The Right Staff

Kino Lee Daniels’ Film „Der Butler“ erzählt die Geschichte der afroamerikanischen USA als Biopic über 150 Jahre
Ausgabe 41/2013
Angestelltenparade zum Amtsantritt von Kennedy (James Marsden): Cecil Gaines (Forest Whitaker), Dritter von rechts
Angestelltenparade zum Amtsantritt von Kennedy (James Marsden): Cecil Gaines (Forest Whitaker), Dritter von rechts

Foto: PROKINO Filmverleih GmbH

Dass ein Jahrhundert, zeitlich gesehen, ein Fliegenschiss ist, kann man im New Orleans African American Museum verstehen. Das sitzt in einem angesichts seines Gegenstands viel zu kleinen Südstaatenhaus im Stadtteil Tremé. In der Dauerausstellung sind Relikte und Dokumente der Unterdrückung zu sehen, werden Lebensgeschichten erzählt, die kaum einer kennt. Auf einer Wandtafel schließt der historische Exkurs über die Sklaverei mit einem denkwürdigen Satz: „Selbst 150 Jahre nach ihrer Abschaffung der Sklaverei bleibt die Bewältigung ihres Erbes – Rassismus – das entscheidende Thema in Amerika.“ Ereignisse mögen rasch aufeinander folgen, Mentalitäten sind träge.

Das führt einem breiten Publikum nun Lee Daniels’ Film Der Butler vor, der eine Geschichte des afroamerikanischen Amerikas von den Baumwollplantagen der Sklaverei bis zur Wahl Barack Obamas zum Präsidenten an einer Figur erzählt. Realistisch betrachtet ist dieser Cecil Gaines eine kolossale Übertreibung, die in der Länge des über zweistündigen Films delegiert wird an das 21-köpfige Make-up-Department: Kann man Forest Whitaker noch einmal auf älter als sehr alt schminken?

Aber Der Butler ist eben kein Biopic, auch wenn Daniels’ Film ausgeht von der Lebensgeschichte des Eugene Allen, die 2008, im Umfeld von Obamas Wahl in der Washington Post von Wil Haygood (Drehbuch, gemeinsam mit Danny Strong) erzählt wurde. Allen, 1919 geboren, 2010 verstorben, arbeitete ab 1952 als Angestellter des Weißen Hauses, diente als Teil des sogenannten staff jedem US-Präsidenten von Harry Truman bis Ronald Reagan.

Als Cecil Gaines wird dieses Leben nun gestreckt zu einem Porträt von 150 Jahren afroamerikanischen Lebens in den USA: Daniels’ Film erinnert die repräsentationspolitische Backstory von Obamas Präsidentschaft, und bei allem Verdruss über dessen Politik kann man sich der emotionalen Wucht dieser Darstellung schlecht entziehen. Die Geschichte einer gelingenden Emanzipation ist immer eine gute Geschichte, heißt ein schönes Wort von Erika Gregor: Wenn Cecil Gaines und seine Frau Gloria (Oprah Winfrey) am Ende zu den Mahnmalen der Unterdrückung in den US-amerikanischen Süden reisen, dann resultiert diese Szene bei aller formelhaften Inszenierung nie in einem Kitsch, gleichwohl heftig ans Gefühl appelliert wird.

Blockbusterpotenzial

Der Butler ist nach Quentin Tarantinos Django Unchained und Steven Spielbergs Lincoln der dritte Hollywood-Film, der in diesem Jahr auf die Sklaverei zurückkommt, ein Thema, das im Kino lange keine Rolle gespielt hat. Ein vierter Film, Steve McQueens 12 Years a Slave, hat gerade beim Filmfestival in Toronto für Furore gesorgt und startet hierzulande nächsten Januar.

Anders als Tarantino und Spielberg erzählt Daniels, der etwa das Teenagerdrama Precious (2009) gedreht hat, stärker aus einer afroamerikanischen Perspektive, was dem hollywoodnormierten weißen Betrachter zumindest die kleine Irritation bescheren könnte, dass er sich hier fast ausschließlich mit schwarzen Protagonisten identifizieren kann.

In den USA hat die 30 Millionen Dollar teure Produktion bereits knapp das Dreifache ihrer Produktionskosten eingespielt, in Frankreich binnen zwei Wochen sechs Millionen Euro. Das Blockbusterpotenzial von Der Butler verdankt sich seinem ausgeprägten Hang zur Versöhnung: Daniels macht es gerade dem weißen Zuschauer leicht, den Weg von Cecil Gaines gerührt zu verfolgen. Die Hausangestellten-Beflissenheit in Whitakers Spiel befriedigt nicht nur protestantische Gelüste von der Eleganz durchgedrückter Rücken und stoischer Mienen bei der Pflichterfüllung, sie kommt vor allem nicht als Bedrohung daher.

Cecil Gaines ist als Höflichkeitsform von Forrest Gump entworfen: Jeder Präsident (jeweils als Kabinettstück gespielt von weißer Schauspielprominenz: Robin Williams als Eisenhower, Liev Schreiber als Lyndon B. Johnson, John Cusack als Nixon, Alan Rickman als Reagan, dessen Frau Nancy, ein Besetzungscoup, von Jane Fonda mit überfreundlicher Mütterlichkeit gegeben wird) fragt irgendwann den zurückhaltend-zufällig im Raum rumstehenden Gaines, um Entscheidungen im Sinne der Gleichstellung zu treffen: Eisenhower schickt nach der Konsultation mit Gaines die Nationalgarde, um 1957 den „Little Rock Nine“ den Weg in eine segegrierte Schule zu sichern. Kennedy (James Marsden) lässt sich seine Civil Rights Address 1963 quasi vom Subalternen einflüstern.

Gaines älterer Sohn Louis (David Oyelowo) – der jüngere fällt aus Patriotismus in Vietnam – beschreibt eine widerständigere Position afroamerikanischer Politisierung. Im Gegensatz zur geduldigen Dienerschaft des Vaters repräsentiert er die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre, von den Freedom Rides bis zu den Black Panther, die die Machtfrage offensiv und notfalls mit Gewalt stellten.

Versöhnungsstörung

Hier hat Der Butler seine stärksten Szenen, wenn Louis und seine Kommilitonen sich etwa in einer Bar an den Tresen setzen, der für Weiße reserviert ist, um durch passiven Widerstand ihren Platz in der Gesellschaft zu beanspruchen. Ohne diese Interventionen einer nachwachsenden Generation wäre Whitakers entschieden dezentes Spiel schwer zu ertragen, das kulminiert im Unwohlsein der Eheleute Gaines, als sie von Reagan zu einem Dinner eingeladen werden – als Gäste, nicht als Bedienstete.

Daniels’ Film ist aber viel zu versöhnlich, um Vater und Sohn gegeneinander auszuspielen. Nicht nur Martin Luther King (Nelsan Ellis) weist den rebellierenden Louis und damit den Zuschauer darauf hin, wie wichtig für die eigene Geschichte duldsame Figuren wie die des Cecil Gaines waren. Noch im Vergleich zu den anderen Angestellten in der Küche des Weißen Hauses (Lenny Kravitz, Cuba Gooding Jr.) mag der Butler von muttertheresahafter Noblesse wirken: Er steht aber für eine Generation, die ihren Platz durch Beharrlichkeit und Verantwortung für die Nachkommen scheinbar eher erschlichen als erkämpft hat.

Kritisch einwenden kann man bei Der Butler, dass der Film bei der pragmatischen Politik, zu der Louis Gaines schließlich findet, Schluss macht. Die Rolle der Enkelgeneration, in der sich das politische Engagement der Väter und der Bildungsdruck der Großväter zu verlieren scheint, bleibt ausgeblendet. Sie hätte das Happy End getrübt, das Obama aus der Perspektive der Baumwollfelder darstellt. Die Zahl der Afroamerikaner, die im Gefängnis sitzen, ist heute größer als die Zahl derer, die aufs College gehen. Die Bewältigung des Erbes, das die Sklaverei hinterlassen hat, das entscheidende Thema in den USA, wird von einer effizienten Gefängnisindustrie verwaltet. Diesen Umstand zu fokussieren wäre unversöhnlich – für das schwarze, vor allem aber für das weiße Amerika.

Der Butler Lee Daniels USA 2013, 131 Min. Mit Forest Whitaker, Oprah Winfrey, Lenny Kravitz

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