Warum dauert denn das so lange?

Tatort Die Leipziger Folge "Frühstück für immer" beschreibt die Standardsituationen des Erzählens im Sonntagabendkrimi. Sie ist dennoch ein interessanterer Saalfeld-Keppler-Fall

Leipzig geht bekanntlich zu Ende, nach dieser Folge gibt's noch zwei im nächsten Jahr mit Eve Saalfeld (Simone Thomalla) und Sono Keppler (Martin Wuttke), also ist für Rückschauen und Nachrufe noch Zeit. Wenn sich Lust dazu überhaupt einstellt, denn das Charakteristische an Leipzig ist doch, dass der leading MDR-Tatort (Redaktion: Sven Döbler) so radikal uncharakteristisch ist.

Man erkennt Thomalla und Wuttke schon wieder, und irgendeine Lizentiatsarbeit in Theater- oder Filmwissenschaft wird eines fernen Tages womöglich mit Gewinn noch mal das schauspielästhetische Experiment unterm Mikroskop betrachten, bei dem ein Burgtheaterteilchen und ein Fernsehgesichtmolekül zu einem Sonntagabendkrimi verpuffen – aber sonst? Dass die hotte Einsetzungslegende vom gewesenen Ehepaar groß Funken geschlagen hat, kann man nicht behaupten – vielleicht funktioniert ein durchgehend entwickelter, nicht fall-affiner Strang im Tatort auch nicht (obwohl Rostock das ja aktuell versucht und der Abgang Frieda Jungs von Boros Seite in Kiel zumindest mehr Trauerbekundungen bewirkt hat, als 2015 beim Finale in Leipzig zu erwarten sind).

Kontur gewinnt ein Schauplatz, wenn das nicht zu schulmeisterlich klingt, am ehesten wohl durch pointiertere Geschichten und Entwürfe, die über in Vorbesprechungen erzählte, nie zu sehende Personenlegenden hinausgehen, in denen Kommissarin Kopfmensch-Soundso aus Sonstwohausen in ihre alte Heimat zurückkehrt und dort auf ihr emotionales Gegenstück aus der Bauchgegend trifft.

Tätigkeitsausübungen

Frühstück für immer – ein schöner, wenn auch erratischer Titel (Buch: Kathrin Bühlig) – wäre ein Beispiel dafür, wie man keine Blumensträuße gewinnt in Sachen Profil, obwohl die Folge zweifellos zu den interessanteren Leipziger Fällen zählt (Regie: Claudia Garde, Kamera: Birgit Gudjonsdottir): Das Thema ist interessant, die Durchführung konventionell.

Man könnte sogar von der Standardsituation des Erzählens im Tatort sprechen. Bestehend aus: Salamitaktik der Informationsvermittlung, die Ermittler rennen zwischen den drei, vier Verdächtigen Hallo Spencer-mäßig hin und her, wobei die Interviewten immer beim Tätigkeitsausüben (Aqua-Gymnastik, Lover ausbilden) gezeigt werden wie in einer Dokumentation, die talking heads-Allergie hat. Das "Thema" wird bis in die Gespräche der Ermittler untereinander hinabdekliniert.

Wichtige Handlungsmomente werden der Zuschauerin so markiert, dass sie sie unmöglich nicht checken kann: Wenn Frau Hauptmann (Victoria Trauttmannsdorff) etwa doch weiß, wo die Folterkammer vom Gattengott (Filip Peeters, der Paul de Man aka Lonely Lannerts Trauma aus Stuttgart) ist, obwohl sie zuvor gesagt hatte, nie dort gewesen zu sein, dann wird dieser Satz einfach noch mal über das Bild der Frau gelegt, die ohne zu zögern zur richtigen Tür geht. Sicher ist sicher, gerade bei der Zuschauerunterhaltung.

Faszinierende Begriffstechnologien

Die Lösung darf immer erst nach knapp 90 Minuten gewusst werden darf – zu den Merkwürdigkeiten dieses Passepartouts gehört dann, dass – statt sich sofort mit dieser superdubiosen Zebra-Hardware von Frauenbetörer befassen, den der Venuskünstler Römer (Marc Hosemann) als "pervers" bezeichnet – noch mal der hübsch thüringisch sprechende Mike (Franz Dinda) zwischengeschaltet wird.

Solche Verteilung von Verdacht und Redezeiten ist gerecht, aber lahm. Wie wäre es, wenn Frühstück für immer sich beim dramaturgischen Drive etwas von dem strategischen Kalkül abgeschaut hätte, mit dem in den Foren der Pickup-Artists genannten professionellen Frauenrumkrieger, wie Venuskünstler Römer einer sein soll, Handlungsoptionen diskutiert werden.

Dem Tatort – oder wenigstens Marc Hosemann – ist diese Spielart des begriffstechnologisch faszinierend durchsystematisierten Eroberungsrachefeldzugs aus der Defensive des um Selbstbewusstsein und Daueroptimierung bemühten Mannes im Spätkapitalismus ein wenig fremd: Das große Ziel aller Bemühungen lautet nämlich nicht "Close Fuck", sondern "Fuck Close" – in der totalrationalisierten Emotionsbeherrschung des Pickup-Artistwesens wird hinter jeden erfolgreich erreichten Zwischenschritt ein "Close" als Häkchen gesetzt.

Der Venuskünstler ist allerdings nur Randfigur (obwohl man sich einen Fall im Profi-Abschlepper-Milieu interessant vorstellen könnte, auch wenn das Erklärpädadogik ohne Ende auf den Plan rufen wird), die Hauptrollen spielen in Frühstück für immer Frauen (neben den bereits genannten noch: Ursina Lardi, Inga Busch, Oana Solomon, Helen Woigk), was nicht nur nach letzter Woche gut tut, sondern generell die Sehgewohnheiten ein wenig irritiert. Dass ein Tatort auf die sexuellen Ökonomien der Gesellschaft aus Sicht der Frau schaut und ohne Verachtung über Lebensmodelle außerhalb der Kleinfamilie redet, ist bemerkenswert.

Eine Berufsangabe, mit der man auf gesellschaftlichen Einladungen Aufmerksamkeit generieren könnte: "Ich bin Flirtcoach"

Ein Statement, das aus der Goethe-Zeit datiert: "Allein zu Frau Stein"

Twitter-Darlings, die im Sonntagabendkrimi angekommen sind: "Nein"

Ein Satz von niemals vergehender Schönheit: "Es gibt nicht nur eine Straße in Mockau-Ost."

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