"Es ist egal, aber" (Tocotronic) nicht nur Götz George, auch uns irritiert die Programmierung bei der ARD. Tatort also Polizeiruf also Sonntagabendkrimi lebt von Gewohnheit, dass immer dann, bevor die Arbeit wieder losgeht, die Freizeit mit dem Sonntagabendkrimi aufhört. Im Sommer haben wir uns daran gewöhnt, dass der Sonntagabendkrimi in die Ferien fährt, obwohl man, wenn man gegenüber Pressestellenmitarbeitern der ARD "Sommerpause" sagt, daraufhin gewiesen wird, dass keine Sommerpause ist, weil Tatort-Folgen ja gezeigt werden. April, April.
Pause ist nur von den Erstausstrahlungen, von denen doch aber immer nur die Rede ist, weil sie dem Gefühl den Takt vorgeben. Womöglich liegen wir auch falsch mit unserer Sorge und sind nichts anderes als ein pingeliger Papi, der will, das Ordnung herrscht im Kinderzimmer, aber so was von, wenn wir hier anmerken, dass die sogenannte Marke Tatort, die von der ARD doch immerfort geschätzt und gestärkt werden will, eben dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird, dass Zuverlässigkeit und Gewohnheit suspendiert werden, wenn nach zwei Wochen Wiederholung am Sonntagabend oder vor weiteren Wochen Wiederholungen am Sonntagabend mal eben eine ur neue Erstsendung dazwischenfunkt.
Die Erklärung liefert das Münchner Filmfest, das erst Anfang Juli stattfindet und auf dem der BR seinem neuesten Polizeiruf unbedingt eine Festivalpremiere organisieren muss (mit der Ausstrahlung dann zu warten bis zum Start der neuen Saison ging irgendwie auch nicht; die offizielle Erklärung lautet auf Überproduktion, wie immer man sich das vorstellen kann). Man kann das, also die Festivalpremiere, eitel nennen oder auch provinziell, in jedem Fall soll das eine Art Markenzeichen des Münchner Polizeiruf sein – der kommt immer so krass kunstvoll daher, dass er unbedingt seine Premiere haben muss auf einem Filmfestival, das romantischerweise von der Idee lebte, dass Kinofilme mehr "Qnst" (Thomas Kapielski) seien als Fernseharbeiten.
Eintopf mit Überlauf
In Deutschland funktioniert diese Trennung zwischen Kino und Fernsehen nur leider nicht, weil es in Deutschland nur Fernsehen gibt, wobei man dem Polizeiruf: Der Tod macht Engel aus uns allen dann wiederum zugute halten muss, dass er mehr Luft zum Atmen hat als mancher Fernsehfilm, der zuerst im Kino läuft. Das liegt am Drehbuch Günter Schütters, der seinerzeit den fulminösen Graf-Polizeiruf mit Meuffelsn geschrieben hatte (der hatte à l'époque ebenfalls Premiere auf Münchner Filmfest, konnte aber bis zur Saisoneröffnung warten, by the way).
Schütters Buch kann man sich als Eintopf vorstellen, der auf hoher See serviert wird, es geht dauert hin und her und auch mal was drüber, und man braucht eine Weile, um die Griesklößchen der Geschichte auszumachen, aber gerade dieser Überschuss an allem stellt doch sehr zufrieden. Natürlich reden selbst gehobenere Polizisten wie hier der Korrup-Truppkommander Lenny Jacob (der große Hans-Jochen Wagner) nicht so tolle Sätze über ihre Kinder in echt: "Die haben beide weder Verstand noch Charme. Reden, was alle reden, und träumen ihr Leben in so RTL-Formaten." Aber das macht nix. Der Kulturpessimism trägt bei Schütter die schönsten Kleider, und die Männlichkeitsinszenierungen, im maillot jaune wie immer Meuffels (Matthias Brandt), sind von einer Elaboriertheit, die weder sich den Rotz von der Nase wischend auf die böse Gleichstellung zeigen, die ja an allem Schuld, noch in die Muckibude ihrer ostentativen Abenteuerlust gehen müssen, um sich selbst zu beweisen, dass es sie noch gibt.
Für Schütterns Anlage spricht, dass die Geschichte von Der Tod macht Engel aus uns allen fesselt, obwohl sie unspannend im Sinne von Whodunit ist: Meuffels muss Innenrevision betreiben, weil eine Transgenderista zu Tode gekommen ist auf dem Revier von Lenny und seinen Kollegen. Für die Buchhalter des sogenannten Realismus gibt es viel zu notieren, und auch wenn wir beipflichten würden, dass der vierfache Salchow dieses Films – also die great, great question, ob die Hinterbliebene (Lars Eidinger als Lady im Rock) nicht mehr von dem Geld hat, das Meuffels sammelt bei den schuldigen Kollegen als von so was wie Rechtssprechung – wahrscheinlich nicht ganz gestanden wird: dass überhaupt ein Fernsehfilm uns solche Dilemmata vor Augen zu führen weiß, nimmt ein.
Pulli mit Schäferhund
Unklar bleibt, wie groß der Anteil von Regisseur Jan Bonny, der mit Brandt vor Jahren bereits sein Debüt Gegenüber gedreht hatte, an der Größe dieses Polizeiruf ist. Bonnys Handkamerageschmuddel (die Pläte, der Unglam von Eidinger) verträgt sich gut mit Schütters Atmosphäreninhalieren, und es ist fast egal, wie sehr das alte München in diesem Film in der Dunkelheit leuchtet oder nicht. Schütters Buch ist so eine Art Drei-Wetter-Taft, das sitzt von allein, die Rollen sind so kernig, dass sie sich von selbst spielen durch Brandt, Wagner, aber auch die gesammelten Kollegen (amazing: eigentlich alle, besonders: Anne Müller als einzige Frau im Männerverein), Eidinger und Anna Maria Sturm (das letzte Mal als Anna "Burn, Baby" Burnhauser – tant pis, aber verständlich bei der Rolle aka Meuffels-Zentrierung): Spitzencasting (Daniela Tolkien).
Womöglich gehen die Einfälle mit den Döner essenden Polizisten (wie einfach die Geste, wie viel Atmo sie reinholt) oder den sich auf Brust (Mann) und im Schritt (Frau) rasierenden und nebenher redenden Eier-Meier-Paar (auch groß: Shenja Lacher) ja auch den Regisseur zurück. Etwas merkwürdig kommen nur ein paar Lücken daher, die Landfluchtheimholung von Anna etwa oder diese völlig zusammenhanglose und diffus aufgelöste Szene, in der Lennys Trupp kurz vor Schluss, als die Schuld schon feststeht, mal eben auf einem Einsatz zusammengeschlagen werden, als wüssten die Schläger um ihren highestrichterlichen Auftrag (Rache, nicht Recht oder so). Gewöhnungsbedürftig auch der ziemlich abrupte Mood-Wechsel bei Meuffels nach der schönen Draußenrauch-Szene mit dem "Nahraum", in der Meuffels, auch wenn er ein Herrenreiterlein sein mag, nicht wiederzuerkennen ist. Der Schäferhund-Pulli von Anna (Kostüm: Katharina Ost) ist aber allerliebst.
Im Zweifel geht das alles durch, weil Schütters Geschichte so dick wuchert.
Ein Vorwurf, den man nach Snowdens Leak so nicht mehr machen würde: "Ich hatte Angst, dass die mich orten – Sag mal bist du bescheuert"
Eine Frage, die wir Kollegen nicht stellen würden: "Mensch, Anna, was ist denn das für eine Behördenscheiße hier?"
Eine Begrüßung, die man sich gefallen lassen kann: "Guten Morgen, Ihre Durchlaucht"
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