Tatort Higher Level, aber nicht unproblematisch: In "Macht und Ohnmacht" kehrt Carlo für ein Gastspiel nach München zurück, wo zwischen den ganz großen Fragen ermittelt wird
Oops, he did it again: Carlo is back in good, ol' Mjunik, der Dauer- und Lieblingsassistent von 1991 bis 2007. Nach dem fulminanten Hinrichs-Tatort vom Ende letzten Jahres macht die Rückkehr von Michael Fitz auf seinen angestammten Platz zwischen den lässig hängenden Spitzen Ivo (Miroslav Nemec) und Franz (Udo Wachtveitl) eventuelle Befürchtungen vorerst zunichte, daraus solle doch wieder ein Dauerengagement erwachsen – dafür ist der Auftritt zu nebenher, auch wenn im Fußball und im Fernsehfilm alles möglich ist.
Nebenher ist eine recht treffende Vokabel für den Münchner Fall mit dem für unseren Geschmack etwas großkalibrigen Titel Macht und Ohnmacht. Beim Trauerfeierexzess für den toten Streifenpolizisten Bressinger (Lasse M
Macht und Ohnmacht. Beim Trauerfeierexzess für den toten Streifenpolizisten Bressinger (Lasse Myhr), dem Höhepunkt der Folge, kann man fast vergessen, dass da draußen noch irgendwo der Ivo und der Franz rumrennen. In diesem Vergessen liegt, gerade mit Blick auf die lange Vita von dem Ivo und dem Franz, die Stärke des Tatort; dass es auch Filme geben kann, die sich emanzipieren vom kommissarschrulligen Aufklärungsaktionismus. In solchen Momenten erinnert die Folge an den Dominik-Graf-Polizeiruf zum Meuffels-Auftakt, und auch wenn Macht und Ohnmacht die Intensität und Größe dieses Films nicht erreicht – man hat es hier mit higher level of Tatort-Fernsehfilm zu tun.Das ist am besten zu sehen an der Figur des Matteo Lechner (Emilio De Marchi), der durch sein ungewöhnliches Bartkunstwerk auffällt und der sich in der Befragung durch le Franz in die Rolle einer Romanfigur steigert – eines Kulturpessimisten, dessen Lamento für sich einnimmt, weil es nach eigenem Sprechen und eigener Sprache sucht: "Ich kann das nicht mehr ertragen, die großen Worte, Phrasen, die uns einlullen sollen, das mach ich nicht mehr mit." Zimmermann (Sascha Alexander Gersak) und dessen Iris (die Whit-Stillman-Darstellerin Sonsee Neu) sind zwar ebenfalls interessant besetzt, bleiben aber doch Typen.Treppe runterfallenMan kann in Macht und Ohnmacht gut sehen, was die Standards des Erzählens sind, weil es dem Film (Regie: Thomas Stiller) immer wieder gelingt, diese Standards zu variieren, den Rahmen des Vorgegebenen ein wenig zu verlassen. Vielleicht nicht so sehr in den Carlo-Szenen, wenn der schwört, dass sein Freund Matteo unmöglich ein Mörder sein könnte, was, mit diesem Einsatz an Schwur (der kommt da extra aus Thailand, um sich dessen sicher zu sein/der Matteo ist schon am Arsch genug), unmöglich hintergehbar wäre. Und auch nicht in der Szene, in der Carlo auf Privatjustiz machen will, weil er nicht mehr im Dienst ist.Sondern eher in der Inszenierung dieses Bentele-Paares, bei dem sie (Alma Leiberg) sich ritzt und die Treppe runterfällt, und er (Torben Liebrecht) Anwalt ist und sehr, äh, emotional. Bei dem bleibt tatsächlich bis zum Schluss offen, ob der Mann nun ein Schläger ist, dessen Fiesheit gerade darin besteht, so jammerlappig zu sein in Gegenwart von Polizei, oder nicht. Oder vielleicht ist offenbleiben das falsche Wort: Der in dieser Beziehung hausende Konflikt ist so unscharf entworfen, dass er gerade dadurch auf sich aufmerksam macht. Some might say, das ist mir zu konstruiert oder so was, wie auch das Arrangement der Kriminalgeschichte sehr lange so unklar bleibt, dass man sich auf abwenden könnte wegen zu großer Erratik. Aber wir würden sagen, dass diese Losheit der Dinge was hat.Sie führt zu philosophischen Fragen, vielleicht auch in anderer als intendierter Richtung. Denn wenn man über die Standards des Erzählens nachdenkt, zu denen auch die Opposition von corpsgeisthafter Streifenpolizistenkorruption vs. rechtstaatsanwaltlichem Krimikommissarüberbau gehört, dann fragt man sich, wozu die Krassheit des behaupteten Polizistenlebens gut ist. Was es über eine Gesellschaft sagt, wenn die sich Geschichten vom Sodom und Gomorrha des täglichen Lebens reinzieht, in denen die letztlich rechtschaffenden Streifenpolizisten derart derangiert sind, dass sie sich nur noch mit privatem Law-and-Order-Mackertum zu rechtfertigen wissen. An diesen Punkt zu kommen, ist irgendwie interessant: Pfeift die nahende Apokalypse da ihre Erkennungsmelodie oder ist nicht, da würden wir zu tendieren, gerade dieses Spiel mit dem endkrassen Schauder (Buch: Dinah Marte Golch, Bearbeitung: Edward Berger) der Sozialporno, den sich die Mittelschichte erzählt, damit sie wieder weiß, worin sie es sich gemütlich machen und wogegen sie sich abgrenzen soll?Kriminalität ist in Macht und Ohnmacht, was über den Tellerrand des Schichtengrusels hinaus gedacht würde (was darin aber wohl exemplarisch ist für die Welt, in der wir leben). Das ist, bei allem, was der Film an Fragen aufwirft, ein wenig schlicht. Es wird allerdings sehr schön und ausdauernd gerannt.Ein Gedanke aus trunkener Nacht, der den Kater am Morgen danach nicht überlebte: "Wenn doch alle einfach nur die Wahrheit sagen würden"Eine Berufsangabe, die Eindruck macht: "Ich bin das Gesetz" Eine Berufsangabe, die keinen Eindruck macht: "Ich bin Lehrer, kein Sozialarbeiter"
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.