Um nicht immer nur zu kritisieren oder anderweitig klugzuscheißen, sondern endlich auch einmal das Positive in den Mittelpunkt zu rücken, könnte man es vielleicht so sagen: In bewährter Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma Maran-Film holt der SWR mit seinen Tatort-Folgen am Bodensee, in Stuttgart und Ludwigshafen den Zuschauer dort ab, wo ihn die Fernsehfilmisierung der letzten zwanzig Jahre zurückgelassen hat. Man wird nicht überfordert und erst recht nicht behelligt von einem Künstlertum, das glaubte, sein Auftrag bestünde in Wagemut, Genauigkeit oder auch nur einem irgendwie spürbaren Gefühl von Dringlichkeit.
Die SWR-Tatorte gehen runter wie totalrationalisiertes Weltraumessen, bei dem so etwas wie Natur oder Ursprung einfach nicht mehr zu erkennen ist; da gibt es dann nur noch verschiedene Teile in verschiedenen Farben und Verpackungen. Der SWR-Tatort ist wie eine Funktionsmahlzeit, bei dem man immer nur neu kombinieren muss – die Figur ist die Spannung, die da die Liebe, dort sehen wir das gesellschaftliche issue, und für alle Zweifel an Gefühlen, die eine Instantversorgung vielleicht nicht unbedingt gewährt, wird am Ende noch mal, nun ja, Musik drüber gekippt, was man sich vorstellen kann wie das Wirken der allergrößten Schulküchenlady Doris bei den Simpsons, die mit Kippe im Mund die Pampe in großen Kellen ausgibt.
Stuttgart, wie etwa die Folge Tote Erde, unterscheidet sich dann vom Bodensee allein durch die Figuren. Und wirkt "besser", weil Richy Müller als Lonely Lannert nicht umsonst als – wenn man das in Deutschland überhaupt sagen kann – Kinonase ins Fernsehen eingewandert ist; er verbreitet doch immer noch eine eigene Stimmung, auch wenn man nicht auf unbedingt auf die Idee kommt, dass ihm die informationsvermittelnde Ermittlungsmoderation schauspielerische Leistungen abverlangte, an die man sich "dereinst" (Thomas Mann) erinnern würde.
Julias Termine
Busy Bootz (Felix Klare), unser Darling all the time forever, bringt dazu diese herrlichen Moderner-Vater-Situationen ein, die von der Grundträgheit des Stuttgarter Tatort schon treffend erfasst sind und der Spannungsverschärfung durch Gattin Julias ominöse Krankheit eigentlich nicht bedürfen. Das Große an Bootz ist ja die Normalität der Kinderversorgung in Zeiten der Gleichstellung, und Kinder müssen einfach immer angezogen und abgeholt werden und manchmal sind sie auch krank und die berufstätige Frau unterwegs oder aus. Und das führt dann eben zu Perspektiven wie dieser: "Man ruft mich hier an einen Unfallort. Julia hat einen wichtigen Termin beim Arzt, da wär' ich gern dabei gewesen." Zurecht.
Ansonsten ist ansonsten. Es geht in Tote Erde um Umweltaktivism versus Standortunternehmerschweinereien, ohne dass je versucht würde, in die Tiefe des politischen Raums vorzudringen, der sich dort auftut. In der "gefühlten Gesamtsozialdemokratie" (Tom Strohschneider) der Reihe, die dieser Tatort mustergültigst abbildet, ist naturgemäß keine Haltung so spitz, dass sie den Zuschauer als Dilemma pieksen könnte: Was die jungen Leute von Ecopirat an Idealismus für die richtige Sache an Sympathie anhäufen, wird ihnen wegen grundsuspekten Eifertums bis über den "Rubikon" (Christian Wulff) am Grenzgebiet zur Straftat wieder abgezogen.
Eine ambivalente Frage wie die von Melli Brandt (Paula Kalenberg) – einer Art Margot Käßmann der Umweltszene ("Nichts ist super") –, ob der sogenannten Sache an den Schaltstellen der Macht besser gedient wäre als in den kompromisslosen Kämpfen des underrepresenteten Aktivism, wird hier immer nur erwähnt und nie wirklich gestellt. Der Tatort am Sonntagabend ist bekanntlich auch dafür da, dass alles so ist, wie es ist.
Subformen der Esche
Ein einziges, großes Sowohl-als-auch (Regie: Thomas Freundner, Buch: ders. mit Wolf Jakoby), bei dem alles noch mal gesagt wird, was man im Bild auch hätte sehen können ("Mist, ich habe meine Uhr vergessen"), bei dem jeder Witz erstmal um die Ecke kommt, um zu gucken, ob die Luft rein ist, bei dem die Klassiker des Formats abgefeiert werden (der depperte Polizeieinsatz, die Flucht – Haben wir es nicht mit einer Subform der Esche zu tun, Amanda? – des Lukasfreunds Timo angesichts der strunzdämlichen Polizei), dass man müde werden kann. Sehr, sehr müde.
Nebenher sind in Tote Erde die Zweifel an der Staatsanwältinnenfigur von Emilia Alvarez erhört, aber gleich mit der Höchststrafe im Fußball bestraft worden: Auswechslung. Statt sich zu bewähren in der Folge, in der sie mal nicht nur Ermittlungsstände abfragen dürfte, sondern über das geteilte Bett mit Unternehmerlover (Mark Waschke) ins Spiel kommt, heißt die Staaatsanwältin plötzlich Henrike Habermas, spricht schwäbisch und sieht aus wie Natalia Wörner. Still sexy-hexy, das gehört wohl zum Stellenprofil, wenn sie dem Lover im Schicko-Restaurant nur die Zimmernummer rüberreicht (zehn Nummern neben Barschel: 307) für den Lunchquickie.
Erzählt wird die Neue eher nebenher, Eindruck macht dagegen Holger Kunkel als the other Prosecutor, der mit seinem herrlichen Kopf, dem kurzen Schlips und der leichten Plautze gefällt. Philosophische Verwirrung stiftet er lediglich mit dem Satz: "Wie sie wissen, Herr Lannert, hält sich mein Sinn für Humor in Grenzen." Zeichnet einen fehlenden Sinn für Humor nicht aus, dass es von dem Fehlen kein so klar artikuliertes Bewusstsein gibt?
Herr Lannert sorgt derweil für den peinvollsten Auftritt im ganzen Film, wenn er die Nachbarin zum Forschungsreisebeginn an den Flughafen bringt wie ein Ritter und über dieser Szene in quälender Weise eine nicht stattgefunden habende Geschichte liegt. Dabei wirkt das alles sehr pflichtschuldig, wie ein Abwasch, der gemacht werden muss, nachdem er lange liegen geblieben ist. Das Gesicht von der Saraswati (Katharina Heyer) nimmt für sich ein. Was der Figur nicht recht gelingt – sie ist lediglich die bunteste Verpackung im Funktionsdinner, dass dieser Tatort serviert.
Eine Warnung, den man sonst nur aus totalitären Regimes kennt: "Hier haben die Wände Ohren."
Ein Satz, mit dem man auf Stehpartys reüssieren kann: "Ich frag mich immer noch, wo die Erdprobe ist."
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