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Tatort Die Handlanger sprechen russisch, die Staatsanwälte spanisch, die Mafia italienisch: Der Stuttgarter Tatort internationalisiert eine Familientragödie
Typ "Einsamer Wolf": Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert
Typ "Einsamer Wolf": Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert

Foto: SWR / Stephanie Schweigert

Für unseren vor Kurzem auf Anregung von Magda und DanielW ins Leben gerufenen, kleinen Sonderforschungsbereich "Männerbilder im Performativen am Beispiel der Kommissare im deutschen Sonntagsabendkrimi" bietet der Stuttgarter Tatort Blutgeld reiches Anschauungsmaterial. Richy Müller als Kommissar Thorsten Lannert spielt den gerade im Tatort sehr beliebten einsamen Wolf, der schnelle, alte Autos fährt, zu Frauen seit der traumatösen Ermordung seiner Familie aber nur zögerlich Kontakt aufnimmt. Stattdessen gesellt sich zu dem einsamen Wolf in dieser Folge nun zeitweise ein einsamer Hund: der Hund, der bei der Ermordung von Marc Simons Familie übrig geblieben ist und den Kommissar Lannert spürnasig dort findet, wo nach dem Regen keiner mehr nach Spuren sucht – im Garten des Einfamilienhauses der Simons.

Wo mit Lannert ein cooler Schweiger ermittelt, der laisser-faire-esk das Schießtraining verpassen kann, weil er sowieso immer in die 12 trifft, wenn's drauf ankommt, braucht es einen gestressten Mittler zur Vermittlung. Felix Klare als Kommissar Sebastian Bootz gibt im Stuttgarter Tatort nicht nur den Juniorpartner, sondern bildet auch den Link zur bürgerlichen Welt: Anders als Lannert hat er Frau und Kind, trägt aber trotzdem noch lässiges Outfit (die karierte Hose, holla!). Dass dieser Ausgleich zwischen Familienleben und Berufsalltag, in dem wir Bootz ja vor allem erleben wollen, nur permanent misslingen kann, wird in Blutgeld anschaulich. Bootz kommt wegen der sich nicht ans 9-to-5-Gebot haltenden Ermittlungsarbeiten zu spät nach Hause, um den Hochzeitstag (sic!) feiern zu können: Dank Babysitter war ein Tisch im "Il Gattopardo" (Visconti-Zitat! Und am Ende vergiftet durch die Mafia-Aktivitäten, die der Fall zu Tage fördert?) bestellt, der jetzt futsch ist. Und das Ersatzmenü am nächsten Tage kommt mit 2 statt avisierter 5 Gänge aus.

So sehen wir an Bootz, was wir bei Marc Simon (Stephan Kampwirth) noch deutlicher sehen: Das Leben des Mannes in unseren Tagen zwischen Beruf und Familie ist eine permanente Überforderung, von der zumeist mit Sympathie für diesen Mann (Buch und Regie: Martin Eigler) erzählt wird. Bei Marc Simon ist der Konflikt ins Extreme gesteigert: Er muss gleich zwei Familien mit sonnigem Lebensstil versorgen, weil die Liebe für ihn ein seltsames Spiel ist – er liebt seine Frau und Tochter so sehr wie Cornelia König (Lisa Martinek), mit der er einen Sohn hat (Jonas Meyer), so dass Simon sich nie für die eine oder andere entscheiden kann. So viel Gefühl (dazu ist der Mann unserer Tage durchaus fähig) führt zwangsläufig in die Kriminalität: zwei Häuser mit zwei Hausfrauen (wir sind in Stuttgart) kann der Bankjob nicht ernähren, weshalb Simon dann auf Gelder von Mafia-Kunden zurückgreift, die naturgemäß nicht amused sind, wenn sich fremde Leute an ihrem durch Immobilien und Hotels und Restaurants mühsam gewaschenem Geld vergreifen.

So gesehen erzählt Blutgeld von einer privaten Bankenkrise, aus der am Ende, wer sonst, der Staat in Gestalt mitfühlender Polizisten hilft. Schuld aber am Dilemma des Mannes ist die Globalisierung, als deren Metapher hier das organisierte italienische Verbrechen steht. Anschaulicher als in jedem Leitartikel zur Wirtschaftskrise ist in Blutgeld, dass Wirtschaftskrisen von der Krise des zeitgenössischen Mannes nicht zu trennen sind: Bezeichnenderweise verdächtigt der Schwiegervater kurz nach dem dritten Herzinfarkt den nichtsnutzigen Schwiegersohn des Mordes an der Tochter und der Enkelin – ein Muster, das uns im bedrohten Kernland deutscher Wirtschaftlichkeit unlängst schon begegnet war. Wo die Elterngenerationen ihren Lebensabend im Wohlstand selbst verdienten Vermögens verbringt, bringen eben nichtsnutzige Schwiegersöhne nichts mehr zustande. Der zynische Schluss, dass die Eliminierung der einen Familie ökonomisch nur als Gesundschrumpfen aufs Kerngeschäft verstanden werden kann, verbietet sich freilich.

Folglich: Ein anregender Tatort, dazu nicht unspannend und mit finaler Pointe, bei dem am meisten stört, dass der große Hans-Jochen Wagner als dusseliger Freund des Familienvaters eher keine Rolle spielt.

BELIEBTE VERABSCHIEDUNG AUS DEM BÜRO, WENN DER KOLLEGE NOCH ARBEITET: "Mach nicht mehr so lang!"
EINE ENTWAFFNENDE FRAGE EINER VERDÄCHTIGEN, DIE JEDE VERHÖRSITUATION UMKEHRT: "Lieben Sie Ihre Frau?"

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

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