Im Gespräch Der Schauspieler Fabian Hinrichs über seinen Auftritt im Münchner "Tatort" als Gisbert Engelhardt und Schwierigkeiten bei der Rollenwahl in einem Land, das kein Kino hat
Der Freitag: Ihr Auftritt als Gisbert Engelhardt im Münchner "Tatort: Der tiefe Schlaf" hat einiges an Begeisterung mobilisiert. Auf Facebook wurde die Rückkehr der Figur gefordert. Wie haben Sie das erlebt?
Ich war kürzlich bei einem Publikumsgespräch in Hamburg. Das waren eigentlich zwei großartige Abende, die ich da im Thalia-Theater hatte, aber bei dem Gespräch ging’s eigentlich nur um diesen Tatort. Ich bin nicht Lou Reed und frage vor jedem Interview: Kennen Sie mein Werk, kennen Sie meine Verstärkereinstellungen? Aber die Moderatorin hatte sich überhaupt nicht mit meiner Theaterarbeit auseinandergesetzt, ihr ging es nur um den Tatort. Ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Brauche ich auch nicht, ich habe den ja gemacht. Und ich sehe m
setzt, ihr ging es nur um den Tatort. Ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Brauche ich auch nicht, ich habe den ja gemacht. Und ich sehe meine eigenen Filme ungern an, da gibt es eine Scheu. Aber diesen Tatort will ich noch sehen. Das Drehbuch war auf jeden Fall sehr gut. Alexander Adolph, der es geschrieben und auch Regie geführt hat, ist ein toller Autor.Gisbert Engelhart wirkte wie eine Figur aus Ihren letzten Theaterarbeiten mit René Pollesch oder auch dem Soloabend "Die Zeit schlägt dich tot". Haben Sie an der Rolle mitgeschrieben?Das würde vermutlich klein wirken, wenn ich immer betonen müsste, woran ich beteiligt bin. Obwohl es manchmal schmerzhaft ist, wenn man in der Öffentlichkeit als reiner Interpret wahrgenommen wird. Aus diesem Schauspieler-Stigma gibt es kein Entrinnen. Aber bei dem "Tatort" war das Buch so, Alexander hat mir das sozusagen auf den Leib geschrieben, obwohl ich ihn nicht kannte.Ehrt Sie die Anfrage für einen "Tatort"?Für mich war das vor dem Lesen des Drehbuchs eher andersrum: halt so ein Tatort. Kein Kinofilm. Aber den gibt’s eh nicht in Deutschland. Das kann man nicht oft genug betonen, dass es das einfach nicht gibt. Deutschland ist eine Wüste. Das heißt, ich hätte eigentlich gedacht: Ach, wieder so ein Krimidrehbuch. Das ist die Realität, mit der ich mich auseinandersetzen muss. Ich werde dann verzweifelt und traurig, weil das eben die Krönung des deutschen Fernsehens ist. Man sieht doch oft die Bremse, 23 Drehtage, 21 Drehtage. Dabei gäbe es viel Raum, wie ich anhand der Reaktion gemerkt habe. Die Leute schalten automatisch ein, weil's Tatort ist. Und dann finden die so was wie Alexanders Film gut. Es würde also funktionieren.Welche Bremse meinen Sie?Ich bin dauernd mit Konditionierung beschäftigt, wie jeder hier. Man sieht beim deutschen Film die Bremse, das Malen nach Zahlen. Bei 1,9 Millionen Euro ist Schluss oder 1,3 Millionen, die so ein Tatort oder ein anderer Film kostet, ohne besondere Rücksicht darauf, was das Drehbuch, was die Geschichte verlangt. Da kann man filmisch nicht mehr viel umsetzen, egal was die Leute von der DFFB sagen mit ihren Digitalkameras. Und es gibt keine Möglichkeit, was zu verändern, vollkommen ausweglos. Ich bin da auch frustriert, alle sind frustriert. Und ich behaupte, viele sagen das nicht, weil es irgendwie unsympathisch kommt. Aber man kann das nicht oft genug sagen, damit nicht alle denken, das läuft ja, der Laden läuft ja, weil: Der Laden läuft einfach nicht. Es ist diese alte, einfache Frage, die aber nicht falsch ist, nur weil sie einfach ist: Warum müssen ARD und ZDF Quote machen?Gegen Veränderung spricht: Es leben einfach zu viele Leute vom deutschen Filmfördersystem.Das kann man in einem sozialdemokratischen Sinne auch gut finden – die haben dann alle was zu essen, und es gibt nicht diesen knallharten Wettbewerb wie in den USA. Nur ist das schlecht für das, was rauskommt, so ein Mittelton, der nicht falsch und nicht richtig ist. Vielleicht muss man das akzeptieren: Der deutsche Film ist einfach nicht so. Aber wir haben Waschmaschinen, tolle Autos, und die Rohre werden repariert. Ich kann die Zwänge verstehen, und ich sage nicht, dass das alles Idioten sind. Ich dreh dann ja auch diesen Film und jenen.Man kann nicht alles haben.Ich weiß auch nicht, warum es in Deutschland ist, wie es ist. Vielleicht liegt es daran, dass wir keinen Hof hatten und einige Fähigkeiten einfach nicht ausgebildet wurden: Eleganz, Charme, ein bestimmter Witz, eine gewisse Rhetorik. Es gibt auch keine Stars, die außeralltäglich sind. Hier ist wichtig, dass man hyperalltäglich ist. Veronica Ferres ist im Grunde eine verzerrte Hausfrau, und das finden die Leute ganz gut. Stars sind aber wichtig, damit Kino funktioniert. Das müssen nicht unbedingt Schauspieler, das können auch Regisseure sein.Als nächstes drehen Sie mit Rainer Kaufmann einen Prime-Time-Fernsehfilm und mit Maria Speth einen kleinen Kinofilm. Ist dieses Kinoprojekt die Entschädigung für die Prime-Time-Sauerei?Ich mag Rainer Kaufmann sehr gerne, und auch Friedrich von Thun, mit dem ich da spiele. Als Sauerei würd’ ich das nun nicht bezeichnen. Eine Sauerei wäre, wenn ich in Til Schweigers Kokowääh mitspielen würde, weil ich mir so was im Kino nicht angucken würde, es aber einen Haufen Asche gäbe. Da kann man sagen, das ist ja legitim. Ich will Til Schweiger gar nicht runtermachen. Der ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass es nichts anderes gibt. Meinetwegen 80 Til-Schweiger-Filme im Jahr, aber es müsste noch andere Filme geben und zwar mit denselben Zuschauerzahlen.Warum dieselben Zahlen?Damit man sich nicht so einsam in der Welt fühlt. Ich will mich nicht mit der Nische abfinden. Auch im Leben nicht – dass man sagt, der Nachbar kann ein reaktionäres Arschloch sein, ich hab' doch meine Freunde. Ich verstehe diese Haltung, aber ich hab' die einfach nicht. Mich stört dann der Nachbar. Und das ist doch auch ein Merkmal von Populärkultur, dass es richtig gute Filme gäbe, die ein richtig großes Publikum erreichen würden. Deshalb sage ich bewusst Filme wie Die nackte Kanone, Harry und Sally, Dumm und Dümmer und nicht irgendwelche Godard- oder Bergman-Sachen, nicht Harmony Korine oder so was, sondern ich sage: Die nackte Kanone, Harry und Sally, Dumm und Dümmer. Das steht für Unterhaltungskunst. Und nicht für Zerstreuungskunst. Das fehlt hier. Und das würde auch die sogenannte Berliner Schule beeinflussen. Deren Filme würden sich auch verändern, die Art zu spielen würde sich verändern. Die würden sich das doch auch wünschen, dass ihre Filme gesehen werden, dass man sich versteht, denn das ist ja nichts anderes als sich verstehen. Wenn man seinen Film vertreten kann, dann will doch jeder, dass da 60 Millionen reingehen. Schauspieler vielleicht nicht mal so sehr, weil sie dann immer erkannt würden auf der Straße, aber Regisseure doch ganz sicher.Wonach suchen Sie dann Ihre Rollen aus?Das ist ein gelebter Kompromiss. Finanzielle Entlohnung spielt eine Rolle, aber das ist nicht der Hauptgrund. Ein Kriterium: Was ist nicht ganz so schlimm? Ein anderes: Das wird schon. Wenn man Glück hat, ist was gut, dann freut man sich darauf. Beim Drehen herrscht ja ein merkwürdiger Rhythmus. Man ist vollkommen bestimmt, steht um 5 Uhr auf, ist 23 Uhr wieder zu Hause und wiederholt eine Szene 40 Mal. Wenn die Szene völlig bescheuert ist, dann ist es schrecklich. Weil man sie ja vor der Kamera macht. Es ist wirklich selten etwas dabei, dass ich sage, das möchte ich unbedingt machen, unbedingt. Und das geht allen so.So schlecht der deutsche Film ist, so gut ist das Theater im Vergleich mit London, New York, Paris. Hilft Ihnen das?Ich würde diese Opposition nicht aufmachen. Es gibt im deutschen Theater bestimmt interessante Sachen, aber viele Inszenierungen sind Zerstreuung für die Leute. Die haben hart gearbeitet haben und dann keine Kraft mehr, um zu lesen, und die wollen sich suggerieren, dass sie gelesen oder zumindest was Sinnvolles mit ihrem Abend gemacht haben. So ein Package-Gedanke, dass man sagt, wir waren im Theater, jetzt gehen wir essen und dann roll' ich noch mal über dich rüber. Aber Sie arbeiten doch mit Regisseuren wie Laurent Chétouane, René Pollesch, waren bei Schlingensief, an Frank Castorfs Volksbühne.Im Theater habe ich momentan auf jeden Fall Befriedigung. Aber ich habe dafür auch viel ausgeschlossen. Und ich wüsste nicht, ob ich diese Befriedigung hätte, wenn ich King Lear in einer merkwürdigen Inszenierung spielen müsste. Hamlet mit Palituch und Claudius ist George Bush – das ist die Realität. Ein weiteres Problem ist, dass es keine neueren interessanten Texte gibt. Ich würde ja sonst nie auf die Idee kommen, selber zu schreiben. Ich kann das ja nicht besonders gut.Die wenigen Möglichkeiten machen einsam.In der Volksbühne war das mal anders, um das Jahr 2000 herum. Da waren zehn Leute, Sophie Rois, Henry Hübchen und so, alle berühmt, ehrgeizig, vielleicht nicht ausformulierte, aber schon formulierte Künstler, mit Ansprüchen, mit Sehnsüchten. Und die wurden damals auch von der Stadt eingelöst, das war nicht nur Marginalkunst. Studenten hatten damals immer das Volksbühnen-Logo an der Tür. Das war ein kultischer Raum für einen Moment.Beim Film arbeitet man nur für jeweils kurze Zeit zusammen.Das wäre toll, auch da eine gemeinsame Wegstrecke zu gehen, mit den gleichen Leuten wieder zu arbeiten. Das sehe ich kaum, bei der sogenannten Berliner Schule gibt's das manchmal, bei Nina Hoss etwa. Was ich mir vorstellen könnte: eine richtig gute Serie, die dann auch gut geschrieben ist, und da arbeitet man fünf, zehn Jahre dran. Das wäre das beste in Deutschland, gerade weil's kein Kino gibt – eine Serie, die richtig gut wäre. Fernsehen. Dafür gäb's auch ein Publikum, die Leute müssten nicht ins Kino gehen, sondern bräuchten nur einzuschalten.
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