Wieso?

Tatort Es wird epischer: Charia Furtholm aka Malotte Lindwängler bringt den Betrachter in dem eigentlich brisanten Tatort "Mord in der ersten Liga" an den Rand des Wahnsinns

Höchstbrisantes Thema im Tatort aus Hannover: Es geht in Mord in der ersten Liga um einen Mord an einem Fußballspieler namens Kevin Faber (Stephan Waak), und im Verdächtigennetz der Täterverunklarung führt ein Strang zum heißen Eisen, entre guillemets, Homosexualität und Fußball (unser geistiges Auge castete schon mal den imaginär-folgenden Anne Will-Gesprächskreis – Gunter Gebauer, Marco Urban, Carolin Emcke und für die Gegenposition würde Christoph Daum wohl absagen). Bekanntlich hat sich bis heute kein aktiver Spieler einer höherklassigen Mannschaft geoutet, und weil es als statistisch unwahrscheinlich gilt, dass, wo so viele Männer sind, keiner homosexuell sein soll, erscheint das "Premium-Produkt" (Karl-Heinz Rummenigge) Profifußball weiterhin als Modernisierungstrutzburg. Heißes Eisen, indeed.

Und dann das. "Ich glaube nicht, dass ein Tatort mal so nah dran war an der Fußballwelt", hat Regisseur Nils Willbrandt dem Presseheft gesagt. Meint damit aber lediglich: all access im Hannoveraner Stadion. Es ist ja schön, dass der lokale Verein die Dreharbeiten unterstützte, aber man schaltet am Sonntagabend doch nicht den Fernseher ein, um den PR-Goodwill zwischen zwei "Premium-Produkten" (Karl-Heinz Rummenigge) wie dem Tatort und Hannover 96 gutzufinden. Man will einen spannenden Krimi mit gesellschaftlicher Relevanz sehen.

Und dann das. Schuld ist, uns macht das auch keinen Spaß, die Maria-Furtwängler-Figur Charlotte Lindholm. Es ist zwar ein bisschen spekulativ zu behaupten, dass das Heiße-Eisen-Ding tatsächlich nur von einer Schauspielerinnenrolle – das kann man in Hannover ja nie richtig trennen – ermittelnd angepackt werden kann, die Ambitionen auf das Bundespräsidentinnenamt hegt. Aber zum Höchstoffiziösen der Supermom Charia Furtholm trägt es zweifellos bei, dass Malotte Lindwängler sich als her own Charity-Lady um gesellschaftliche Befriedung auf höchstprekärem Terrain kümmert. Am Ende bleibt das Thema gerade angerissen: Die Boulevard-Presse aka "Blöd-Zeitung" (Ex-Hamburg-Kommissar Paul Stoever) spielt in den Überlegungen, warum schwule Fußballer zu ihrer Sexualität nicht stehen können, fahrlässigerweise überhaupt keine Rolle. Und ob dem Thema mit der Rocky-IV-haften Rede von Supermom beziehungsweise der Pressekonferenz des schwulen Spielers irgendein Dienst erwiesen wurde - man weiß es nicht.

Wo ist Mike Hanke?

Die völlige Überforderung durch die Lindwängler-Schizophrenie, bei der es dauernd darum geht, Realität und Fiktion nicht zu verwechseln, bringt das Zuschauerhirn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, weil gerade vor dem Fußballhintergrund des "echten" Bundesligavereins eine reibungslose Adaption von Realität und Fiktion einfach nicht mehr möglich ist. Fußball ist so prominent, dass er nachgestellt immer blöde aussieht, aber gerade weil es Willbrandt trotz begrenzten Etats ganz gut gelingt, sich mit einer effektiven Schnittfolge in das tatsächliche Bundesligaspiel zwischen Hannover 96 und dem HSV (das übrigens 3:2 ausging) einzuklinken, ist man dann irgendwie irritiert, es nur mit fiktiven Spielern wie Kevin Faber oder dem Ben Nenbrook (Luk Pfaff) zu tun zu haben, statt, sagen wir, Mike Hanke mal beim Autogrammeschreiben zu sehen.

Das Kind von Furtholm (David) wird am Anfang und Ende mit ins Stadion genommen, wobei es, wie immer, so wirkt, als posiere es mit einer netten Frau, die man aus dem Fernsehen kennt für Aufnahmen, die die leiblichen Eltern dann stolz bei Nachbars rumzeigen. Ansonsten wird David abgeschoben zu "Martin", den es in der Serie nicht mehr gibt, was aber das Ende der realen Arbeitsbeziehung des Schauspielers Ingo Naujoks zum Tatort nicht so abrupt aussehen lässt, wie es rüberkam.

Dramaturgisch elegant ist was anderes, aber so muss sich Supermom wenigstens keine Vorwürfe wegen tatsächlich praktizierten Rabenmuttertums machen lassen und kann stattdessen einmal beleidigt seufzen, als das Kind anruft auf dem, wie man in der Schweiz sagt, Telefonbeantworter, um praktischerweise zu verkünden, dass es noch länger bei "Martin" bleiben will. Ob die Fehlbesetzung des Jungen und die Überlastung von Supermom so dauerhaft kaschiert werden können, sei dahingestellt.

Lindwängler kann diesmal jedenfalls alles geben – und das auch noch in Bereichen des Zwielichtigen (Hooligans, Nachtlokale), die in Hannover irgendwie auch durch Realität besetzt sind (was die Sache mit dem Schauen noch mal erschwert), weil Hannover seit geraumer Zeit als die heimliche Hauptstadt erzählt wird (Schröder, Wulff, Fromberg), wobei die Politik immer schon korrupt ist, weil eben mit dem Zwielichtigen im Bunde (Maschmeyer, Hanebuth, Fromberg).

Neuer Lover schlägt sich gut

Die so genannten Hooligans sind die Schaumkrone auf der verwegenen Konstruktion dieses Tatort – sie stehen da als diffuses Zeichen des Superbösen, wo Differenzierung innerhalb verschiedener Fangruppierungen angebracht wäre. Dass sich die Furtholm-Kommissarin mal eben in den Hooligan-Chat einloggt und Treffen mit anderen Chattern vereinbart, ist ein hypertropher Witz: Wer mit der gegenüber Medien (Lindwängler gibt sich wie schon Undercover-Cenk als Journalistin aus – tatsächlich hätte man große Teile dieses Falls lieber in den Händen von Cenk gesehen) äußerst vorsichtigen Szene in Kontakt kommen will, sollte schon lange dafür gearbeitet haben wie der upcoming New Lover von Supermom, der Journalist Jan Liebermann (Benjamin Sadler).

Das führt zu zwei zentralen Aspekten von Furtholm: Zum einen dieses rabatzöse Immer-alles-selber-Machen, was die Bedürfnisse des Fernsehkrimis erfüllt, der natürlich nicht die Muße hat, jahrelange Recherchen darzustellen. Letztlich mag der avancierte, Vorschriften ignorierende Schimanskismus, den Lindwängler an den Tag legt und der besonders lächerlich wird in dem Moment, in dem sie als "Journalistin" mal eben in dem Hooligan-Laden "Kreuzbube" vorbeischaut, für die Straightness von Supermom sprechen – die permanenten Kollateralschäden für die Verantwortung müssen dabei aber immerzu unter den Tisch fallen, wenn man die Figur nicht völlig blöd finden will. Das Hauptproblem von Lindwängler, die sich für ihre Alleingänge immerzu auf das Gesetz beruft, das sie selber dauernd bricht (der Einbruch am Ende samt Laptop-Entwendung – in welchem Prozess käme man damit durch?), ist aber, dass die Figur die Coolness, die sie behauptet und die an Nebenfiguren wie dem schluffigen Ortspolizisten Näter ("Bis später, Näter") ausagiert wird, gar nicht haben kann – weil Coolness als Lebenshaltung in irgendeiner Form mit Unterprivilegierung verbunden sein müsste, wenn sie nicht nur wie Arroganz wirken wollte. Insofern ist Furtholm als Charakter auch deshalb so mühsam, weil sie, guttenbergesk, immer alles zugleich sein will, cool und staatstragend, das Gesetz und die Outlawistin.

Zum anderen erleben wir in dieser Folge den neuen Kandidaten fürs heimische Bett, der, wie vermutet, ein strahlend schöner und unglaublich viriler (Hooliganismus!) Mann ist. Gleichzeitig ist er durch den Tod der Freundin emotional aufs Schönste verwittert, und Tanzen können will er auch. Sein Beruf wird ihn immer wieder in die Welt führen, was für seine Unabhängigkeit spricht – alles andere drückte auf den Sex-Appeal – und die von Lindwängler unberührt lässt. Sorgen muss man sich wie immer nur um das Kind machen, das ja schon eine Mama hat, die nie da ist. Und furthermore dann einen Ersatzpapa, der immer fehlt. Wir haben uns das irgendwie alles anders vorgestellt, liebe Ursula von der Leyen.

Das ist doch mal eine Antwort auf die Frage, warum jemand betrunken war: "Probleme mit meinem Antiquitätengeschäft"

Grammatik, an der falschen Stelle ernstgenommen: diese Hooligan-Foristen arbeiten alle brav mit korrekter Groß- und Kleinschreibung sowie Kommasetzung

Grammatik, an der falschen Stelle vernachlässigt: "wegen" zieht in diesem Tatort immer nur den Dativ nach sich

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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