„Gender ist eine ständig wiederholte Serie von Gesten“, sagt die Performerin Diane Torr. Vor über 20 Jahren hat sie ein Bühnenprogramm entwickelt, das die Analyse anschaulich macht: Torr tritt als Kunstfigur Danny King so auf, wie Männer auftreten, um zu zeigen, dass die Geschlechterdifferenz kein unveränderbares, biologisches Schicksal ist, sondern eine Show. Auf dieser Basis gibt Diane Torr Workshops für Frauen, die durch konsequentes Reenactment von Männlichkeit etwas über die eigene gesellschaftliche Rolle lernen können.
Einer dieser Workshops bildet das Zentrum von Katarina Peters’ Dokumentarfilm Man for a Day. Was für den Film ein Dilemma bedeutet, aus dem er, um es vorwegzunehmen, keinen überzeugenden Ausweg findet. Die zentrale Frage lautet: Was müsste eine filmische Erzählung leisten, die mehr sein will als die Verdopplung von Torrs anregender, performativer Erzählung? Gerade weil die Travestie, die Torrs Workshop zugrunde liegt, ein filmkünstlerisches Mittel ist, drängt sich der Gedanke auf, dass ein Hybrid aus fiktionalen und dokumentarischen Formen dem Film gut getan hätte.
Für einen Dokumentarfilm sind die Mittel, jenseits des Workshops zu einer eigenen Erzählung zu finden, jedenfalls beschränkt: Dass Vorher-Nachher-Bilder Gefahr liefen, in Erlösungsgeschichten von weiblicher Zurücksetzung zu resultieren, weiß Peters, weshalb die „Ergebnisse“ so angedeutet bleiben wie die einzelnen Lebensgeschichten unfertig, die neben dem Workshop noch angerissen werden. Die Weiterreise von Diane Torr zu Freunden in Italien zu verfolgen, produziert ebenfalls nur Striche zu einem Porträt.
Das Schöne an Man for a Day ist aber, dass sich in der brüchigen, unentschiedenen Dramaturgie einige schillernde Fragmente finden lassen. Die Beobachtung des männlichen Bewegungsmaterials auf der Straße, so etwas wie das Vokabellernen fürs Genderbewusstsein („das ist eure Arbeit“, sagt Diane Torr), kulminiert in einer wunderbaren Szene.
Die eine Frau schaut skeptisch wie beim Kleiderkauf, welchen Mann sie sich als Rollenmodell auswählen möchte. Die andere hat das ihre rasch erblickt, und weil man als Zuschauer Komplize der Frauen ist, übernimmt man deren Blick, um Männer im Gehen aufgeregt wie ein spannendes Buch zu lesen. „Männer sind einfach zu beobachten“, sagt Torr, „weil sie das nicht gewohnt sind.“ Den Höhepunkt, den die Szene markiert, vermittelt sanft die Tonspur, auf der irgendwann nur noch Straßengeräusche die Stille stören. Womöglich wäre das eine hübsche Übung in kritisch-filmischer Kontemplation: mit dem richtigen Begriff von Inszenierung Männern dabei zuzuschauen, wie sie ihr Männlichsein performen.
Dass die Schönheitskönigin Susann im Leben viel Anschauungsmaterial hatte, kann man daran sehen, wie rasch sie zu ihrer Rolle des „Bunnycheckers und Kfz-Mechatronikers Andi“ findet. Susanns Geschichte offenbart eine alltägliche Tragödie, die beim Versuch, Liebe zu finden, immer nur bei Gewalterfahrung und Verlassenwerden landet. Hinter der Trostlosigkeit, die nicht zu der aufgeweckten Frau passen will, steckt der double bind des Geschlechterverhältnisses, aus dem Diane Torr sich spielerisch befreien will.
Auch wenn Peters’ Film keine Erfolge präsentieren kann, so zeigt gerade das Beispiel der alleinstehenden Mutter Susann das Potenzial von Torrs Arbeit: Für ihr Kind wird der „Bunnychecker Andi“ vorerst die Vaterrolle übernehmen.
Kommentare 4
Dieser Artikel ist ein schönes Beispiel dafür, wie man viel reden aber wenig sagen kann.
Zum Thema: Für einen Tag einen Mann zu simulieren bringt herzlich wenig. Ich empfehle für Interessierte das Buch "Enthüllungen: Mein Jahr als Mann" von Norah Vincent. Ein Bericht einer Frau, die ein ganzes Jahr als Mann unterwegs war und unter anderem die Bereiche Freundschaft, Sex und Liebe erkundet hat.
Wann wird eigentlich mal das umgekehrte Experiment gewagt? Würde mich schon interessieren, was ein Mann zu berichten hätte, der als Frau das Leben erkundet.
Man(n) kann die Sache auch anders angehen. Subtil. Beim Lesen fragte ich mich, wie oft ich denn eigentlich "ein Mann" bin - sprich, mich als Frau bewusst oder unbewusst "männlich" verhalte. Da gibt es eine ganze Reihe Situationen, aber sie sind authentisch. Da kommt der andere Anteil durch, weil in diesem Augenblick, es mögen manchmal nur Sekunden sein, die offizielle Rolle getauscht wird. Die Evolution schlägt mal kurz einen Salto. Warum? Weil es natürlich ist. Weil es günstig ist. Weil der rechte Moment viel freier wahrgenommen wurde, als wenn man nur an seinem immergleichen Geschlecht klebt. Das gilt natürlich für beide Geschlechter.
Geht es denn nicht fast jedem so, dass er immer mal wieder in die andersgeschlechtliche Rolle schlüpft. Ohne sie zu inszenieren?! Ich vermute, dass im Laufe der Evolution sich die Geschlechtsunterschiede noch in vielen Bereichen wesentlich mehr vermischen und verwischen werden in einem Maße, dass uns ähnlich schwer vorstellbar ist, wie dem Jäger der Urzeit der heutige Typus des "Softies".
Auch wenn die Androgynität, die so manch ein Zukunftsprophet voraussagt, derzeit kein Thema ist (allerdings: das dauert!, Warten Sie nicht darauf! Es können leicht noch ein paar Millionen Jahre werden!) - so ist es durchaus als Thema interessant, wieviel und welche Anteile des anderen Geschlechtes man auf natürliche Weise nicht nur in sich trägt, sondern vor allem, was daraus zu machen ist.
Wie ein Mann zu trinken, gehen, von mir aus auch rülpsen usw. mögen Kinderspielchen oder auch mal eine künstlerische Performance sein, aber als Frau wie ein Mann in gewissen Momenten authentisch zu sein, weil man es so fühlt, und dann "wird" oder "ist" ist eine Lebenserweiterung, ein Experiment, das höchst erstaunlich sein kann. AUch kreativ, spannend und ... bewusstseinserweiternd, sofern man die Wahrnehmungsorgane für all dies fein schult und die rechten Schlüsse daraus zieht.
Machen wir aus diesem Theater doch lieber eine bunte Wirklichkeit, die nicht nur belustigt oder bereichert, sondern durchaus auch handfest genutzt und für Allerlei gebraucht werden kann.
Meine Vermutung zu Geschlechterrollen: Wenn ein Mann sich zu feminin bewegt oder äußert wird er in unserer Gesellschaft schnell mal als "tuntig" wahrgenommen. Das mag im Einzelfall gewollt sein, entspricht jedoch wahrscheinlich nicht dem "Beuteschema" der Frauen. Also, zumindest anziehender wirkt dann wohl nach wie vor: "Gutaussehend und erfolgreich, männlich herb und möglichst groß und stark ".
Wo Männer in Deutschland sonst noch erfolgreich sind, habe ich hier einmal grafisch dargestellt.
@ meyko, beeindruckende Grafik, die ebenfalls ein Blick auf die Wirklichkeit darstellt und dennoch auch wiederum zugleich verzerrend ist, würde man die positiven männlichen Anteile dabei vergessen.