Letzte Woche haben wir ja schon gejammert, dass diese Drehbuchautoren, Regisseure und Fernsehredakteure immer so tun, als sei der Tatort resp. Polizeiruf resp. Sonntagskrimi eine Rohrpost, in die man einen Zettel steckt, auf dem die wichtigsten Themen unserer Zeit notiert sind. Aber so ein Sonntagskrimi ist doch mehr als die Hülle für das, was in der Zeitung steht. So ein Sonntagskrimi ist doch auch ein Film, der uns unterhalten und – Krimi! - auf die Folter spannen soll.
Das tat Alles Lüge (auch so ein Titel, der mehr verschweigt, als er sagt) nur selten, auch wenn Ansätze erkennbar sind. In dem Brandenburger Polizeiruf gibt es die Figur des Polizeihauptmeisters Horst Krause (gespielt von Horst Krause), der dem deutschen Polizisten, wie wir ihn uns jetzt einmal vorstellen, mehr realen Raum verschafft, als Kommissarfiguren wie Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), deren Name sich anhört wie das Pseudonym einer Autorin, die dem ZDF die Sonntagabendschnulzen in Südengland schreibt, und aussieht wie eine Tochter, Mutter, „unabhängige Frau“, die in eben diesen Sonntagabendschnulzen durch südenglische Sonnenuntergänge reiten könnte.
Kurz, Horst Krause ist liebenswert, hat in dieser Folge allerdings nicht übermäßig Raum. Der Witz, den die von Imogen Kogge gespielte Kommissarin Johanna Herz (mit dem Namen auch eine Kandidatin für das Konkurrenzprogramm, dann allerdings – Südengland! – als Joanne Heart) wiederholt provoziert, Krause sei ihr bester Mann, worauf der sagt, „ihr einziger“ – dieser Witz verliert an ein wenig an der Beiläufigkeit, die ein liebenswerter Anscheißer wie Krause eigentlich verströmt.
Dass mit dem „einzigen“ entpuppt sich überdies als, nun ja, Bumerang, denn Johanna Herz verliert in dieser Folge ihren Mann, einen Buchautoren, an dessen Lektorin. Eine Szene, die nicht so inszeniert war, dass man sie auf Youtube rauf- und runtersamplen wird: Johanna kauft im Bio-Supermarkt ein, da kauft auch der Mann ein, dann dreht sie sich an der Fleischtheke um, und da ist der Mann, dem die Lektorin um den Hals fällt und "Schatz" sagt. Daraufhin fährt Johanna erstmal durch die Nacht, die Kamera wackelt, weil sie gerade ja ganz von Sinnen ist, und dann kehrt sie in einem Edward-Hopper-esken Tankstellenrestaurant ein, um einsamen Männern französische Chansons vorzusingen. Wie die jetzt in die brandenburgische Provinz kommen? Vermutlich durch die Hugenotten.
Es geht in Alles Lüge auch um die Inszenierung von Oben und Unten, damit man weiß, wo die Probleme hausen (Demografie, Abwanderung, Deindustrialisierung) – also um den Bio-Supermarkt, in dem das Leben noch in Ordnung ist, oder auch das schicke Restaurant au début, wie wir Kulinariker sagen, versus die Dorfschänke, in der gesoffen wird, weil anders dieses sich auflösende Leben um die Schänke herum auch nicht auszuhalten ist.
Der Fall selbst hätte durchaus etwas sorgfältiger auserzählt werden könnte, auch die Figur des zwielichtigen, ehemaligen Ausbilders von Krause ist überflüssig, weil das – wir werden nicht müde, es zu betonen – keine Sau versteht: Wenn der Ausbilder hier zum ersten Mal auftaucht, ist es völlig unerheblich, ob er der Ausbilder ist, weil dann die so genannte Vorgeschichte immer referiert werden muss wie dereinst sämtliche Ämter, die Erich Honecker inne hatte – man will als Zuschauer aber nicht Information erzählt bekommen, sondern Bilder sehen.
André Hennicke sehen wir gern, auch wenn die Rolle des Bürgermeisters ungewohnt ist. Gleiches gilt für Julia Jäger, nur schade, dass es dann am Ende, wenn's um die Familie, das Dorf, die Zukunft geht, doch immer die Frau sein muss, die den Vater des unehelichen Kindes umbringt, damit der polnische Großbäcker endlich seine Großbäckereien ansiedelt.
KANN MAN IM PRINZIP JEDEM MIT AUF DEN WEG GEBEN: „Draußen wartet die große, weite Welt, Du kannst hier nicht einfach versauern.“
KANN MAN WOHL SAGEN: „Wenn ich eins bin, dann diskret.“ (Horst Krause sur Horst Krause)
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