Was für ein grandioser Schmarrn! Zum frühen Abschied von Undercover-Cenk (Mehmet Kurtulus) gibt Hamburg noch mal ordentlich Gummi und hat mit Matthias Glasner den Wuchtbrummer des deutschen Films verpflichtet. Schon der Titel – Die Ballade von Cenk und Valerie – sagt an, wo die Reise hingeht: direkt ins Herz, big feelings, voll auf die ganz große emoción. Auch wenn es nach unserem Geschmack Die Ballade von Cenk und Gloria heißen hätte müssen (oder, für die William-T.-Vollmann-Aficionados unter uns: Hurra für Gloria) – es geht doch um big love zwischen den beiden und nicht um die eher ferngesteuerte und rein dienstliche Verbindung von Valerie (die große Corinna Harfouch) mit Undercover-Cenk.
Obwohl ganz am Ende, und damit ratzfatz in medias res, auch das Aufzucken von so was wie Gefühlen exisitiert, wenn die totalkaputte Killerroboterin Valerie auf dem Bürgersteig vorm Rundfunkfachgeschäft sitzend "Lieber" ins Telefon haucht und Cenk meint – die erste Regung von Gefühl in dieser Menschmaschine ist ein Stockholmsyndrom. Heureka! Andere Filme hätten an dieser Stelle gesagt, das sei der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, aber dazu kommt es dann nicht mehr, weil bei Valerie die Akkus runter sind und Cenk in einem Dilemma steckt, das man nur tragisch nennen kann.
Valerie ist eine wunderbar übertriebene Figur: eine Auftragskillerapparatin, die etwas hat, das man früher einfach Autismus genannt hätte, das präziser aber sensorische Integrationsstörung heißt, wie der betreuende Arzt, dieser rührende, frankenstein-ratlose Doktor schönerweise erklärt. Dieses Feature in der Persönlichkeit von Valerie, als Kaspara Hauser in die Welt gekommen, also totalement delokalisiert, macht aus der Lady eben eine Mördertechnologie auf zwei Beinen – keine Empfindungen, die solche problematischen Sachen wie Moral aufwerfen können (Abstechen der eigenen Brut ist dann auch nur ein Job), dafür rasantester Totalscann von allem, was im Blickfeld ist. Und das eben ist das Wunderbare, dass man sich diese Valerie vor allem technisch vorstellen muss. Corinna Harfouch spielt das dissonant, gegen die psychologischen Intentionen (wie sie sagt: "Ja, die Fessel, was ist damit?" – hach). In der Form vielleicht die radikalste jener dezentrierten Figuren, die sie – vor allem bei Glasner – immer gibt.
Glasner ist, wie gesagt, ein Haudrauf (wie Cenk in der Nacht seiner größten Verzweiflung da wie ein Schwulstpopper der early nineties im Regen auf offener Straße in die Knie gehen muss!), der es unter den ganz großen Themen nicht macht. Ein Mann, der permanent den größten Gang kettet, was zu einer gewissen Übertourigkeit führt, unter der manch wichtiges Detail verschwindet (schön zu studieren bei seinem diesjährigen Berlinale-Beitrag Gnade, der noch ins Kino kommen wird). Aber hier, begrenzt durch die 90-Tatort-Minuten, kommt ein ordentliches Feuerwerk bei raus. Der deutsche Film ist nun mal kein Wunschkonzert, man muss, gerade am Sonntagabend, nehmen, was man kriegt, und dann wäre es irgendwie kleinmütig, nicht sehen zu wollen, das hier jemand mit Schmackes ins Horn bläst, wo sich so viele andere durchmogeln mit unambitionösester Routine.
Natürlich begegnet einem der Grundkonflikt von Undercover-Cenk – kill the Kanzler oder die große Liebe mit Zukunft im Leib muss sterben – nicht im normalen Leben, natürlich ist der Kanzler Grasshoff (Kai Wiesinger) schon ein Spur zu fett als Spielfigur im attischen Dilemma. Aber wenn's der Wahrheitsfindung dient – dem zwanghaften Verhältnis von Politik und Wirtschaft ist durch präzise Beschreibung vielleicht nicht besser beizukommen als durch grelles Überschminken, wie Glasner es betreibt. Wenn die Realität schon ihre eigene Parodie ist (Handlungsfähigkeit der Politik, die Märkte und so), dann bleibt als Flucht nach vorn nur der Gang zur Orgel des Irrsinns. Der Kindergeburtstag, als den Die Ballade von Cenk und Valerie den Arbeitstag dieser sicken Trader zeigt (allen voran Christoph Letkowskis Dobler), ist jedenfalls mal ein schönes Bild, gerade im Gespräch mit Kohnau (Peter Jordan), der da noch irgendwas von Gesetz zu reden versucht. Die Hinweise auf die eigene Allmacht (die originale Mona Lisa hänge bei einem Goldman Sucks Trader in Downtown Manhattan) sind hübsche Insiderismen für die Galerie.
Formal implodiert hier alles, schwenkt der Thriller, der Die Ballade von Cenk und Valerie sein könnte, immer wieder ins Melodramatischste. Am besten zu sehen an der Flucht von Gloria, die auf offener Landstraße doch wieder nur Valerie vor das Auto läuft – das hätten straigthere Formenbewahrer gruseliger und nicht so erschöpft inszeniert. Oder an der Figur von Cenk, der erst als berufsbedingter natural born Außenseiter eigentlich drinnen ist im System, dann rausfällt (Flucht durchs Klofenster!) durch den Kanzler-Unwillen zum Spiel, um sich dann wieder einzuhacken in die Software der Macht. Der Vorschlag zum Spiel, also für Valerie, die den Kanzler-Mord vor laufender Kamera geordert hat, das ganze Bohei nur zu inszenieren, ist der schickeste Einfall überhaupt – als konsequentes Weiterdenken von so was wie Symbolpolitik, als große List der Politik, um diesen völlig unzurechnungsfähigen Märkten mal wieder zu zeigen, wo das Nudelholz liegt.
Über Kreuz
Kurz: ein würdiger Abschied für den eleganten Undercover-Cenk, den wir vermissen werden und der von Valerie hier noch mal eine hübsche Bilanzpressekonferenz seiner Einsätze abgehalten kriegt. Fehlen wird uns auch der immer leicht verdropste Kohnau, der so schön "Cenk" sagen konnte wie keine Gloria auf dieser Welt. Soll man mit der ARD schimpfen, weil sie vor ein bisschen schlechteren Quoten (es handelt sich um öffentlich-rechtliches Fernsehen) überläuft zu diesem Til Schweiger, vor dem es uns jetzt schon graut? Oder muss man anerkennen, dass diese Undercover-Geschichten einfach nicht zum Tatort passen, weil sie über Kreuz liegen mit der Gewohnheit – dass beim Tatort etwas passiert ist, was dann ermittelnd als Geschichte rekonstruiert werden muss, während die Undercover-Fälle genau andersherum funktionieren: für Batu muss eine Geschichte erfunden werden, damit am Ende das, was passieren sollte, vereitelt werden kann? Man weiß es nicht.
So oder so werden wir als true believer an die Wichtigkeit von repräsentativen Ordnungen den Kindern einst erzählen können: Mit Undercover-Cenk hat das damals alles angefangen.
Ein Satz für enttäuschte Liebhaber: "Das ist heute schon das zweite Mal, dass du eine Waffe auf mich richtest, es reicht jetzt"
Ein Befehl für GEZ-Hasser: "Ich möchte das im Fernsehen sehen!"
Ein Mordmotiv, das vor Gericht kaum beeindrucken wird: "Weil der Typ nervt"
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.