Philosophische Frage: Hat die neue Tatort-Saison angefangen, wenn sie mit einem Tatort aus Luzern anfängt? Oder ist der Tatort aus Luzern nicht der Baum im Wald, der umfällt, wenn keiner dabei ist? Ein Übergangsstadium zwischen den Wiederholungen der Sommerpause und den neuen Folgen wie Fette Hunde aus Köln am nächsten Sonntag? Ein Film, bei dem man gar nicht merkt, ob er neu ist oder wiederholt wird, weil er sich so routiniert an seinem nicht uninteressanten Thema abarbeitet, dass es ihn auch schon gegeben haben könnte?
However, Tatort ist Arbeit und die Luzerner Folge Hanglage mit Aussicht, nüchtern betrachtet, nichts anderes als eine Einstimmung auf das Mittelmaß, das auch den Großteil der neuen Kampagne ausmachen wird. Dabei geht es durchaus um was, um die Korruption von Lokalpolitik, eine – spezifisch schweizerische, aber strukturell auch überall vorstellbare – steuergeldgesteuerte Standortpolitik, die Wirtschaft und Wohlstand als Markt driven denkt, dafür aber dauernd diesem Markt in der Boxengasse eigener Möglichkeiten die Reifen aufziehen muss.
Interessant wird der komplexe Entwurf eigentlich erst am Ende, wenn der fiese Anwalt Louis Kaelin (Imanuel Humm) sein Dilemma als Mover und Shaker nach bestehenden Regeln erklären darf: "Die politische Situation ist einfach völlig schizophren, oder? Einerseits unterbieten sich die Kantone mit Pauschalbesteuerung da und Steuergeschenken dort, und andererseits werfen sie einem ständig Knüppel zwischen die Beine, wenn ein Ausländer Grund und Boden kaufen will. Dabei sind’s ja gerade die, die das Geld ins Land bringen, oder? Wenn wir ehrlich sind. Oder was meinen Sie, wer zahlt Ihren Lohn? Doch wohl sicher nicht der Bergbauer."
"LS" und "NS" vs. "KS"
Für dieses Dilemma interessiert sich Hanglage mit Aussicht allerdings so wenig wie für die Erklärungen des diesmal höchstzwielichtigen Regierungsrats Eugen Mattmann (der große Jean-Pierre Cornu), der seine politische Einflussnahme auf die Umwidmung des Gebiets, in dem der idyllisch-marode Berghof Wissifluh steht, von "LS" und "NS" zu "KS", so darlegt, dass man sich daraus ein realistisches Bild von politischem Handeln in Zeiten der Markt driven Öffentlichkeit bauen könnte. Das ist das Elend dieses Tatort (Buch: Felix Benesch, Regie: Sabine Boss): dass er nicht in die offenen Räume vordringt, die sich durch den Entwurf auftun, sondern immer nur Zeugwart sein will, der die Leibchen fürs Gut-Böse-Trainingsspiel verteilt.
Die aufregende, komplexe Geschichte, die "Hanglage mit Aussicht" erzählen hätte können, wird nicht erfasst von einer Form, die in ollen Kamellen festhängt. Die Widerstandszelle auf der Wissifluh ist dem Heimatfilm abgeschaut, bei dem sich zwischen Mistgabelstapler Old Arnold (looks like a ausgezehrter Tilo Prückner: Peter Freiburghaus) und der Tochter (Sarah Sophia Mayer) ein Generation Gap auftut, das die drohende "Modernisierung" radikal (eben mit der Mistgabel) oder pragmatisch-erschöpft (durch Verkauf) handlen will. Reto "Flücki" Flückiger (Stefan "Gubsern" Gubser) muss zickig auf Topchecker machen, der lange auf der Ersatzbank geschmort wird, damit im zweiten Teil wiederum alle froh sein können, dass er mit sich mit erfahrungsgesättigten Zweifeln doch nicht so leicht ins Bockshorn jagen lässt. Solche Zwistigkeiten lenken ab und verbrauchen Dialog, der sowieso immer klingt nach Zwischenbilanzen von Verwicklungen, die sich das Drehbuch ausgedacht hat.
Eine andere, merkwürdige Form der Erzählung ist die Presenter Ermittlung, die sich der Spielfilm offenbar beim durchformatierten Fernsehen abgeschaut hat. Das rechnet nur mit einem Zuschauer, der Zusammenhänge erst dann begreifen kann, wenn sie ihm durch einen Reporter und Erzähler präsentiert werden, der seine Reportage erlebt oder das von ihm erzählte Problem am eigenen Leib: Flücki packt aus seiner Robin-Hood-Sympathie am verwaisten Berghof an (Old Arnold sitzt ja ein, weil die Politik es so will), füttert die Schweine und tauscht seine Halbschuhe (die so oft vorgezeigt werden, dass sich die Firma, die sie herstellt, nicht ärgern wird) gegen Gummistiefel ein.
What a Unsinn, und da muss man nicht einmal vom Lieblingsvorwurf des Zuschauers reden ("unrealistisch!"), sondern nur drauf verweisen, wie falsch diese Parteinahme als Tool zur Gesellschaftskritik ist. Wenn Flücki am Ende Mattmann off the record die unterstützende Rettung des Berghofidylls abtrotzt, dann ist das genauso korrupt wie das Supporten der Investoren zuvor – nur zugunsten der guten Sache. Da wird Pupsie Müller aka Lil' Fritzchen über den Kopf gestreichelt – ist schon alles nicht so schlimm.
Hände aus den Taschen
Kamera und Inszenierung laufen sonst auf Tourismuswerbung hinaus (diese Totalen ins Tal sind wirklich allerliebst) beziehungsweise auf dröges Rumgerenne: Liz Ritschard (Delia Mayer) steckt ihre Hände so unterrepräsentativ in die Taschen der Lederjacke, dass man sie entweder zu vier Wochen Praktikum bei der so wunderbar herumschlenkernden Connie "The Amtsflur is my Catwalk" Mey in Bankfurt verschicken möchte oder eben der Regie empfehlen, Liz anders in Szene zu setzen.
Flücki holt derweil wieder den Womanizer raus, als den man ihm bei Klara Blum am Bodensee "dereinst" (Thomas Mann) kennengelernt hat. Reizvoll sind die zahllosen Helvetismen ("Gopfriedstutz", "das schenkt natürlich mehr ein", "mach jetzt kein Büro auf"), die einen jedoch auch nur daran erinnern, dass die vermaledeite Synchronisation der Tonspur jede Atmosphäre austreibt. Da sitzt man dann allein mit der Musik (Fabian Sturzenegger), die leider die meiste Zeit so wirkt, als wäre der Produktionspraktikant am Ende in ein Geschäft für Filmmusiken geschickt worden, in dem saisonbedingt die Regale leer waren und nur noch ein USB-Stick rumlag, auf dem "irgendwie spannend" stand.
Eine Unsitte, die die Zeit kostet, die damit gespart werden soll: Essen am Computer, man muss sich dauernd die Finger lecken, damit die Tastatur nicht verfettet
Ein Dilemma, in dem man nicht stecken möchte: " Wir von der Immobilienbranche haben mit so vielen Vorurteilen zu kämpfen"
Der Grund, warum wir uns in Gehaltsverhandlungen immer scheinbar dämlich anstellen: "Das Schweinegeld macht einfach jeden kaputt"
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