SOKO Bonn

Heimatland Mit „Deutschland 83“ kommt eine ambitionierte Serie ins Fernsehen. Ist sie so gut wie die Erfolgsformate aus den USA?
Ausgabe 47/2015

Schweppenstette ist eigentlich nicht schlecht. Ein auffälliger Name, zumal für einen Stasi-Mann, wo Film und Fernsehen Stasi-Männer doch immer zur Unauffälligkeit verdammen. Schon weil sie Geheimdienstleute sind, aber auch weil Stasi-Männer nicht als Sympathieträger taugen, denen die Sonne aus dem Namen scheint. Stasi-Männer heißen Grubitz (wie Ulrich Tukur in Das Leben der Anderen, wo der sympathische Stasi-Mann von Ulrich Mühe es immerhin zu „Wiesler“ gebracht hat), sie heißen Hull (wie Martin Wuttkes würstchenbratender RAF-Betreuer in Die Stille nach dem Schuss), sie heißen Kupfer (wie die linientreue Familie in Weissensee), kurz, sie heißen, wie von Thomas Brussig in Helden wie wir schon früh satirisch zugespitzt: Uhltzscht.

Nun müssen Figuren keine kapriziösen Namen tragen, um sich einen zu machen. Omar Little, Hank Schrader oder Peggy Olson sind keine Namen, die besonders schön oder selten wären. Sie bedeuten einer ziemlich großen und relativ internationalen Gemeinde von Zuschauern aber etwas, weil sich mit ihrer Nennung, wie von Proust an der Madeleine beschrieben, reiche Erinnerungen an markante Charaktere identifizieren lassen. Diese Form von Vertrautheit hat das serielle Erzählen über mehrere Episoden und Staffeln, hat das Fernsehen, das zu einem nach Hause kommt wie Freunde und Familie, dem abendfüllenden Spielfilm voraus; selbst wenn man für Letzteren kein Kino aufsuchen, sich nicht nach draußen begeben muss.

Die Vertrautheit geht so weit, dass, wer Breaking Bad gesehen hat, sich auch zwei Jahre nach dem Ende der Serie noch für einen Moment fragen wird, wie sich Todd als Aufklärungspilot in Steven Spielbergs nächste Woche startenden Kalter-Kriegs-Spionage-Film Bridge of Spies verlaufen konnte. Dabei war der brutale Todd mit seinem Nazi-Onkel, die bislang größte Rolle des Schauspielers Jesse Plemons, eine Nebenfigur, die erst in der fünften Staffel von Breaking Bad in Erscheinung trat.

Es ist selbstverständlich ungerecht, von den Höhen eines Klassikers wie Breaking Bad hinabzuschauen auf die ersten neuen Versuche, die hierzulande im Serienformat unternommen werden. Zugleich hat aber erst ein Phänomen wie Breaking Bad, in dem alles verdichtet ist, was die serielle Erzählung vermag, das Phantasma einer hier produzierten, ebenbürtigen Serie geschaffen. Im Angesicht des Verbrechens von Dominik Graf und Rolf Basedow war 2010 in diesem Sinne zu früh und konnte von der ganzen Quotenmemmigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schön unentschlossen programmiert werden.

DDR plus BRD

Vor diesem fehlenden Selbstbewusstsein wären heutige Serienerzählungen auch nicht gefeit. Es ist aber – etwa durch Streamingdienste, bei denen man sich aktiv dagegen entscheiden muss, dass in 15, 14, 13 Sekunden die nächste Folge der gerade geguckten Serie anfängt – beim Fernsehverhalten und Inhaltezugang vieles in Bewegung geraten; der Serien-Boom äußert sich bezeichnenderweise mittlerweile als Sorge vor der Überproduktion.

In dieser Zeit geht es hierzulande nun überhaupt einmal los. Am 26. November startet Deutschland 83 auf RTL, eine achtteilige „Event-Serie“ (Selbstbeschreibung), die, natürlich nicht, die Erwartung an ein „deutsches Breaking Bad“ erfüllen wird (schon weil diese Erwartung eine Fiktion ist). Die es aber recht erfolgreich verstanden hat, sich aufzuhübschen mit Geschichten, die sich erzählen lassen, bevor die erste Folge gelaufen ist. So waren die ersten beiden Episoden in einem Sonderprogramm auf der Berlinale zu sehen – ein Anlass, zu dem der Verkauf der amerikanischen Rechte als Premiere vermeldet werden konnte: „Als erster deutscher TV-Serie überhaupt gelingt Deutschland 83 der Sprung ins amerikanische TV-Programm“, hieß es in der Pressemitteilung von Nico Hofmanns produzierender UFA Fiction.

Zum Spin fürs deutsche Marketing gehörte zudem die Exponierung der „Head-Autorin“ Anna Winger als einer Amerikanerin, die gemeinsam mit ihrem Mann Jörg (neben Hofmann und Sebastian Werninger als Produzent kreditiert) Deutschland 83 erfunden hat. Amerikanische Erzählskills plus deutsches Produzentenhandwerk – daran lässt sich Begeisterung hochrechnen. „Deutschland 83 gelingt mit Tempo, (Dialog-)Witz und sogar Action der Spagat zwischen Konventionalität und Anspruch“, schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung nach dem Berlinale-Screening.

Verkaufstechnisch (außer in die USA unter anderem auch nach Frankreich, Schweden, Norwegen oder Russland) ist Deutschland 83 geschickt entworfen: Die Geschichte eines Stasi-Agenten, der in der Hochzeit der atomaren Aufrüstung bei einem Bundeswehrgeneral in Bonn eingeschleust wird, verschafft die Möglichkeit, krustige DDR-Schreibtische vorzuzeigen und gleichzeitig an fetzige BRD-Retrogefühle zu appellieren, dazu verspricht der Spion Spannung und der politische Konflikt Weltniveau.

Erzählerisch erscheint diese Konstruktion mindestens ebenso interessant, bietet die Ausgangsidee vom verdeckten Spion doch einen Raum, der in den über vier Stunden Sendezeit originell gefüllt werden könnte. Ein Mensch, der wie Martin Rauch/Moritz Stamm (Jonas Nay) mit zwei Identitäten und also mindestens einer Lüge lebt, ist die ideale Erzählmaschine, weil er sich dauernd rechtfertigen muss – ein Diener zweier Herren, wie Goldonis Theaterstück aus dem 18. Jahrhundert heißt.

Leider nur macht das Drehbuch zu Deutschland 83 von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch beziehungsweise: es sich viel zu einfach. Wenn Anna Winger, wie die Legende vermitteln will, aufgrund ihrer Herkunft automatisch mit besseren Fähigkeiten zum Erzählen gesegnet war, dann hat sich dieser Zauber in der Mühe der deutschen Ebene verloren. Deutschland 83 wird zusammengehalten vom lausigen „Ich muss los“-Aktionismus, mit dem sich hiesige Drehbücher aus Situationen zu befreien versuchen, in die sie sich selbst gebracht haben.

In Folge zwei etwa soll bei einer Tagung ein NATO-Mitarbeiter per Wanze abgehört werden. Der Spion hat die Wanze zuvor angebracht, dann kommt es zu einer Planänderung, weil ein General das Hotelzimmer mit dem Blick auf den Garten beansprucht. Schon aus dieser kanonischen Situation ließe sich mit Lust am Reden und Wissen um die Konventionen eine ganze Folge erzählen, also wie die Vorbereitung des Spions futsch ist und er bei laufendem Betrieb die Wanze umpositionieren muss. Aber auch, wie sich Hierarchie zurechtrangelt, wie ein General über einem NATO-Mitarbeiter steht. Deutschland 83 macht daraus: Der Spion befestigt die Wanze mit ein wenig Schweiß, aber ohne größere Probleme im anderen Zimmer, und der NATO-Mitarbeiter begründet brav seinen Verzicht: „Ich guck eh nie raus.“

Ein Walkman

So geht es die ganze Zeit. Und so verpasst Deutschland 83 das, wozu es doch eigentlich da sein sollte: das epische Erzählen. Die Serie nimmt die Regeln des Genres nicht ernst (für die Abwesenheiten des Spions gute Erklärungen, für die Planänderungen interessante Konstruktionen zu finden) oder, schlimmer, sie kennt diese Regeln gar nicht. Wenn man sich einmal anschaut, wie in der ersten Staffel der Spionageserie The Americans (Freitag 13/2014) eine gefährdete Informantin geschützt wird (die Gegenseite intrigiert mit wiederum erzählerischem Aufwand ein Szenario zurecht, das ihren Vorgesetzten als Maulwurf erscheinen lässt) und wie sinn- und folgenlos Deutschland 83 eine NATO-Mitarbeiter-Sekretärin beerdigt, die dem Spion (und der Geschichte) hätte dienlich sein können – dann weiß man, dass die beiden Serien nichts miteinander zu tun haben.

Deutschland 83 mag hübsch ausschauen, mehrfach einen Walkman ins Bild halten, altes Fernsehmaterial zitieren und bekannte Pop-Hits spielen (Nena, Billy Idol, Tears for Fears). Alles andere ist wie bei SOKO Leipzig, wo Jörg Winger sonst arbeitet: Es passiert zu viel, es ist immer hell, es gibt kein Gefühl für Raum und Zeit und die Charaktere entwickeln sich nicht. Jonas Nay als Protagonist ist der hübsche Männerkörper aus dem Vorspann, auf den sich historisches Footage projizieren lässt, Ludwig Trepte ein dauererregter Generalssohn, bei dem es egal ist, ob er Uniform oder Friedensbewegungstuch trägt.

Anders gesagt: Schweppenstette, der Stasi-Mann, den Sylvester Groth spielt, ist kein Name, den Sie sich merken werden.

Info

Deutschland 83 startet am 26. November um 20.15 Uhr auf RTL

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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