"The Sound of Silence" von Alvis Hermanis in Berlin

Bühne Vermutlich ist jede Jugend ein Versprechen auf die Zukunft, aber keine Jugend ist es so sehr gewesen wie die von 1968. Die Wirkmächtigkeit der ...

Vermutlich ist jede Jugend ein Versprechen auf die Zukunft, aber keine Jugend ist es so sehr gewesen wie die von 1968. Die Wirkmächtigkeit der Generation, die damals jung war und anders erwachsen werden wollte, zeigt sich am deutlichsten noch am Schatten, der auf alle Jugenden danach geworfen wird: Heranwachsen als Problem. Das war zwar 1968 nicht anders, aber nie wieder konnten sich Heranwachsende so sicher darin sein, dass das Problem eigentlich die anderen sind. Das grundiert die Bilder vom Streben nach adoleszenter Selbstverwirklichung mit Bedeutung und macht sie zeitlos lesbar: als Rebellion nicht nur gegen die Generation der Väter, sondern als Aufbegehren gegen die Gesellschaft.

Die Fotos von Mara Brasmane, durch deren Ausstellung der Zuschauer von Alvis Hermanis Theaterinszenierung The Sound of Silence bei der Spielzeit Europa in Berlin zu einem Platz gelangt, verdoppeln die Grundierung. Nostalgisch strahlt in Sepia das Panorama sanften Tändelns mit der Möglichkeit, man selbst zu sein und damit gänzlich anders. Zugleich wird das Versprechen, das von diesen Bildern ausgeht, zurückgenommen durch den Ort, an dem sie entstanden sind. Riga lag weit weg von Berkeley, Paris, West-Berlin, und die Hoffnung, dass die Rebellion bis Ende der Träume gelangen konnte, war hier nie mehr als ein Konjunktiv.

Das erklärt, warum der hemmungslos nostalgische Ansatz von The Sound of Silence in der Version von Hermanis nie peinlich berührt. Es geht nicht um die Heraufbeschwörung eines Früher, das besser war, sondern um ein Früher, das nie besser sein konnte. Ein Konzert von Simon Garfunkel 1968 in Riga, das nie stattgefunden hat heißt der dreistündige Abend im Untertitel. Was etwas irreführend ist, weil die Songs von Simon Garfunkel, die sich mitunter wiederholen, vielmehr Soundtrack zu einem Lebensgefühl sind, das 14 Performer wortlos in wechselnden Bildern vorstellen.

Liebe, Rausch und Buchlektüre oder Szenen zwischenmenschlichen Bedarfs: Hermanis bleibt in der Wahl seiner theatralen Mittel auf harmlose Weise inkonsequent. Mal treten die Schauspieler als Figuren einer nicht näher zu definierenden Handlung auf, wenn etwa zu Beginn zwei gicksende Frauen mit schwarzen Perücken und schwarzen Sonnenbrillen die offenbar leer stehende Wohnung inspizieren, die das Bühnenbild von Monika Pormale in blassen Farben des Verfalls suggeriert. Mal ist die Schar reine Verfügungsmasse des Regisseurwillens, wenn in choreographierter Gleichzeitigkeit Bücherseiten umgeblättert werden. Mal wird der Song mit den Bildern ausgemalt, die das Kino von ihm gemacht hat (Mrs. Robinson). Mal, und das sind die besten Szenen des Abends, wird nichts anderes vorgeführt als das Vergehen von Zeit, wenn etwa die Einspielung von Dangling Conservation am Schweben einer Feder hängt, die von den Performern durch dauerndes Pusten daran gehindert werden muss, den Boden zu berühren.

The Sound of Silence ist in den besten Momenten ein schöner, in den schlechteren ein banaler Abend, dessen zarter Grundgestimmtheit allerdings selbst die wankelmütige Regie nichts anhaben kann. Denn alles, was die Zeit der Unschuld evoziert, die schließlich durch Geburt und Tod ans Ende gelangt, ist das, was gemeinhin nebensächlich ist im Theater der Schauspieler: die sorgsame Einrichtung der Breitwandwohnung, die Detail verliebten Kostüme (ebenfalls Monika Pormale), die präzise, nie denunzierende Maske (Sarmte Balode, Ilze Trumpe). Und die Musik. Im Zweifel kann man die Augen schließen und Fragen von poetischer Feinheit, wie sie Simon Garfunkel stellten, mit eigenen Bildern beantworten.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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