Am Montag ist ein Kapitel der Sportgeschichte zu Ende gegangen, an dem seit Jahren geschrieben wurde. Der Radsport-Weltverband UCI, der nicht Autor, sondern eher eine Art Unterzeichner dieses Kapitels war, hat Lance Armstrong wegen Dopings dessen sieben Siege bei der Tour de France offiziell aberkannt.
Unerhört ist dieser Vorgang nur auf den ersten Blick. Nüchtern betrachtet könnte man sagen, dass Armstrong seine Schuldigkeit getan hatte – spätestens als er seine Karriere als Rennfahrer 2011 endgültig beendete. Die Tour und der Radsport hatten in Armstrongs aktiven Jahren einen charismatischen, immer schon ambivalenten Helden – also alles, was für Beachtung, Unterhaltung, Medialisierung, kurz: zum Geldverdienen nötig ist. UCI-Chef Pat McQuaid hat das bei der Verabschiedung seines einstigen Vorzeigesportlers nur etwas anders gesagt: „Für Lance Armstrong ist kein Platz mehr im Radsport. Er verdient es, vergessen zu werden.“
Die Frage bleibt, ob sich diese Anregung genauso leicht umsetzen lässt, wie sie geäußert wird. Vielmehr ist anzunehmen, dass Armstrong künftig als recht vitaler Geist die Sportgeschichte heimsuchen wird, dass er gerade nicht vergessen werden kann. Armstrong wird als Alb des Traums zurückkehren, für den er eigentlich vorgesehen war.
Jacques Anquetil, Eddy Merckx
Denn natürlich beschränkte sich der Nutzen Armstrongs für den Radsport nicht allein auf seine aktive Zeit. Das Nachleben als Mythos (keiner hatte so oft die Tour de France gewonnen wie er) wäre zwar nichts, was sich so kurzfristig und direkt monetarisieren ließe, wie das Spektakel, das Armstrong als Aktiver bot. Aber seine Geschichte hätte die nicht unwichtige Funktion gehabt, die große Erzählung von Sport, Radfahren und Tour de France weiter zu tradieren – die großen Duelle, die großen Siege. Das hätte immer wieder erzählt werden können und müssen, so wie es bei Fausto Coppi, Jacques Anquetil, Eddy Merckx oder Bernard Hinault erzählt worden ist.
Der Glanz, den diese Namen verbreiten, verdankt sich nicht allein den sportlich-technischen Leistungen, die sie vollbracht haben, sondern der Erzählung, die sich mit ihnen bedienen lässt. Deshalb interessiert sich auch kein Mensch dafür, wer nun Tour-de-France-Sieger wird anstelle von Lance Armstrong – Gewinner ist, wer auf den Champs-Élysées im Gelben Trikot fährt und nicht, wer Jahre später Post bekommt, weil er der Erste in der Reihe derer ist, denen noch kein Dopingvergehen nachgewiesen wurde. Das taugt nicht für Geschichten, in denen sich schwelgen ließe.
Und deshalb ist das offiziell anerkannte Doping von Armstrong vor allem ein Angriff auf die Erzählung vom Sport. Auch davon zeugt Pat McQuaids Wunsch nach Vergessensollen. Die Heldengeschichten aber, die um den Sport herum erzählt werden, handeln vom Gegenteil – vom ewigen Wiedererinnern. Die Mühe, die es kostete, ausgerechnet den mythischsten Sieger der Tour künftig zu beschweigen, könnte im besten Fall also dazu führen, die gängige Erzählung zu hinterfragen. Also Doping als eine Realität des Konkurrenzkampfs zu begreifen, die nicht durch Einzelfälle in Fußnoten verwandelt werden kann, und sich dementsprechend anders dazu zu verhalten. Und eben die Geschichte vom Helden einer Revision zu unterziehen im Bewusstsein, dass dieser unschuldig und strahlend nur im Kino zu haben ist.
Offen wäre dann nur, wie sich das alles unter den gegebenen Bedingungen monetarisieren ließe.
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