The real Harry Klein

Krimiserie Einen solchen Job gibt es in der flexibilisierten Gegenwart des deutschen Fernsehens nicht noch einmal: 39 Jahre war Michael Ande der Assistent in „Der Alte“
Ausgabe 14/2016

Unter den Männern aus der zweiten Reihe steht Michael Ande noch in der zweiten Reihe. Die Rolle des ewigen Assistenten im einst gloriosen ZDF-Krimiserien-Kosmos des Filmproduzenten Helmut Ringelmann ist an einen andern vergeben – an den Derrick-Stichwortgeber Harry Klein, dessen Subalternentum verbrieft wird durch einen eigenen, mythischen Satz („Harry, hol schon mal den Wagen“). 281 Folgen lang hat Fritz Wepper zwischen 1974 und 1998 an der Seite von Horst Tapperts Derrick durchgehalten, die dauernde Zurücksetzung wurde ausgeschmückt durch Geschichten einer wegen des Vertrags in München ausgelassenen Hollywood-Karriere.

In Michael Andes Biografie finden sich solche Konjunktive ebenfalls: Orson Welles soll dem einstigen Kinderstar nach seiner Rolle als Jim Hawkins im Vierteiler Die Schatzinsel (1966) ein Angebot gemacht haben, das Ande mit Verweis auf laufende Verpflichtungen ablehnte. Die Geschichte hat nur weniger Furore gemacht als die von Wepper, weil Ande weniger Furore macht. Sein Gerd Heymann, der am 8. April nach Folge 403 von Der Alte abtritt, war zwar seit 1977, seit Beginn der Nachfolgeserie des legendären Kommissars dabei, hatte sich dort aber lange einer Assistentenkonkurrenz zu erwehren.

Unter dem ersten Chef, dem von Siegfried Lowitz an den Rand der Parodie getriebenen Erwin Köster, war dem lockig-jugendlichen Heymann ein blasser Beamter namens Brenner (Jan Hendriks) vorgeschaltet. Der zweite Chef, Rolf Schimpfs Leo Kress, brachte 1986 mit Henry Johnson (Charles M. Huber) einen eigenen Assistenten mit, der so sehr zum Markenzeichen wurde (erster afrodeutscher Ermittler im hiesigen Fernsehen), dass ihm 1997 wiederum ein afrodeutscher Kommissar nachfolgte (gespielt von Pierre Sanoussi-Bliss).

So gesehen war erst seit dem letzten Jahr, als Sanoussi-Bliss und der ebenfalls lang gediente Markus Böttcher aus Verjüngungsgründen ausgewechselt wurden, Der Alte die Serie, die man durch Michael Ande von anderen unterscheiden konnte. Denn die Kontinuität, die die Figur Heymann stiftete, macht auch sichtbar, was sich im Fernsehen verändert hat. Ohne alte Zeiten unnötig zu idealisieren – das billig runtergedrehte Textaufgesage, das Der Alte heute ist, verbindet mit den bisweilen grandiosen Folgen aus der Lowitz-Zeit, in denen ein Regisseur wie Zbyněk Brynych das Ringen mit der Schuld im postfaschistischen Westdeutschland kühn inszenierte, nichts mehr. Nun nicht mal mehr Andes Assistent.

39 Jahre, fast eine DDR lang, hat Ande seinen Job bekleidet. Es hat beinahe etwas Masochistisches, wie er in Interviews seine Zufriedenheit mit dem Platz in der zweiten Reihe ausdrückt. Weppers Harry Klein ist die Geschichte des Zukurzkommens, einer Frustration. Der wahre ewige Assistent ist Michael Andes Gerd Heymann, das Ideal des Angestellten, der Traum der Bürokratie, der eine Serie wie Der Alte sich letztlich verdankt: Die Chefs, also die Leute mit Ambitionen, mögen wechseln, der Apparat bleibt. Man bewegt sich nicht, sondern passt sich an. Wir dürfen uns Michael Ande als glücklichen Menschen vorstellen. Einen Job wie den seinen wird es in der flexibilisierten Gegenwart des deutschen Fernsehens nicht mehr geben.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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