Von den Socken

Film Wenigstens im Schulfach Geschichte hat „Der Staat gegen Fritz Bauer“ eine Karriere vor sich. Über deutsche Historienbilder
Ausgabe 39/2015

Enttäuschung ist das falsche Wort, weil Enttäuschung Erwartung vorausgesetzt hätte. Die aber ist gering bei deutschen Filmen, wenn sie sich mit realen zeitgeschichtlichen Begebenheiten auseinandersetzen (insbesondere aus der NS-Zeit und ihren Folgen), weil alles in Grund und Boden schematisiert wird – so aufwühlend die Ereignisse sein mögen, so schillernd die Personen waren.

Fritz Bauer war eine schillernde Gestalt. Der Frankfurter Generalstaatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse anstrengt und bei der Eichmann-Entführung nicht mit den deutschen, sondern den israelischen Diensten kooperiert, ein sozialdemokratischer Jurist in Stuttgart, der, von den Nazis 1933 als Jude aus dem Amt entfernt, ins KZ kommt und schließlich nach Skandinavien emigriert, um nach Kriegsende zurückzukehren und mitzuwirken an der Demokratisierung der Bundesrepublik, der Verfolgung der Täter.

In Ilona Zioks Dokumentarfilm Fritz Bauer – Tod auf Raten von 2010 ist schon im Prolog Material von der Trauerfeier für Bauer 1968 zu sehen. Auf der würdigt Robert Kempner, der stellvertretende US-Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen, Bauer fast schreiend, wie aus verzweifeltem Entsetzen über die Ignoranz: „Er war der größte lebende Zeuge, nachdem Konrad Adenauer gestorben ist, für ein besseres Deutschland. Er war der größte Botschafter, den die Bundesrepublik hatte.“

Diese superlative Figur begegnet einem in Lars Kraumes nächste Woche startendem Film Der Staat gegen Fritz Bauer nun als Burghart Klaußner mit irre verwilderten grauen Locken und allen kettenrauchenden Manierismen, die sich vom historischen Fernsehmaterial abschauen lassen. Klaußners Spiel ist Kunstgewerbe, Mimikry, zumal es sich ereignet zwischen lauter blankpolierten Alt-Nazis in der Verwaltung auf der einen Seite (Ausnahme: Sebastian Blomberg, der seine Figur durch artifizielle Heiserkeit dem Naturalismus des Bösen entfernt) und lauter zugewandten Junganwälten auf der anderen, von denen der erfundene Karl Angermann der liebste ist, der in Ronald Zehrfelds Körpermassiv zumeist deplatziert im Bild herumsteht.

Der Staat gegen Fritz Bauer spielt Ende der 50er Jahre, im Vorfeld der Auschwitz-Prozesse. Die waren der Fluchtpunkt von Im Labyrinth des Schweigens von 2014, Giulio Ricciarellis jüngst von einer deutschen Kommission zur Kandidatur für den Auslands-Oscar ausgewähltem Film. Verglichen mit Kraumes Bearbeitung hat Im Labyrinth des Schweigens zwar die schauspielerisch bessere Fritz-Bauer-Figur (Gert Voss, zurückhaltend). In seinem historischen Entwurf ist Im Labyrinth des Schweigens aber um einiges übler: Hier überstrahlt der erfundene Junganwalt (Alexander Fehling) Bauers Verdienste und wird im Handumdrehen zum besten Deutschen, der das Gute vor lauter Nazis nicht mehr sieht (in der groteskesten Szene rennt der Junganwalt, weil das Auto liegeng eblieben ist, auf der Landstraße in Richtung des Airports, von dem er Josef Mengeles Abflug vermutet). Und ansonsten dem Wirtschaftswunder-Sindwiederwer den moralischen Akku auflädt.

Im Etablissement

Kraumes Film ist traurig bis anrührend in seiner braven Geschichtsstundenstofflichkeit. Der Staat gegen Fritz Bauer rechnet im Grunde gar nicht mit einem Kinopublikum (pimpt seinen Stoff also auch weder pathetisch oder actionmäßig), sondern ist schon immer für den Einsatz in Gemeindehäusern und Schulklassen gemacht – am besten zu erkennen an der Art, wie Klaußner in gleichmäßig über den Film verteilten Blöcken die Bauer-Biografie als Wikipedia-Eintrag rückwärts erzählt. Das Kapitel über die eigene Feigheit bewirkt unmittelbar einen Tapferkeitsakt bei dem zugehört habenden Angermann; in solcher Logik entwickelt sich der Film permanent.

Als dramatischer Höhepunkt ist die Eichmann-Entführung vorgesehen (Bauer muss den Mossad zum Jagen tragen), die mit Busausstieg auf einsamer Landstraße in abendlicher Dämmerung als Déjà-vu von Raymond Leys aufgrund der Interviews instruktivem Fernseh-Doku-Drama Eichmanns Ende von 2011 erscheint. In dem spielte übrigens Axel Milberg Fritz Bauer.

Es kursieren also durchaus Bilder von Fritz Bauer. Zu denen verhält sich Kraumes Film, in dem er aus der offenen Frage nach Bauers Homosexualität indirekt inszenatorisch Suspense schlägt. Der Staat gegen Fritz Bauer sourct den leicht schmierigen Gossip wohlerzogen an Zehrfelds Stellvertreter-Figur aus (der queere Code, an dem man sich erkennt – auch das zum Mitschreiben inszeniert –, sind Socken). Angermann macht in einem Etablissement am Körper von Lilith Stangenberg eine überraschende Entdeckung, was wiederum der groteskeste Moment dieses Films ist. Die schönen Spezialeffekte!

So faszinierend Fritz Bauer ist, so umstritten ist sein Erbe, was Material für ein aufregendes Feature bieten würde. Die Fronten verlaufen zwischen der Irmtrud-Wojak-Biografie von 2009 und der Ronen-Steinke-Biografie von 2013 (auf die sich Kraumes Film stützt) und mitunter gegen das 1995 gegründete Fritz-Bauer-Institut, dem schon kontraproduktive Erinnerungspolitik vorgeworfen wurde. Streitpunkte sind unter anderem der Tod (angesichts der Anfeindungen durch Nazi-Trolle avant la lettre: doch Mord?) und die Sexualität.

Insofern macht Kraumes Film theoretisch sogar einen Punkt, weil er etwas Neues thematisiert. Praktisch ist das nur leider so dürftig, dass es als Beitrag zu einer Debatte nicht taugt, sondern auf dem Niveau von leicht schmierigem Gossip verbleibt. Und den Thriller, der in Angermanns Komprimittierung steckt, natürlich verpasst.

Angesichts der unbefriedigenden Lage auf dem Feld der Fritz-Bauer-Fiktionen kann folglich am besten das Original empfohlen werden: die Doppel-DVD Fritz Bauer, die Originalaufnahmen versammelt.

Der Staat gegen Fritz Bauer Lars Kraume Deutschland 2015, 105 Min., Start: 1. Oktober

Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961–1968 2 DVDs, Absolut-Medien 2014, 298 Min., 19,90 €

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