Es gibt zwar einen Tatort-Koordinator, aber es gibt keine Tatort-Koordination. Oder wie sonst könnte Nina Kunzendorf in dem "Hamburg und Umgebung" genannten Einflussbereich von "Falke aus Hamburg" auftauchen, der diesmal Langeoog meint – gut ein halbes Jahr, nachdem sie in Frankfurt in den Sack gehauen hat als the one and only Conny Mey, und Christine Brandner heißen?
Weiß man jetzt auch nicht. Und ist damit: egal. In tighterem Reihendesign wäre Kunzendorf nach einer so paradigmatischen Rolle wie der der feschen Conny vielleicht nicht lebenslang gesperrt worden für Auftritte als eine andere Nebenfigur. Und, schon klar, Karl-Heinz von Hassel war ein König der Nebenfiguren, ehe er "Fliege" Brinkmann wurde. Aber wenn die ARD Bohei macht um Titelschutz und Markenpflege und wenn man Tatort ein wenig ernst nimmt als System, durch das sich zu bewegen Spaß machen und Sinn produzieren kann, dann ginge so was nicht, was auch immer die echten Gründe, über die man nicht spekulieren mag, sind für die Besetzung.
Hätte es geholfen, Christine Brandner, geb. Mey als die bei der Geburt getrennte Zwillingsschwester von Conny auszugeben, die mit 15 nicht vom Internat geflogen, sondern die bürgerliche Rückenschule vom Fahrradfahren bis zum Klavierspiel erfolgreich absolviert hat? Zumindest unterscheidet Kunzendorf in ihrem Spiel die Auricher Kommissarin mit dem Namen Brandner von der feschen Conny in dieser Weise: äußerlich dezenter, emotional etwas zugeknöpfter, aber doch mit dem Zungenschlag, der das Gegenüber mitunter scheel anguckt von der Seite, ohne das Scheele zu sehr auszuspielen: "Ist mir ein bisschen viel Gegucke hier." Nina Kunzendorf ist deshalb ein solcher Darling des deutschen Films, weil sie mit ihrem Sprechen hinter den Spitzen agiert – oder besser den Breiten eines Standarddrehbuchprogramms, aus dem deutscher Film auch schon mal besteht.
Übernahme vom Main
In Mord auf Langeoog nicht (NDR-Redaktion: Donald Kraemer, Drehbuch: Max Eipp, Stefan Kornatz, Regie: Kornatz), die Geschichte ist gut, die Sätze sind eigen, und die Kamera (Bernhard Keller) ist so weit vorn, also nah dran am Erzählten wie lange nicht; zumal die Insel eine herrliche Kulisse abgibt, die, Vorteil Provinz, so dünn bevölkert ist, wie Produktionsbudgets im allgemeinen kalkulieren. Aficionados werden sich an die Finke-Folge Strandgut erinnern, da war allerdings Sommer auf Sylt.
Das Ganze wirkt also nicht nur wegen Kunzendorf wie eine Übernahme aus Bankfurt, wo – wenn man vom Personal absieht, das immer den ersten zu findenden Unterschied darstellt – eine Form des klassischen, nämlich spannenden Kriminalfalls gepflegt wurde, der auf Mätzchen verzichtet und eben nicht Verdächtigencasting spielt. Zumal Mord auf Langeoog alle Karten auf den Tisch zu legen scheint: Der Tod der Galeristin Bella Gosen aus Hamburg – "Sie wohnte in Hamburg, eine Galeristin" –, begangen vom jungen Stutzer Flori Meinders (Leonard Carow), der den Tod der Eltern nicht verkraftet hat. Und am Ende einen schönen Clou parat hält: Nicht der "Altfall" selbst bringt des Rätsels Lösung, sondern der Justizirrtum, der der Altfall war.
Dagegen noch lange überlegt, ob aus dem Loch der Vergangenheit, in dem Falkes Kollegin Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) auf der Wahrheit auf die Spur kommt, so direkt auf Rainer Bock als Käpt'n "Uwe" Reinders im Pensionsflur geschnitten werden muss, dass auch die letzte Reihe weiß, dass er's ist. Vermutlich muss man irgendwann auch die Trümpfe spielen.
Mag das Implantat
Wenn private Geschichte nerven, dann ist das Reinoperieren von Falke (Wotan Wilke Möhring) als Freund der Familie Meinders, von der noch Schwester Mimi gehört (Fresh as ever: Laura Tonke) und die wiederum Frau vom Falke Kollegen-Buddy-Krawattenhorst Katz (Sebastian Schipper) ist, dann ist dieses Implantat überzeugend implantiert – ohne den Freundes-Familien-Zusammenhang hätte das freie Ermitteln von Falke komplett merkwürdig gewirkt, auch wenn kumpelhafter Gitarrenrock, bei dem der Film sich kurz verabschiedet zugunsten von Sachen, die Möhring und Schipper womöglich auch privat mit Enthusiasmus tun, nicht jedermanns Geschmack sein muss.
Dass Mord auf Langeoog auf fast altmodische Weise elegant ist, steht eigentlich gegen die Interessen, die die Falke-Figur haben sollte. Oder gelingt vielmehr, weil Falke kein besonderes Profil aufweist: Zwar sagt Freund Katz, dass Falke so ein toller Polizist sei, man sieht es nur nicht, wenn er etwa beim Verhör auch Fragen stellen will, die nicht gescripted sind, und dann natürlich nur fragt, was alle fragen würden, also: Script. Man kann so was wie "sehr guter Polizist" vielleicht auch gar nicht sehen in einem Fernsehfilm, und wenn, wäre WWM vermutlich nicht der Darsteller für so jemanden, der ist da einfach zu offen.
Auch Katharina Lorenz scheint ihre Techno-Zicken-Rollenanweisung aus der Auftaktfolge vergessen zu haben, thank God. Wenn man liest, dass sich Falke demnächst um die Lampedusa-Verarbeitung im Fernsehfilm kümmern soll, liegt der Verdacht nahe, die Figur tatsächlich sehr frei verschoben wird auf dem Spielfeld Tatort. Man will nicht klagen, wenn ein so unaufgeregter Film wie Mord auf Langeoog bei rauskommt.
Die Musik hat ihre Momente (Stefan Will, Marco Dreckkötter), die Kunst als Themenfeld bringt tolle Kunstwerke hervor (diese Streichhölzer!) und wird nur geringfügig gedisst ("was alles Kunst ist"). Ansonsten: demnächst mal Langeoog.
Eine Sehnsucht, die mindest einer versteht: "Wo ist Mimi?"
Eine Urlaubsgewährungsregelung, wie sie das Betriebsklima hebt: "Kann man doch einfach mal drauf reagieren und sagen: Hast du, hast du."
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