Auf Halde

Überproduktion In Deutschland werden viele Filme gemacht, die kaum einer zu sehen bekommt. Eine Systemfehlersuche
Und auch wenn deutsche Filme ins Kino kommen, erreichen die meisten nur ein sehr kleines Publikum. Vielleicht wäre es besser, man würde sie im Fernsehen zeigen
Und auch wenn deutsche Filme ins Kino kommen, erreichen die meisten nur ein sehr kleines Publikum. Vielleicht wäre es besser, man würde sie im Fernsehen zeigen

Foto: Chromorange/ Imago

Ein großes Filmfestival wie die Berlinale, die heuer zum 63. Mal in der Hauptstadt stattfindet, zeigt vom Eröffnungsfilm Yi dai zong shi (The Grandmaster) von Jurypräsident Wong Kar Wai bis zur letzten Vorstellung am 17. Februar insgesamt 404 Filme. Wer das alles schauen soll, braucht sich die Berlinale nicht zu fragen. Das Festival brummt, freie Plätze gibt es kaum.

Was aber geschieht mit den Filmen nach dem Festival? Lars Henrik Gass, Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, hat einmal vom Festival als dem Museum des Kinos gesprochen. Festivals dienten dann nicht mehr den Premieren der Filme, sie werden vielmehr zum exklusiven Ort, an dem Filme gesehen werden können. Was Gassens Überlegung so attraktiv macht: Für viele deutsche Filme ist dieses Modell schon Realität. Es herrscht gerade bei den abendfüllenden, um künstlerischen Anspruch bemühten Dokumentarfilmen eine Kluft zwischen Festivalbeliebtheit und Zuschauergunst.

Nun könnte man sagen, dass darin das Los künstlerisch anspruchsvoller Filme besteht: Sie werden von der Kritik geschätzt, mit Preisen bedacht, aber die Zahl der Zuschauer, die sich Erzählweisen aussetzen will, die nicht konfektioniert sind, ist eben überschaubar. Und dann wäre das Problem, das nicht leicht zu fassen ist, weil es von so vielen scheinbar nicht in Frage zu stellenden Gewissheiten umgeben ist, gar keines.

Man kann aber auch ökonomisch auf die deutsche Filmwirtschaft schauen und im Zuschauer etwas anderes sehen als die Projektionsfläche einer anregungsunwilligen Grundschlichtheit, der jede Ahnung von Überforderung als Provokation erscheint. Und dann gäbe es schlicht zu viele Filme, eine Überproduktion, die auf staatlich subventionierter Selbstausbeutung basiert und Kannibalisierung bewirkt. 180 deutsche Filme sind 2011 ins Kino gekommen, 138 davon waren fiktional, und wenn man Leute, die schon damals dabei gewesen sind, nach dem Früher fragt, wie den Leiter des Hamburger Abaton-Kinos, Werner Grassmann, dann spricht er von 80 Filmen, die früher pro Jahr ins Kino gekommen sind, also weniger als die Hälfte des heutigen Aufkommens.

Und dabei geht nicht um ein besseres Früher, sondern nur um Relationen. Wenn der Zuschauer im Durchschnitt dreimal pro Jahr ins Kino geht, in jeder Woche rein rechnerisch aber schon drei deutsche Filme starten, dann kann man sagen, dass die Geschmäcker verschieden sind, Auswahl doch wünschenswert ist und Statistik lügt. Aber wenn man weiß, dass einen Kinostart zu haben heute in gewisser Weise eine Formalie ist und in der Realität bedeutet, fast leere Säle zu bespielen, dann kommt man doch ins Grübeln.

Es ist sinnvoll, mit einem Beispiel zu arbeiten, um das Geflecht, aus dem in Deutschland ein Film entsteht und in dem er gesehen werden soll, sichtbar zu machen. Gerd Kroskes Film Heino Jaeger – Look before you kuck ist ein untypisches Beispiel, weil er, was in Deutschland äußerst selten ist, ohne die Unterstützung eines koproduzierenden Fernsehsenders entstanden ist. Dennoch taugt der Film zum Exempel, schließlich ist das Geld, das aus Bundes- und Landesfördertöpfen in seine Entstehung geflossen ist, wie das Geld, das die für die deutsche Filmproduktion so wichtigen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zur Verfügung haben, unser aller, öffentliches Geld.

Vom Glauben an die Quote

Kroskes Film hat beim Leipziger Dokumentarfilmfestival Anfang November die Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb gewonnen [eine Entscheidung, an der ich als Juror beteiligt war, was aber nicht der Grund ist, ihn hier zu diskutieren, MD]. Heino Jaeger hatte seinen Kinostart Anfang November, noch am Donnerstag der Festivalwoche. Was mit den Leipziger Interessen nicht korrespondierte, weil das Festival exklusiver daherkommt, wenn es Filme zeigt, bevor diese anderswo zu sehen sind. Der ungünstige Termin verdankte sich der Qual der Wahl; in der Woche nach dem Festival wären 16 Filme gestartet, in der Woche vom Festival nur 13. Man kann sich fragen, ob diese Zahlen noch einen Unterschied machen.

Im Kino hat der Film bislang knapp 2.000 Zuschauer erreicht. Was die Überlegung nahelegt, ob das Kino überhaupt der richtige Ort ist für diesen Film (oder es nur sein kann, wenn die PR groß genug ist). Heino Jaeger wäre vielleicht im Fernsehen besser aufgehoben, zumal er eine Figur in Erinnerung ruft, die selbst für den Rundfunk gearbeitet hat, ein Hamburger Charakter ist und von prominenteren Fernsehmenschen wie Loriot und Olli Dittrich geschätzt wurde und wird. Das spräche für eine Ausstrahlung im NDR, der sich seinerzeit gegen die Ko-Produktion entschieden hatte, aus welchen Gründen auch immer, und nun den Film ankaufen müsste, was möglich, aber relativ unwahrscheinlich ist.

Selbst wenn der Film zu anstrengend-ambitioniert wäre für den Fernsehzuschauer und mit zwei Stunden auch länger dauert, als jedes Format ist: Die Chance, dass ihn selbst zu später Stunde vielleicht 50.000 Leute sehen würden und damit erstmals in Kontakt kämen mit einer versunkenen, aber spannenden Nachkriegskünstlergestalt wie Heino Jaeger, wäre groß. Und darum ginge es beim Filmemachen doch irgendwie auch: dass Kultur bewahrt wird und Filme gesehen werden. Und darum könnte es doch auch bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehen gehen, das verantwortungsvoll mit dem vielen Geld umgeht, das es bekommt.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen aber hat sich der Quote unterworfen, ohne dass es das müsste: Es bekommt sein Geld doch auch so. Der Glaube an die Quote ist die vorauseilende Angst vor der Abschaffung, die gefordert werden könnte, weil keiner mehr zuschaut. Dabei ist das öffentlich-rechtliche System auf dem Papier und in den Sonntagsreden gerechtfertigt durch Funktionen, die ein freier Markt nicht erfüllen wird. Man kann sich also fragen, ob ein Spartenkanal wie Arte tatsächlich seine Energien investieren sollte in die Steigerung des Zuschaueranteils von 0,8 auf 0,9 Prozent.

Wird aber gemacht, und dafür opfert man dann den wöchentlichen Sendeplatz für den langen Dokumentarfilm, was zu einem Rückstau bereits produzierter Filme führt, die wegen der Streitigkeiten mit den Verlagen über die Internetaktivitäten nicht einfach online weggesendet werden können.

Weil ein Fernsehprogramm dem Zuschauer in Zeiten der minutiösen Quotenmessung nur durchformatiert zuzumuten ist, gibt es wenige Sendeplätze für viele Filme, die sich dann um diese Plätze balgen. Zum Missstand trägt zuletzt die Kinoauswertung bei, die bei der Förderung verpflichtend ist. Dass Gelder heute vergeben werden ohne den Letter of Intent eines Verleihers, kommt nicht mehr vor. Damit entstehen aber Sperrfristen, die für die Auswertungszyklen von Hollywoodproduktionen relevant sein dürften, kleine und unbekannte Dokumentarfilme aber vergessen machen. Ein Film, den im Kino kaum ein Zuschauer gesehen hat, muss eineinhalb Jahre warten, bis er ins Fernsehen dürfte.

Keine Geduld mehr

Der Deutsche Filmförderfonds, der in den letzten Jahren für frisches Geld zur Filmproduktion gesorgt (und die Standortförderung beim Kampf um internationale Großproduktionen subventioniert) hat, versucht auf das Zuviel an Produktion mit neuen Richtlinien zu reagieren: Die Zahl der Kopien, mit denen ein geförderter Film in die Kinos kommen muss, ist in diesem Jahr erhöht worden. Daraus resultieren entweder fantasievolle Auflagenerfüllung (weil aus anderen Quellen schwer Geld zu bekommen ist) oder größere Schwierigkeiten für kleine Filme. Die Programmkinos wiederum ächzen unter dem gewachsenen Angebot an Filmen, das sie im Wochentakt zu Erstaufführungskinos machen kann. Das Nachspielen fällt aus, die Geduld, einen kleinen Film sich entwickeln zu lassen, gibt es nicht mehr.

Das sind so ein paar Probleme der Filme auf dem Weg zum Gesehenwerden. An diesem komplexen, fehlerhaften System etwas zu ändern, funktionierte wohl nur, wenn die Begriffe von Fernsehen und Kino, die dem nicht so schlecht ausgestatteten deutschen Fördersystem zugrunde liegen, sich ändern. Bis es soweit ist, besteht die Hoffnung auf Entdecktwerden und Sichtbarkeit für einen Film wie Heino Jaeger wohl nur im Internet, wo eine digital und nach den Gesetzen vermutlich illegal gemachte Kopie nach der DVD-Veröffentlichung auf ihre Zuschauer warten könnte. Was das über das mächtige, öffentlich geförderte System an medialer Verbreitung in Deutschland aussagt, möchte man lieber für sich behalten.

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