Wir müssen offen miteinander sprechen

Tatort Plus mal Plus macht Minus: Rostock-Erfinder Eoin Moore schreibt Kiels Borowski eine Folge an den Hals, die im Wettlauf mit der Barschel-Badewanne nur verlieren kann

Coming-Out ist eine kulturelle Praxis, von der wir annahmen, dass es die gar nicht mehr gibt. Also schon noch gibt, weil die Bahnen der personal Entwicklung nach wie vor heterosexuell verlegt sind und die Abweichung davon, die man selber dann ist, erst einmal festgestellt werden muss. Dass das aber durch dieses Internet, die so called Liberalisierung und einige Vorbilder in Funk, Fernsehen und higher Levels of Repräsentation heute irgendwie unaufgeregter, kein gesellschaftliches Problem mehr sein könnte, weshalb das Coming-Out dann nicht mehr erkämpft werden muss wie in dem gleichnamigen Film von 1989 oder in den Diskussionen dieser Zeit.

Schaut man aber auf die aktuelle Debatte über Entschädigungen für Homosexuelle, die Berlins Arbeitssenatorin Dilek Kolat in die Großpolitik eingebracht hat, sieht man, wie nah das alles ist. Und dann riecht die frische Luft auf dem Gipfel der Modernisierung, von dem aus wir vor Monatsfrist nicht glauben wollten, dass in Dortmund der Patriarchensohn 2012 sein Sexualität noch immer unterdrücken muss, nach bad Mundgeruch. In Kiel verbreitet nun schon wieder ein bevorstehendes Coming-Out Angst und Schrecken, zumindest liegt auf dem Tod von Sauerland der Verdacht, dass damit die späte Selbstentdeckung eines Forty-Fifty-Sonstwas unterbunden werden sollte.

Durchgelüftet könnte der Entschädigungsdiskussion zum Trotz im Tatort dennoch werden, denn die Darstellung vons Ganze, also auch von Homosexualität, ist doch immer so, dass alles, was nicht dieses merkwürdige Norm-Wir ist, Täter oder Opfer sein muss, aber nie normal werden darf. Sieht man in Borowski und der freie Fall ganz gut, wo Sauerlands secret Lover, der Landesminister Karl Martin von Treunau (Thomas Heinze) zwar unschuldig und mit dem Leben davonkommt, dafür aber auch zurücktreten muss, als das Verhältnis offenbar wird. Klingt logisch, macht aber keinen Sinn.

Betty-Wulff-Potential

Jetzt kann man entweder die schnappatmige Konsequenzdynamik des politischen Geschäfts und seiner Satelliten (die sogenannten Medien) beklagen, dass, wo nur etwas passiert, sofort einer Rücktritt ruft. Man kann sich aber auch daran stoßen, wie Treunau scheinbar logisch rausnimmt aus dem Sprint um die Macht: Wieviele Politiker haben Affären oder Horst Seehofer hat von sich auch keinen Abstand genommen, als die Sache mit dem unehelichen Kind rauskam. Gerade der schwierige Weg zur eigenen Sexualität nimmt doch für Treunau ein und lässt das Fragwürdige am Seitensprung in den Hintergrund treten, auch wenn das für die Frau (Christina Große) wenig beglückend sein mag. Wir haben jedenfalls bei der Betty-Wulff-Chose schon nicht verstanden, worin das Drohpotential liegen sollte, das die angeblichen Gerüchte um präpräsidentengattinnene Sexarbeit bei der Weitergabe so hot machte.

Dass hier so lang und breit über die issues des Kieler Falls geredet wird, die sich letztlich als Holzwege entpuppen, hat seine Ursache darin, dass mit diesem Kieler Fall nicht viel anzufangen ist. Nach drei bemerkenswerten Folgen hintereinander landet Boro (Axel Milberg) feat. Sarah Brandt (Sibel Kekilli) in Borowski und der freie Fall auf dem Hosenboden der Tatort-Realität. Die Idee (Fred Breinersdorfer, Buch: Eoin Moore), das fiktive Fernsehkrimi-Kiel 25 Jahre danach mit dem realen Waterkantgate-Kiel des Uwe "Ehrenwort" Barschel zu verbinden, leuchtet nicht recht ein.

Kann sein, dass Fernsehredakteure das anders sehen, weil der Tatort dadurch noch staatsmännischer daherkommt, als er eh schon ist (Der Tom-Buhrow-Cameo-Auftritt müffelt nach krassem Eigenlob aka Crosspromotion). Und für manchen mag der Ansatz, dass hier noch einmal im Genfer Beau Rivage (das uns als Aficionado der Highend-Hotellerie freilich betört) nach einem Mörder gesucht wird, spannungsverschärfend wirken.

Real Barcelona

Aber der ganze Aufriss kann von vornherein nur scheitern: Dass der Tatort quasi nebenher so was Mythisches wie den Uwe-Barschel-Tod aufklärt, wird niemand ernsthaft erwarten. Zumal die Realität noch immer nicht so augmented ist, dass die fiktive Figur eines Films als Mörder eines realen Verbrechens verhaftet werden könnte. Bleibt also nur das Geraune um Waffenhändler und Geheimdienste und das vermutlich für immer: Selbst wenn morgen einer mit der Wahrheit um die Ecke käme, würde man diese Wahrheit also solche eh nicht mehr glauben. Von Personen wie diesem Professor ohne Lehrstuhl (Armando Dotto), die auf die Frage "Sie wissen also, wer Barschel getötet hat und können es belegen?" mit Ja antworten, kann man folglich immer schon sicher sein, dass sie das Ende des Falls nicht erleben werden.

Die Kieler Folge ist also eine kleine Enttäuschung, und das Enttäuschende an der Enttäuschung kommt daher, dass auf dem Papier eigentlich Real Barcelona steht: Kiel, als qualitativ hochstehender Schauplatz, und Eoin Moore, der Erfinder des ebenfalls ambitionierten Rostocker Polizeirufs. Zusammen ergibt das aber nur Durchschnitt – ohne Bukoff, Frau König und die Jungs fällt auf, dass Moores größte Stärke nicht die ausgebuffte Geschichte ist.

Was in Borowski und der freie Fall so an fallrelevanter Informationsvermittlung performt werden muss (stellenweise sogar nachsynchronisiert, how unatmosphärisch), ebnet den Unterschied zu Standard-Köln fast ein. Die Kamera (Jana Marsik) reißt auch nicht viel: Wenn gleich am Anfang auf krasse Subjektive durch die Atembrille gesetzt wird, dann aber nur ein toter Mann auf dem Boot liegt und dahinter eben nicht ein völlig überdrehter Serialkiller wie Eidingers Postzusteller zuletzt in Kiel steckt, dann wirkt es nur wie ein Effekt.

Waffenschmiede WDR

Lustig ist die Geschichte, wo sie Ähnlichkeiten herstellt, die sie nicht sucht: Also nicht Barschel und Genf vor 25 Jahren, sondern Gegenwart. Thomas Heinze empfiehlt sich in seinem Politikerdress als Chrissi-Wulff-Lookalike. Milberg, dem physiognomisch seit je eine gewisse Spitzmaushaftigkeit eignet, sieht in der einen Szene an der Tür zum Landtag, in dem Treunau die eigene Wahl feiert, so nach Oskar Lafontaine aus, dass der Cast für die Lebensgeschichte des sogenannten Saarländers eines Tages nur über ihn laufen kann. In der Angestellten der Rüstungsbude, die – die diesmal um alle Keckheit beraubte – Sarah Brandt zu dem BND-Menschen führt (von dem man auch nichts mehr hört), mussten wir die WDR-Intendantin Monika Piel erkennen. Und bei Marie-Lou Sellems Talklady konnten wir, ohne zu wissen, warum unser Gedächtnis so nachtragend ist, nicht umhin, wenn auch nicht physiognomisch, Sabine Christiansen zu entdecken (Big Gesprächssendung, der Mann hat sich nach langen Jahren des Glücks getrennt).

Wenn man da einen Strich drunter zieht und abrechnet, lässt sich die Realitätsverwirrung, die Borowski und der freie Fall in uns an der falschen Stelle angerichtet hat, in etwa so beziffern: Oskar Lafontaine findet raus, dass Sabine Christiansen ihren Ex-Mann umgebracht hat, der eine Affäre mit Christian Wulff hatte, und der WDR ist eine Waffenschmiede, in der die Chefin Besucher noch persönlich beim Pförtner abholt.

Äh, geben wir lieber rasch zu Tom Buhrow und den Tagesthemen.

Eine Vergleichsgröße, die Schule machen sollte: "Das sieht aus wie Barschels Hämatom"

Eine Figur, die uns aus dem Herzen spricht: "Ich dachte, ich meld's mal, who knows... aber darüber reden, no way"

Einen Ausruf, den mindestens drei Menschen tätigen würden, die wir kennen: "Genf? Da komm ich mit!"

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