Wozu die Kritik gut ist über ihre Aktualität hinaus, hat Günther Rühle in seiner Sammlung von Rezensionen über das Theater der Weimarer Republik formuliert. Sie zeichnet, so Rühle, das wenn nicht vollständige, so doch vielstimmige Kunst-Bild einer Zeit, "das nicht durch Erinnerung verschönt ist". Die historische Qualität der (Theater)Kritik verdankt sich genau dem Umstand, dass Kritik nie für die Ewigkeit, sondern immer für den Tag gemacht ist. Solche Einsichten dienen allerdings nicht dazu, die Person des Kritikers unsterblich zu machen. Wozu sind also Kritiker gut über den Tag der Abfassung ihrer Rezension hinaus?
Liest man mit dieser Frage den Gesprächsband Schlagt ihn tot, den Hund..., herausgegeben von Ingeborg Pietzsch und Ralf Schenk, erhält man eine zwiespältige Antwort. Es ist nämlich zweifelhaft, ob sich über Kunstkritik in der DDR tatsächlich durch Selbstauskünfte der Film- und Theaterkritiker am besten "kritisch und bewertend" (Pietzsch) nachdenken lässt. Oder ob nicht die Dokumentation von Texten - Rezensionen wie Reaktionen darauf - eine klareren Blick auf die Kritik in Zeiten eines staatlichen Meinungsmonopols freigegeben hätte. Wo das veröffentlichte Gespräch mit Filme- oder Theatermachern einen sinnvollen Kommentar zur Kunstproduktion liefert, wirkt die Unterhaltung mit Kritikern - deren Werke zumeist nicht ins kollektive Gedächtnis eingehen, sondern in den Archiven verschwinden - mitunter amputiert. Ein Anhang, in dem die jeweiligen Rezensionen über einige kontroverse Inszenierungen, auf die das Gespräch mit den zwölf Kritikern häufig kommt - etwa Adolf Dresens Faust am Deutschen Theater oder Kurt Maetzigs Film Das Kaninchen bin ich -, wäre wünschenswert gewesen.
So ist Schlagt ihn tot, den Hund... vor allem etwas für Liebhaber. Ein Buch von Kritikern, die respektierten Kollegen oder bewunderten Vorbildern begegnen, für Leser, die durch Zeitung und Radio mit Namen wie Christoph Funke und Irene Böhme, Margit Voss oder Martin Linzer vertraut waren. In den Werdegängen der überwiegend in den dreißiger Geborenen wird die intellektuelle Landschaft der frühen DDR sichtbar, eine Zeit des Aufbruchs, in der noch ein anderes Klima möglich schien als der überheizte Linoleum-Mief der starren Funktionärsbürokratie späterer Tage. Chefredakteure wie Bernt von Kügelgen (Sonntag), Fritz Erpenbeck (Theater der Zeit), oder der bald in Ungnade gefallene Joachim Herrnstadt (Berliner Verlag), wirkten auf die jungen Kritiker als "herausragende Figuren". "Der Sonntag war eine kleine Redaktion. Es waren Leute versammelt, die sich als Verbündete verstanden", erinnert sich etwa Jutta Voigt. "Übrigens siezten wir uns bewußt, um dieses undifferenzierte Genossen-Du zu umgehen." Die Wochenpost-Redakteurin Rosemarie Rehan, die in der Nazi-Zeit aufwuchs und in Breslau, Straßburg und Prag studierte, hatte Joachim Herrmann, der zuletzt ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda gewesen war, als Botenjunge im Berliner Verlag erlebt. Dass Herrmann diese Herkunft "gründlich vergessen" hatte, nachdem er in Staat und Partei aufgestiegen war, erzählt im kleinen, wie die Hoffnungen auf das bessere Deutschland sich im Laufe der Zeit erledigten.
Im Zentrum der Gespräche steht jedoch die Frage, die aus dem Buch mehr macht als eine Ansammlung persönlicher Anekdoten und Auskünften zu journalistischen Arbeitsweisen: Was vermochte die Kunstkritik in einem Staat, der eindeutige Vorstellungen vom Tenor der öffentlichen Meinungsäußerung hatte?
Der Filmemacher Egon Günther markiert in seinem Nachwort den eng gesteckten Rahmen, in dem sich Kritik in der DDR bewegen konnte: "Vom Rausschmiß bedroht, von Nötigung zur Selbstkritik, überglücklich in den Zeiten entweder relativer Gelassenheit der obersten Politkader oder deren augenblicklicher Schwäche. Da sie nicht frei waren, mußte man ihnen mißtrauen. Da wir nicht frei waren, mußten sie auch uns mißtrauen." Günthers prägnantes Resümee - "Das war, liebe Leser und Freunde, ein Scheißspiel" - bringt das zermürbende Hin und Her zwischen Repression und Entspannung auf den Punkt. Das Ringen um das Machbare ereignete sich auf einem kleinen Feld, das durch DDR-typische Relativierungen im Rückblick ausgeweitet scheint. Im Radio war die Freiheit größer, weil das gesprochene Wort sich mit seiner Ausstrahlung versendete; der Gewerkschaftszeitung wurde in Sachen Kultur weniger Aufmerksamkeit beigemessen als einer großen Tageszeitung; überhaupt war das Feuilleton verglichen mit anderen Ressorts ein freierer Raum, was dazu führte, dass die Wirkung von Kunst und Kritik überschätzt wurde. Weil das Prinzip der Kritik überhaupt "in der DDR verkümmert war" (Wolfgang Gersch), wurden die Rezensionsspalten zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges, der in wechselnden Koalitionen Künstler und Leser als Verbündete voraussetzte. In vielfältigen Abstufungen bestätigt Schlagt ihn tot, den Hund... derart das Wort von der "Nischengesellschaft" DDR. Schwerer beizukommen ist dagegen dem Reizwort Zensur, weil nicht genau festzulegen ist, wo der Kniefall vor den eigenen Überzeugungen begann. So verweist Renate Holland-Moritz zwar darauf, "nie etwas unterschrieben (zu haben), das ich nicht auch geschrieben hatte", aber die "Schere im Kopf" bestreitet niemand.
Wenn auch solche Erkenntnisse nur einen geringen Neuigkeitswert zu haben scheinen, so offenbaren die Gespräche doch eine Qualität, die nur mit einigem zeitlichen Abstand von der DDR zu haben ist. Durch die allmähliche Historisierung des SED-Staats, die mit jedem Jahr zunimmt, in dem die DDR nicht mehr existiert, wächst die Aussicht auf Erfolg, die Widerstände der sozialistischen Gegenwart in den Teppich der eigenen Biographie einzuweben. Die Distanz zur DDR lockert das identifikatorische Joch, das den Einzelnen aufschreien lässt, wenn das Ganze betroffen ist, und schützt so vor einer Trotzhaltung, die leicht zu falschen Gefühlen verführt. Gänzlich frei von "verschönter Erinnerung" ist auch Schlagt ihn tot, den Hund... nicht. Bei manchen Fragen von Ingeborg Pietzsch scheint der Minderwertigkeitskomplex der realen DDR sich fortzusetzen, wenn dem Theater unbedingt "Weltgeltung" attestiert werden muss; wäre statt nach Übereinstimmung suchender Nähe zum Gesprächspartner Zurückhaltung womöglich angemessener gewesen.
Gegen zuviel Sentimentalität im Rückblick auf die DDR genüge es, ein Neues Deutschland von damals in die Hand zu nehmen, rät Jutta Voigt. Nach der Lektüre des Gesprächsbandes empfiehlt sich als weniger abschreckende Maßnahme das Interview mit dem Filmkritiker Fred Gehler, der 1968 vorübergehend mit Schreibverbot belegt wurde. Jahre später nahm er, wenn auch resignierter, seine Tätigkeit wieder auf. "Das ist schwer erklärbar, wie vieles", aber weil davon ohne große Bitterkeit oder sonderlichen Geltungswillen ("Ich war nicht subversiv") berichtet wird, fügt sich auch das Widerstrebende in einen Blick zurück ohne Bedauern: "Man wurde in eine bestimmte Konstellation hineingeboren. Innerhalb dieser Konstellation füllte man eine bestimmte Rolle aus. Ich denke da ganz historisch."
Ingeborg Pietzsch, Ralf Schenk (Hg): Schlagt ihn tot, den Hund..." - Film- und Theaterkritiker erinnern sich. Mit einem Nachwort von Egon Günther. Parthas,
Berlin 216 S., 19,80 EUR
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