Total demokratisch

Verweigerung Der MDR zieht ein Interview zurück, das der „Freitag“ mit einer Redakteurin über den neuen „Tatort“ geführt hat. Warum diese Entscheidung symptomatisch ist
Ausgabe 44/2013
Ideale Zuschauer: Die MDR-Redakteurin Götz (l.), die MDR-Intendantin Wille (sitzend l.), die Ministerpräsidentin Lieberknecht (sitzend r.), der Produzent Smeaton (2. von r.)
Ideale Zuschauer: Die MDR-Redakteurin Götz (l.), die MDR-Intendantin Wille (sitzend l.), die Ministerpräsidentin Lieberknecht (sitzend r.), der Produzent Smeaton (2. von r.)

Foto: imago / Viadata

Eigentlich sollte hier ein Interview mit der MDR-Redakteurin Meike Götz stehen. Das Gespräch fand am Dienstag vor acht Tagen in Berlin statt. Es dauerte 75 Minuten bei laufendem Aufnahmegerät und mindestens eine weitere halbe Stunde „off the record“. Anlass war der erste Tatort aus Erfurt, der am 3. November in der ARD ausgestrahlt wird und in dessen Credits Frau Götz an prominenter Stelle unter Redaktion ausgewiesen wird. Es wurden Fragen gestellt, die ich kritisch oder auch nur journalistisch nennen würde, der MDR nennt sie „tendenziös“. Eine Autorisierung hat der MDR, trotz anders lautender Ansagen, bis Redaktionsschluss hinausgezögert. Rechtlich besteht diese Möglichkeit; den Text trotzdem abzudrucken, obwohl er den Wortlaut der Unterhaltung wiedergibt, könnte indes Kosten verursachen, die für den Freitag zu hoch sind.

Soll man deshalb empört Zensur, Nordkorea oder Pressefreiheit rufen und zu journalismusperformativen Vergeltungsschlägen wie dem Abdruck der Fragen bei geschwärzten Antworten oder entsprechendem Weißraum übergehen? Oder ist die Reaktion des MDR der normale Gang der Dinge, weil ein Gespräch mit einer Verantwortlichen nicht der Ort ist für Kritik? Welche der beiden Fragen man auch mit Ja beantwortet – der Umgang des MDR mit dem Interview ist bezeichnend, und er stimmt traurig.

Denn der MDR ist weder Nordkorea noch ein ruchloser Investmentbanker, der nicht weiß, wie Gemeinwohl geschrieben wird, und als einzige Legitimation den Profit seines Unternehmens vorweisen muss. Der MDR gehört dem Wir dieses Landes, er wird finanziert aus den Gebühren der Bürger, und er ist, vor allem, als Medienanstalt eminenter Teil der Öffentlichkeit. In einer demokratisch organisierten Öffentlichkeit ist Kritik, so unangenehm sie im konkreten Fall sein mag, von Bedeutung; man verständigt sich im freien Streit der Argumente. Aber das sind Gedanken, wie sie nur in den Zoos der Sonntagsreden vorkommen. In der freien Wildbahn der täglichen Praxis einer MDR-Redaktion spielen solche Überlegungen offenbar keine Rolle. Und das eben ist das Traurige: Von dem stolzen Institut eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben die Leute beim MDR, die es für eine gute Idee halten, sich Kritik zu verweigern, keinen Schimmer.

Es ist, zugegeben, eine ungewöhnliche Idee, von einer Fernsehredakteurin in einem Interview wissen zu wollen, warum sie schlechte Filme produziert. Es macht auch keinen Spaß, zu freundlichen Leuten konfrontativ zu sein. Aber es ging in diesem Fall nicht bloß um Fragen des Geschmacks. Mir schien dieses Interview angebracht, weil ich die Geschichte des Erfurter Tatorts symptomatisch dafür halte, was falsch läuft im deutschen Fernsehfilmfördersystem, einem der reichsten der Welt.

Geste: Transparenz

Diese Geschichte beginnt mit einer Ausschreibung. Die einstige Justiziarin Karola Wille war nach einem beschämenden politischen Gerangel zur Intendantin gewählt worden in der Nachfolge von Udo Reiter. Zugleich musste sich der Sender mit den Korruptionsaffären beim Kinderkanal und um den einstigen Unterhaltungschef Udo Foht auseinandersetzen; gegen letzteren hat die Staatsanwaltschaft Leipzig Anfang Oktober Anklage erhoben.

Gute Nachrichten sehen anders aus. Der Tatort Erfurt sollte welche bringen – eine offene Ausschreibung, bei der jeder sein Konzept für einen neuen Schauplatz der beliebten ARD-Reihe einreichen konnte und bei der nur festgelegt war, dass sie in Thüringen spielen sollte, dem bis dato einzigen sonntagabendkrimilosen Bundesland. Total demokratisch, total transparent. Der MDR kann auch anders.

Im Prinzip wird das Problem, um das es mir im Gespräch ging, schon an der Ausschreibung sichtbar: Was macht eigentlich eine öffentlich-rechtliche Filmredaktion beruflich, wenn sie nicht in der Lage ist, einen solchen Überblick über die Fähigkeiten von deutschen Drehbuchautoren und Regisseuren zu haben, dass sie wissen könnte, von wem sie sich den ihren Vorstellungen adäquaten Film versprechen würde? Wie lieblos, leicht und unsensibel gegenüber den Arbeitsbedingungen der freien, tatsächlich Kreativen bei der Arbeit am Programm ist es, in die Welt hinauszuposaunen: Schickt mal? Wie will man vermeiden, dass die Leute, die die Vorschläge gelesen haben, Ideen von abgelehnten Konzepten nicht irgendwann für ihre eigenen halten, ganz ohne böse Absicht? Und wie will man ernsthaft zwischen den über 100 Einsendungen differenzieren, die es schließlich gegeben hat?

Aber gut, dem MDR ging es um eine Geste: Transparenz. Dass sich dahinter nicht mehr als ein Lippenbekenntnis verbirgt (oder ein ziemlich amateurhafter Spin), zeigt die Wahl des Siegers. Aus den über 100 Vorschlägen wurde mit dem Konzept von Thomas Bohn ein Filmemacher und Autor ausgewählt, der bereits 15 Tatort-Folgen gedreht hat, etwa in Ludwigshafen und maßgeblich in Hamburg mit Robert Atzorn als Kommissar Jan Casstorff (2001 bis 2008). Natürlich kann auch Thomas Bohn sich bewerben, wo eine Ausschreibung offen ist. Seine Wahl passt nur nicht zu dem, was der MDR vorgab zu wollen. Was heute aber weder dem MDR auffällt noch anderen Journalisten.

Eine offene Ausschreibung hätte zum einen gerade den Vorteil haben können, auf Leute zu stoßen, die man nicht kennt. Die Wahl eines – von der Zahl der Folgen her – Routiniers wie Bohn mit der nicht unbedeutenden Firma von Pilcher-Produzent Michael Smeaton im Rücken ist dagegen eher geeignet, das gegenteilige Signal auszusenden: dass am Ende doch die Altbekannten gewinnen, also das Gemauschel, nicht die Offenheit. Bohn passt zum zweiten nicht zur Idee, etwas Neues oder gar Freches zu machen, was gelegentlich auch als Ziel verlautbart wurde.

Vor allem aber ist es ein Armutszeugnis zu behaupten, dass der Vorschlag von Bohn der beste der über 100 sein soll. Wer Bohns Tatort-Folgen kennt (und das hätte der MDR durch einen Gang ins ARD-Archiv ja tun können), weiß, was ihn am Sonntagabend erwarten wird: lausige Dialoge, grundlos schlecht gelaunte Figuren, pseudocoole Sprüche, schlechtes Timing, ein grobschlächtiger Wirklichkeitsentwurf und ein paar technische Mätzchen zur Überbrückung des Nichts, das die Geschichte ist (eine ausführliche Kritik, wie immer, am Sonntag nach dem Tatort auf freitag.de). Selbst wer die Folge – mit dem schon nichtssagenden Titel – „Kalter Engel“ nicht so genau und informiert anschaut, wie Kritiker das tun sollten, wird sie unmöglich als herausragend in Erinnerung behalten.

Feige Verzögerungstaktik

Das alles hätte man vorher wissen können. Und das ist das Problem der MDR-Redaktion (und manch anderen Senders, worüber gerade der Tatort-Föderalismus wunderbar Auskunft gibt): Die gut bezahlten, quasi verbeamteten und mächtigen Redakteure in den Sendern, die über die Filme entscheiden, die entstehen, wissen nicht, was das ist – ein guter Film. Sie können die Kuh nicht vom Pferd unterscheiden. Sie sagen schon Konzept zu der Idee, in Erfurt „das jüngste Ermittlerteam“ seit Menschengedenken zu präsentieren.

Und die einzige Erklärung, die ihnen darüber hinaus einfällt – googlen Sie mal die Meike-Götz-Interviews, die freigegeben worden sind –, ist ödeste Presseheft-PR: Absichtserklärungen zu Figuren, die keinen interessieren und die man im Film nicht sieht.

Aus der – mir fällt kein besseres Wort ein – feigen Verzögerungstaktik des MDR, das kontrovers geführte Interview nicht freizugeben [Aktualisierung: am 29. Oktober um 17.11 Uhr hat die Pressestelle des MDR das Interview ohne Angabe von Gründen zurückgezogen], spricht eine Angst, die bezeichnend ist. Für unsere Gesellschaft, vor allem aber für hochkonformistische Systeme wie Investmentbanken oder Redaktionen öffentlich-rechtlicher Sender. Die eigene Meinung ist etwas, das man sich für „off the record“ aufhebt. Und die Sender-PR lässt sich nicht verteidigen, wenn mal ein Journalist nachfragt. Es sind aber nicht große Maschinen oder abstrakte Figuren wie die Märkte oder die Quote, die Entscheidungen treffen, sondern die Leute, die dort arbeiten. Und die scheinbar nicht wissen, was sie tun.

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