Was bei der ganzen Jubiläumsseligkeit um 1968 vielleicht etwas zu kurz kommt: Für manchen war die Studentenrevolte nur ein Job, von dem man heute gut gelaunt Anekdoten erzählen kann. Für Leute wie den selbstsicheren Polizisten, der in Gerd Kroskes Dokumentarfilm SPK Komplex noch mal auf dem Revier von einst rumsteht und in schönstem Dialekt persönliche Erinnerungen zum Besten gibt: dass 1971 das Jahr war, in dem sein Sohn geboren wurde, und der Arzt nach vollbrachter Entbindung zu ihm meinte: „Jetzt gehsch du wieder raus und zerschlägsch Studente’.“ Und sich darüber amüsiert.
Der SPK Komplex handelt von einer Leerstelle im Diskurs, einer Fußnote des Aufbegehrens. In Heidelberg gründet sich 1970 um den Arzt Dr. Wolfgang Huber herum das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK). Eine Bewegung, die durch die sorgfältige Rekonstruktion des Films in ihrer Ambivalenz abgebildet wird: Das SPK bedeutete einerseits eine Modernisierungsleistung, weil psychisch kranke Menschen hier nicht länger in „Irrenhäuser“ abgeschoben wurden. Und war andererseits ein Scharnier zwischen 1968 und RAF, weil sich die Gruppe durch den Druck von außen dogmatisierte und radikalisierte; zwei ihrer Mitglieder suchten die Konsequenz aus der Erfahrung der Kämpfe des Dr. Huber schließlich kurzzeitig im bewaffneten Kampf.
Die Wahrheit über das SPK liegt dazwischen. In den Nebensätzen, Gesichtsausdrücken, unfreiwilligen Lachern („Was wollen Sie noch wissen?“), die Kroskes Film zeigt. In den Auslassungen und in dem, wovon nicht erzählt werden kann, weil Bildmaterial fehlt oder Gesprächspartner. SPK Komplex ist ein Film, der mit blinden Flecken umgehen kann, weil es ihm nicht ums Festlegen und Abheften geht, sondern ums Offenhalten und Hinterfragen.
Es ist kein Zufall, dass sich mit Kroske ein in Ost-Berlin sozialisierter Filmemacher des Themas annimmt, über das verschiedene Erinnerungsinteressen wachen. Kroske kommt mit einem anderen als dem im westdeutschen 1968 geprägten Begriff von Dissidenz. Und er kommt von außen, das SPK ist ein Gebiet, auf das der Regisseur durch seinen Film über den Künstler und Komiker Heino Jaeger gestoßen ist.
Wie in Heino Jaeger – look before you kuck (2012) mag Kroskes dokumentarische Arbeit dabei auf den ersten Blick schmucklos und anstrengend wirken: Die Zuschauerin wird in eine ungemein dicht montierte Abfolge von lauter talking heads geworfen (Schnitt: Olaf Voigtländer, Stephan Krumbiegel): Lauter Menschen, die man nicht kennt und erst im Laufe des Films zu verorten lernt, erzählen ihre Sichten auf die und Kenntnisse von der Geschichte.
Manchmal rutscht eine Frage des Filmemachers in die Erinnerungen hinein und gestattet Kontextualisierung. Seine Stimme ist präsent, wo Aktennotizen aus dem Archiv vorgetragen werden. Das medial verfügbare Material wird ohne Firlefanz in den Film integriert: Tonaufnahmen laufen zu den nüchternen Bildern von den Räumen, wie Hörsälen, in denen sie gemacht wurden (Kamera: Susanne Schüle, Anne Misselwitz), oder werden visualisiert einzig durch den Blick auf ein technisches Gerät, das ihr Abspielen ermöglicht.
Auf diese Weise akkumuliert sich die Geschichte des SPK aus lauter sich manchmal auch widersprechenden Erinnerungsbruchstücken. Etwa in der Frage, ob es im Hause des Dr. Huber Waffen gegeben habe. Die Kritik der Gruppe an den Institutionen Staat und Klinik (und wie harsch diese auf die Anti-Psychiatrie-Bewegung reagierten) wird in der umfassenden Erzählung genauso erkennbar wie etwa das Miteinander von Polizei, Politik und Medien in der Bekämpfung des SPK, wenn eine Mitarbeiterin der Rhein-Neckar-Zeitung etwas beschämt erzählt, wie eng und exklusiv der Kontakt zu den Ordnungshütern war.
Der SPK Komplex mag ob seiner Fülle Arbeit darstellen, schafft aber immer wieder Entlastung durch Komik – durch die leitmotivisch auftauchenden Hegel-Lektüren (entweder gar nicht oder zu genau). Am Ende wird vor allem der Prozess gegen Dr. Huber und seine Frau protokolliert, dessen Geschichte sich so aus der Öffentlichkeit ausschleicht: Dr. Huber, der heute an unbestimmtem Ort in Deutschland lebt, ist die eigentliche Leerstelle – der SPK-Geschichte wie des Films.
Berückend ist, wie leichthändig Kroske am Schluss das Gestern zum Heute hin verlässt (wie in Striche ziehen von 2015, wo sich nach der Kunstaktion mit Strich an der Berliner Mauer am Ende ein Bild mit Mauer und Strich in Israel fand): durch eine Fotoausstellung in einer italienischen Klinik über eine ehemalige Anstalt, die aktuell als „Hotspot“ für Migranten dient.
Info
SPK Komplex Gerd Kroske D 2018, 111 Minuten
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.