Über die Mittelmäßigkeit des deutschen Films wird so viel geklagt, dass die einen im Geschimpfe nur mehr eine Kritik sehen, die auf Autopilot geschaltet hat, während die anderen vor einer quasi historischen Konstante kapitulieren: Der deutsche Film kann halt nicht besser sein. Kann er nicht vielleicht doch? Und was müsste sich dafür ändern – nicht an Film A, Regisseurin B oder Redakteur C? Wir haben bekannte Leute aus der deutschen Filmförderszene um Antwort auf einen Vorschlag zu struktureller Veränderung gebeten: „Was halten Sie von einem neuen Fördermodell für den deutschen Film, bei dem Kino und Fernsehen getrennt würden? Die Sender zahlen nicht mehr in die Bundes- (FFA) und die Länderförderungen ein und ziehen sich aus den Fördergremien zurück. Dafür wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen per Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet, für eine bestimmte Summe fertige deutsche Kinofilme zur Ausstrahlung anzukaufen.“ Die Frage ist nicht ganz neu, aber deswegen nicht unaktuell. Zuletzt gestellt hat sie Ellen Wietstock, die deshalb als Erste ihre Intention hinter der Idee erklärt. Matthias Dell
„Auf einen Schlag wären viele Probleme gelöst“
Ellen Wietstock
Herausgeberin des filmpolitischen Informationsdiensts „black box“
Eine Änderung der Machtstrukturen innerhalb der Filmbranche zugunsten der Kreativen und Produzenten ist längst überfällig! Das Modell würde mit einem Schlag eine Reihe von Problemen lösen, an denen der deutsche Film krankt. Die Produzenten hätten Eigenmittel in den Händen, um das nächste Projekt zu entwickeln. Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseure entscheiden nach inhaltlichen und ästhetischen Kriterien, ob sie einen Kinofilm oder einen Fernsehfilm produzieren wollen. Die Ansprechpartner sind klar definiert – die Förderer fördern Kinofilme, die Fernsehredakteure vergeben Aufträge für Fernsehfilme. Es entsteht ein produktiver Wettbewerb. Die Produzenten könnten die Zeit und Energie, die sie jetzt benötigen, um die Klinken der öffentlich-rechtlichen Fernsehredaktionen zu putzen, für die Weiterentwicklung der Drehbücher verwenden. Wenn der deutsche Film und die hier vorhandenen Talente im Weltkino zukünftig eine Rolle spielen sollen – und auch das müsste ein hehres Ziel der Förderer und Medienpolitiker sein –, dann kommen wir um eine klare Trennung von Kino und Fernsehen nicht herum.
„Wird es dann Löwen und Palmen regnen?“
Christian Granderath
Leiter der Abteilung Film, Familie, Serie beim NDR
„Es könnte alles so einfach sein – isses aber nicht“ (Fanta 4). Warum sollte der NDR zwangsweise Kinofilme ankaufen müssen, die er möglicherweise gar nicht – weder im Ersten noch im NDR-Fernsehen – senden möchte? Werden Zuschauer dann in Scharen in deutsche Kinofilme strömen? Wird es nun Palmen, Löwen, Bären und Oscars regnen? Werden deutschsprachige Produktionen kommerziell den englischsprachigen Weltmarkt aufmischen können? Wird so die Unterkapitalisierung der Produzenten beendet?
Das halte ich für eine Milchmädchenrechnung. Hat die Beteiligung eines Fernsehsenders zum Beispiel den Oscar für Das Leben der Anderen verhindert? Oder die Goldene Palme für Das weiße Band? Oder den Goldenen Bären für Gegen die Wand? Oder Publikumserfolge wie Der Medicus, Die Päpstin oder Das Mädchen Wadjda? Oder Debüterfolge wie Chico oder Oh Boy? Die Liste lässt sich fortsetzen. Content is king: „Lass die Affen aus’m Zoo“ (Haftbefehl).
„Dies sind keine getrennten Welten“
Martina Zöllner
Leiterin Hauptabteilung Kultur und Film beim SWR
Ich halte eine Trennung zwischen Kino und Fernsehen bei der Förderung für kontraproduktiv, denn ich sehe die großen Vorteile, die wir uns in Deutschland mit unserem System der Bundes- und der regionalen Filmförderungen aufgebaut haben. Anders als in Frankreich, wo Kino und Fernsehen zwei Welten bilden, die sich kaum begegnen, bildet unser deutsches Fördersystem die Wirklichkeit ab, in der Filmemacher, Produzenten, Fernsehsender als Kreativpartner bei Film- und Fernsehproduktionen zusammenarbeiten. Dies sind eben keine getrennten Welten, und die Mär vom bösen, am Kino nicht interessierten und in Kinoästhetik gänzlich uninformierten Fernsehen kann ich nicht mehr hören. Ein Regisseur dreht heute einen Kinofilm, der in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wird, morgen inszeniert er vielleicht einen Tatort und übermorgen ein TV-Event, das von mehreren Länderförderungen unterstützt wird. ARD und ZDF engagieren sich aus Überzeugung bereits in der Entwicklung von ambitionierten Kinofilmen wie zum Beispiel der SWR als federführender Fernsehpartner beim Kinofilm Elser. Das ist aus meiner Sicht eine Win-win-Situation.
„Umstritten, aber doch exzellent“
Michael Schmid-Ospach
Geschäftsführer Filmstiftung NRW (2001 – 2010), zuvor beim WDR
Fernsehen und Kino sind brüderlich zu sehen, deshalb sind mir nicht nur die Abgrenzungen wichtig, sondern auch die Gemeinsamkeiten. Das „Amphibische“ ist künstlerisch umstritten, aber doch ein exzellentes Modell. Also meine ich: Fortentwicklung der jetzigen Förderungen, auch der freiheitsfördernden föderalen Strukturen, aber zugleich Entwicklung von Spielregeln, damit die beiden Seiten sich nicht über den Tisch ziehen. Einiges muss nämlich korrigiert werden, die vielen Positiva sollte niemand schmähen. Von der Nachwuchsförderung bis zum internationalen Impetus der ganzen Branche ist eine Menge passiert.
„Sender wären aus dem Risiko entlassen“
Gabriele Pfennigsdorf
Stellvertretende Geschäftsführerin FilmFernsehFonds (FFF) Bayern
In der bisherigen Praxis fließen die Fördergelder der Sender in den direkten Produktionsprozess. Wenn sich die Sender darüber hinaus bereits Ausstrahlungsrechte in diesem frühen Stadium sichern wollen, müssen sie einen weiteren, in der Regel durchaus relevanten Finanzierungsbeitrag leisten. Ohne diese Gelder könnten viele Filme erst gar nicht entstehen. Die Sender gehen damit ins Risiko. Das vorgeschlagene neue Fördermodell würde bedeuten, dass die Sender aus diesem Risiko entlassen werden. Ankaufsummen für fertige Filme sind in der Regel deutlich niedriger als Koproduktionsbeiträge. Die Sender könnten sich zukünftig die Perlen des deutschen Filmschaffens heraussuchen und sich in ihrer Wahl an den Erfolgen an der Kinokasse oder an wichtigen Preisen orientieren. Eine Verpflichtung per Rundfunkstaatsvertrag, für eine bestimmte Summe fertige deutsche Kinofilme anzukaufen, kann ja wohl kaum bedeuten, die Sender dazu zu zwingen, auch jene Werke anzukaufen, die im Kino floppen und von Festivaldirektoren abgelehnt werden.
„Mehr Markt täte gut“
Ulrich Höcherl
Chefredakteur „Blickpunkt:Film“
Ein bisschen mehr Markt täte dem Filmproduktionsmarkt in Deutschland tatsächlich gut. Die Rolle der Fernsehsender als Beitragszahler bei der FFA und bei den Länderförderungen ist sehr unterschiedlich. Man muss das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Viele Senderverantwortliche sind sich ihrer Verantwortung für den deutschen/europäischen Film bewusst und investieren doch nicht genug in eine Programmfarbe, die sie obendrein bei den Ausstrahlungszeiten stiefmütterlich behandeln. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Ausgaben für Kinofilme erhöhen, wird sich so konkret nicht in den Rundfunkstaatsvertrag schreiben lassen. Dass sie aber mit den Geldern, die sie dafür ausgeben, nicht einfach alle Rechte erwerben, sondern entsprechend einem ihnen beim Erwerb anderer Programme vertrauten Lizenzmodell lediglich auf eine bestimmte Anzahl oder Zeit begrenzte Ausstrahlungs- oder Nutzungsrechte vom Produzenten erwerben, das sollte festgeschrieben werden. Rechteinhaber muss aber der Produzent sein. Als Förderer des deutschen Films sind die Sender darüber hinaus auch in Zukunft willkommen.
„So würde insgesamt reduziert“
Karola Wille
Intendantin des MDR
Wenn wir nur Lizenzware kaufen, hätten wir im fiktionalen Bereich das Problem, dass wir nach dem Willen des Gesetzgebers keine gekauften Kinofilme ins Netz stellen dürfen. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wie passen die Filme, die ursprünglich für den Kinofilmmarkt produziert wurden, in die Programm- und Markenstrategie und die Positionierung der jeweiligen Landesrundfunkanstalt oder des Ersten? Außerdem: Der Rückzug der Fernsehsender aus den Fördereinrichtungen hätte insgesamt eine Reduzierung der Filmförderung zur Folge. *
* Die Degeto (Geschäftsführerin Inhalte: Christine Strobl), zuständig für ARD-Filmeinkäufe, schließt sich Karola Wille an
„Das haben wir gefordert“
Thomas Frickel
Vorsitzender und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK)
Genau das hat die AG DOK in ihrem Thesenpapier „Kino und Fernsehen – Vorschläge zu neuen Akzentsetzungen“ angeregt. In einer viel beachteten Studie haben wir damals nachgewiesen, wie stark das Fernsehen die deutschen Länderförderungen beeinflusst: in den Aufsichtsgremien, in den Vergabeausschüssen – und letztlich in der Entscheidung für Inhalte, die vor allem eines sein müssen: fernsehtauglich. Manchmal läuft das richtig gut, oft läuft es so lala, aber immer häufiger sorgt diese Verflechtung auch dafür, dass vermeintlich sperrige Erzählformen und eigenwillige künstlerische Handschriften, wie sie vor einigen Jahren der dänischen Dogma-Bewegung zu weltweiter Aufmerksamkeit verhalfen und wie sie das Kino braucht, in Deutschland schon im Projektstadium aus dem Fördersystem herausbrechen. Mit der Konsequenz, dass radikale, anstößige, kurz: aufregende Filme trotz einer immens angewachsenen Jahresproduktion bei uns so selten geworden sind. Diese Entwicklung umzukehren wäre wünschenswert, ist aber verdammt schwer, denn für die Sender ist es ein Bombengeschäft: holen sie aus der Förderung doch ein Vielfaches dessen an Programmwert heraus, was sie an Geld hineinstecken.
„Weitere Auswertung fördern“
Volker Otte
Anwalt für Filmförderungsrecht, Justiziar der FFA (1995 – 1999)
Ich gehe nicht davon aus, dass sich bei einer Umsetzung des Vorschlags etwas zum Positiven ändern würde. Ganz unabhängig von allen Produktionsförderungen bleiben Senderbeteiligungen über Koproduktion oder Lizenzkauf weiterhin maßgebliche Finanzierungsbestandteile für deutsche Filme. Verlieren die Förderinstitutionen ihre Senderbeiträge und dementsprechend auch die Möglichkeit, über die Fördergremien Einfluss zu nehmen, könnte die Bedeutung der Sender sogar noch anwachsen. Denn in den Fördergremien sitzen ja nicht nur Sendervertreter. Mein Vorschlag ist, dass der Einfluss der weiteren Auswertungen, insbesondere der deutsche Verleih und auch der Weltvertrieb, gestärkt werden, indem die Fördermittel hierfür deutlich ansteigen. Zu denken ist zum Beispiel an eine automatische Verleih- und Vertriebsförderung, wie sie ja mit dem DFFF bereits für die Herstellung von Kinofilmen besteht.
„Nicht eindeutig zu beantworten“
Alfred Holighaus
Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie
Am Tag der Filmpreisverleihung des Jahres 2013 hat die Deutsche Filmakademie ausdrücklich und aktiv eine gemeinsame Resolution der Kreativ- und Wirtschaftsverbände des deutschen Films unterstützt, in der die Rolle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für den Kinofilm klar definiert wird. Dazu stehen wir. Ob wir nur über die angesprochene Forderung zu diesem Ziel gelangen können, ist im Augenblick nicht eindeutig zu beantworten. Die Resolution ließ alle Möglichkeiten zu – von der Koproduktion über die Filmförderung bis zum Lizenzkauf. Sie stellte aber eine klare finanzielle Forderung, nämlich „3,5 Prozent der jeweiligen Gesamthaushalte von ARD und ZDF dauerhaft in Kinofilme zu investieren“. Und sie machte klar: „Wir sehen in dem Engagement von ARD und ZDF für den deutschen Kinofilm keine Förderung des deutschen Films durch die Sender. Es ist keine wohltätige Geste, die man sich sparen kann, wenn die Mittel knapper werden. Die Ausstrahlung deutscher Kinofilme gehört vielmehr zum Grundversorgungs-/Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Erfüllung dieses Auftrags ist Teil der Daseinsberechtigung von ARD und ZDF.“ Das Nähere regelt die hoffentlich lebhaft, ideenreich und zukunftsorientiert geführte Diskussion über die Novelle des FFG.
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