dazu übergegangen, am Vorabend gleich zwei Folgen hintereinander zu programmieren. Nicht selten handelt es sich dabei um Wiederholungen von eigentlich sattsam bekannten Episoden, und dennoch begleitet noch jedes Mal ein Schrecken das Ende des Abspanns und den gleichzeitigen Beginn der Pseudo-Wissenssendung Galileo, der vergleichbar ist mit dem Erwachen aus der Nacht. Galileo ist der bisweilen unerträgliche, ununterscheidbare Alltag des Fernsehens, die Simpsons dagegen dessen Traum.

Es ist deshalb nicht verkehrt, die Serie als das "kompletteste, postmoderne Kunstwerk" (Diedrich Diederichsen) zu begreifen, als Beweis dafür und gegen die Ressentiments von kulturbesserwisserischen Fernsehverächtern, dass große Kunst sich nur neue Medien sucht, und das Medium der neunziger Jahre eben die Fernsehserie ist. Von den anfänglich gängigen Serienformen, die wie Eine schrecklich nette Familie oder auch Alf ihre Mitte im fernsehzentrierten Wohnzimmer der amerikanischen Einfamilienhaus-Familie haben und in denen etwa versöhnliche Geschichten davon erzählt wurden, wie Bart und Homer zu Weihnachten bei einem Hunderennen den lausigen, verstoßenen Rennhund Knecht Ruprecht aufnehmen, haben sich die Simpsons schnell emanzipiert.

Die Serie ist zu einem Welterklärungsmodell geworden, das ein Feld unendlichen Anspielungsreichtums eröffnet und zahlloser Cameos berühmter Person (bis hin zu dem öffentlichkeitsscheuen Autor Thomas Pynchon, der seiner Figur die Stimme lieh, die eine Papiertüte über dem Kopf trug); das über ein Arsenal von mehr als zwei Dutzend Figuren verfügt, die allesamt ein beredtes Eigenleben haben; das die Mythen der Populärkultur auseinander nimmt und zugleich mittels aberwitziger Wendungen in den Rahmen der halbstündigen Episode integriert. Zum einen ist das fiktive Springfield Modell einer Wirklichkeit, wenn etwa die engagierte und wissbegierige Lisa entdeckt, dass der verehrte Stadtgründer Jebediah Springfield ein recht übler Zeitgenosse war. Zum anderen ist die Stadt, von der - ein running gag - keiner weiß, in welchem Bundesstaat sie liegt, im Laufe der Jahre Teil der Wirklichkeit geworden. Ausgerechnet George Bush Sr. - der einmal geäußert hatte, die amerikanische Familie stelle er sich nicht wie die Simpsons vor - wird zu Homers Nachbarn und ein erbitterter Krieg beginnt, der mit dem Auszug der Bushs endet. Der nächste Mieter heißt Gerald Ford und schaut mit Homer zusammen Baseball.

Politisch sind die Simpsons in einem Sinne, in dem gute Kunst politisch ist: als gute Kunst. Wie eine amerikanische Mentalitätsgeschichte verwalten sie das Erbe der 68er, als deren Angehöriger ihr Schöpfer Matt Groening nicht nur ob der zahlreichen Bewusstseins erweiternden Trips und Halluzinationen erkennbar ist. Bei Homer als Sohn eines Rednecks und einer nur selten auftauchenden Mutter, die einer dem "Weather Underground" nachvollzogenen Terroristengruppe angehört, ist der Aufbruch der späten sechziger Jahre in die platte Konsum- und Spaßfreudigkeit eines couch potatoes regrediert, für den die schlimmste Zeit des Jahres der Sommer ist, wenn alle Fernsehsender nur Wiederholungen zeigen. Bei Marge hat sich der ethische Anspruch der 68er zu moralinsaurer Zwanghaftigkeit verfestigt, mit der sie bei den Stadtversammlungen die restlichen Bewohner Springfields nervt und ansonsten die Familie.

Das ist ein Bruchstück des Universums, das Matt Groening mit namenlosen Schreibern und Zeichnern über 18 Jahre geformt hat. Daraus erklärt sich auch, warum hier so wenig von dem Film die Rede ist, der seit dieser Woche in den Kinos läuft. Es braucht diesen Film eigentlich nicht. Volker Schlöndorff hatte sich kürzlich über die vorgefertigten Verwertungsketten zwischen Kino, Fernsehen und DVD mokiert (und bekam von der Produktionsgesellschaft Constantin prompt die Regie für Die Päpstin entzogen). So drastisch darf man den Fall von Die Simpsons - Der Film nicht sehen, obwohl die medienkritische Serie sich aufs Geldverdienen via Merchandising immer gut verstanden hat. Die Tatsache, dass der Film erst jetzt erscheint, spricht immerhin dafür, darin auch eine künstlerische Herausforderung zu sehen; zum Geldverdienen wäre schon viel früher Zeit gewesen.

So ist das Hauptproblem des Films die Übersetzung des Serienformats auf die große Leinwand. Die Rahmung durch den immergleichen und doch so trickreich unterschiedlichen Vorspann (allein das Spiel mit der finalen Szene, in der sich die Familie in unendlichen Variationen vor dem Fernseher versammelt, böte Stoff für ebenso unendliche kunstphilosophische Abhandlungen) wollten die Macher nicht ganz aufgeben, genauso wie sie von der immanenten Distanz zum eigenen Gemachtsein nicht lassen wollten: Der Kinozuschauer sieht die Simpsons im Kino sitzen und die der Serie eigenen Zeichentrickfiguren "Itchy und Scratchy" (noch so ein unerschöpflicher Mikrokosmos) anschauen, was Homer mit der Beschwerde kommentiert, warum er Geld für etwas ausgeben soll, das er im Fernsehen umsonst bekommt.

Am filmischsten wirkt die Film bezeichnenderweise ob der Musik (Hans Zimmer), die zwar das Motiv der Eingangsmelodie variiert, dennoch aber in den Begleitbrei driftet, der zur Konfektionsware im Kino dazugehört. Die Geschichte selbst - Springfield verschwindet wegen einer von Homer verursachten Umweltkatastrophe erst unter einer Isolationsglocke und soll später auf Betreiben des Umweltschützers Russ Cargill und auf Geheiß des Präsidenten Arnold Schwarzenegger (der sich nicht selbst spricht) ganz von der Landkarte verschwinden - hält das Maß zwischen der Potenzierung, die das Kino verlangt, und dem Bezug, den die Serie stiftet.

So ist der Film letztlich nur ein weiterer, überlanger Teil der Serie, der er nichts Wesentliches hinzufügt. Das liegt einerseits daran, dass die Serie selbst kleine Filme produziert, in der ob des Zeichentricks die großen Themen wie Weltenrettung - wie jetzt im Film - keine Frage des Aufwands sind. Andererseits hat die Stagnation oder positiv formuliert: die Verlässlichkeit des Humors seinen Grund darin, dass das weite Land von Springfield im Prinzip vermessen ist. Die zutiefst beglückenden Effekte der mittneunziger Jahre, als die Serie die Größe ihres Formats erkannt hatte und spielend immer neue Territorien des Witzes an der Wirklichkeit wie an der Künstlichkeit entdeckte, stellen sich heute auch bei den neuen Folgen im Fernsehen nicht mehr ein. Die Simpsons schaut man nunmehr wie die Tagesschau. Deshalb bleiben sie unverzichtbar. Im Fernsehen, denn die Wiederholung ist ihr Job.


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