Sonst passt du nicht zu uns

Tatort Das Elend goes on: Mit "Eine Handvoll Paradies" ist auch der zweite Fall mit dem Neusaarbrücker Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) eine Qual für Über 17-Jährige

Kappl und Deininger (aka Maximilian Brückner und Gregor Weber) sind umsonst gestorben. Oder anders gesagt: Der missratene Auftakt zum neuen Saarbrücker Tatort war nicht missraten, sondern Absicht. Das streicht der zweite neue Saarbrücker Tatort dick heraus – der ist nämlich genauso bescheuert. Mag sein, dass man vom Sonntagabend nicht zu viel erwarten sollte, dass die Rübe runterfährt von sinnlosen Überstunden, von Dauerkinderbetreuung, Samstagabendexzessen oder auch nur der vielen frischen Luft bei diesem tollen Wetter draußen, dass Sonntagabendfernsehen also fetter Dämmer ist, Präschlaf, und die Grenzen sind fließend. Aber irgendetwas weigert sich in uns hartnäckig, selbst mit dem Argument von laziester Lazyness vor solchem Unsinn zu kapitulieren. Dann doch lieber Tapete angucken, Aquarium oder den Testbild-Bildschirmschoner.

Schon der Titel ist so doof, auch wenn sich da bestimmt jemand findet, der "Ironie" quäkt oder den Schwachsinn intendiert wissen will: Eine Handvoll Paradies – was soll das sein? Klingt dämlich, und selbst wenn man weiß, dass "Paradies" der Name einer Droge sein soll, bleibt das Bild schief, weil man Drogenpulver nicht in Handvoll misst, sondern in Gramm oder Kilogramm oder Tütchen oder.

Ein solcher Titel aber passt, weil es im Tatort Saarbrücken um einen Angriff auf den Sinn geht wie wir ihn kannten, obwohl man doch an die Verstandesbegabung der ausführenden Menschen glaubt und ab und an schamvoll denkt, es läge an einem selbst, dass man nur diesen craziest-hottesten Dadaismus nicht versteht, dieses Humorverständnis, das einfach alles kaputtkloppt, was man an Referenzsystemen für Witze bräuchte, und dass also der neue Saarbrücker Tatort nicht ernsthaft so doof gewollt ist, dass es nicht angehen kann, dass Geschmack, Geschichte, Bildung, Wissen in so eklatanter Weise fehlen, dass so ein Kram als Film gemeint ist. Aber: "Doch, das geht" (Gerhard Polt).

Otto Waalkes

Wie kann man Drehbücher schreiben (Felice Götze), die anfangen mit dem Hammerdialog: "Was is'n los?" – "Nix is' los"? Wie kann man eine dicke Rockerfeier inszenieren (Regie: Hannu Salonen), auf der dann fünf Menschen ums Lagerfeuer sitzen, und der Big Boss (Claude Oliver Rudolph) die Lady vom Big Boss so zupackend küsst, wie man sich das in hochmachoid-kryptopornösen Kontexten vorstellt. "Eine Handvoll Paradies" ist wannabe, ein irre lustige Krimikomödie, bei der die Witze leider alle so 'n Bart haben.

Dass ein Klippschulhumor, der sich die Schenkel kloppt, weil ein putziger Mopedfahrerkommissar durchs Spalier von lauter toughen Rockerjungs fährt (von denen für ein paar Szenen dann auch mal mehr als fünf gecastet worden, die jeweils versuchen, sich ihre Rollen die nicht anmerken zu lassen), allen Ernstes im Jahr 2013 als Unterhaltung durchgehen soll, als Wagnis, als Ambition – man fasst es nicht. Nicht zufällig erinnert der drollige Stellbrink (Devid Striesow) bisweilen an Otto Waalkes: "Ich hab Ihnen eine ungute Neuigkeit mitzuteilen."

Ungute? Das ist aber ein lustiger Mensch, der so ein komisches Wort verwendet, "ungute", haha, nicht "schlecht" oder so, nein, "ungut". Stellbrink soll ein reiner Tor sein, der am Ende mit einem Supertrick die Rocker in Schach hält, um das Leben von Taya (Young-Shin Kim) und IM Tim (Christoph Metzelder nach dem Besuch der Muckibude: Tim Olrik Stöneberg). In Eine Handvoll Paradies funktioniert alles nur, weil keiner geistig über die 5. Klasse je hinausgekommen ist – watch out die Kuttenübergabe am Teich.

Nicole Dubois

Dummerweise kommt sich der Tatort Saarbrücken dabei ungeheuer neunmalklug vor, was vielleicht das deutlichste Zeichen der Biederkeit ist, die hier mal auf die Kacke hauen will: Gepaart wird der Humor für Leute, die noch nie einen Witz gehört haben, mit einem Vorzeigestolz, was etwa alles über die harten Sitten bei diesen Rockern recherchiert worden ist. Wow. Und zur Vorstellungen von Größe, Style oder unbedingtem Wollen gehört dann dieser von oben und unten so krass bearbeitete Bildstyle (Kamera: Wolf Siegelmann), bei dem "Kino" ist, wenn's schick ist. Seufz.

Warum Taya präfinal als transsexuell entdeckt werden muss, versteht man auch nur, wenn man weiß, dass Logik in einem solchen Tatort das dauernde Kokettieren mit krassen Moves und überraschenden Turns meint. Und dass das Ermittlerteam zusammen spiele, kann man nur schwerlich behaupten: Sandra Steinbach als Miniplaybackshowstaatsanwältin Nicole Dubois sagt ebenso wie Elisabeth Brück als Stellbrinkens Kollegin Lisa Marx Text auf.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Hey, du weißt, wir sind best friends"

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