Kräftemessen im Angesicht des Terrors

Terror Kopenhagen. Vor kurzem erst Paris, jetzt Kopenhagen - und dennoch erfährt die Beleidigten-Fraktion deutlich zu wenig Widerspruch bei ihrem Versuch, die Diskursregeln zu bestimmen

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Und jetzt also Kopenhagen. „Who’s next?“ möchte man zynisch fragen, angesichts der Tatsache, dass das Massaker von Paris gerade einmal fünf Wochen zurückliegt. Keine Frage, der islamistisch motivierte Terror ist in Europa angekommen. Das alleine ist schon genügend Grund zur Sorge. Sorge bereitet allerdings auch, dass dieser auf ein gesellschaftliches Klima trifft, in dem ausgerechnet jene Stimmen, die „Rücksicht auf religiöse Gefühle“ einfordern, alle anderen schon wieder übertönen und viel zu wenig Widerspruch erhalten. Als hätten nicht gerade erst solcherart Befindlichkeiten den Attentätern einen moralischen Vorwand geliefert, Journalisten, Satiriker und jüdische Mitbürger mit Kalaschnikows auszulöschen.

Scheinbar bloß eine kurze Schamfrist unmittelbar nach den Anschlägen von Paris abwartend, treten die Beleidigten und Gefühlsverletzten in den letzten Wochen schon wieder mit unverminderter Härte und unverhohlenen Drohungen erneut auf den Plan, um vermeintliche Grenzen der Meinungsfreiheit in Bezug auf ihre Religion festzulegen. Was sie fordern ist nicht weniger als einen Zwang zur (Selbst-)Zensur, bei drohender Gewaltanwendung. Zu Tausenden skandierten vergangene Woche uniform auftretende Islamisten in Londons Zentrum – nur einen Monat nach den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo – in gewohnt aggressivem Habitus: „Beleidigen ist nicht Freiheit“. Dabei beriefen sie sich auf Plakaten unter anderem auch auf den Papst, der erst neulich in den Chor aller Beleidigten einstimmte, indem er, sich im Duktus jugendlicher Aufsässigkeit gerierend, all jenen prophylaktisch schon einmal seinen „Faustschlag“ androhte, die es wagen sollten seine „Mutter“ – so war sein Vergleich gemeint: – Kirche zu „beleidigen“. Wer möchte in einem solchen Klima der Einschüchterung noch Kritik an Religionen und ihren Institutionen und Vertretern äußern? Eben. Meinungsfreiheit ja, aber nicht wenn diese „religiöse Gefühle“ beleidige, kann daher keine Option für einen demokratischen Gesellschaftsdiskurs sein. Schon gar nicht nach derartigen Gewaltexzessen. Die religiös verblendete Anmaßung, die sich hinter diesem Anspruch auf alleinige Deutungshoheit verbirgt, erfordert vielmehr eine klare Gegenantwort. Denn mit dem Anschlag von Kopenhagen wird nur einmal mehr deutlich: Es gibt Interessensgruppen, die den gesellschaftlichen Grundkonsens, andere Meinungen auszuhalten oder mit Worten und Argumenten anzufechten, aufgekündigt haben. Jene, die ihn mit Terror unterlaufen und Fakten schaffen. Und die anderen, die den Attentätern dabei, ob gewollt oder nicht, moralisch Vorschub leisteten und weiter Rückendeckung geben, weil sie – nur mit anderen Mitteln – die Verbindlichkeit und das Prozesshafte des demokratischen Meinungsdiskurses unter strategisch durchsichtigem Rekurs auf ominöse subjektive Gefühlslagen genauso grundlegend in Frage stellen. Sie schießen und morden nicht nur mit, sie liefern immer weiter ideologische Munition für die nächsten Anschläge. Und die werden kommen, das scheint so sicher wie das Amen in der Kirche.

Höchste Zeit als für die Gegenseite, die das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verteidigen will, ja muss, mutiger und deutlich entschlossener im Diskurs mitzumischen. Ohne Wenn und Aber und ohne falsche Rücksicht auf strategisches Beleidigtsein und offenkundige Zensurwünsche. Um den religiös verbrämten Reaktionären wie fundamentalistischen Schlächtern die wahren Grenzen des Erträglichen aufzuzeigen: Menschenleben und (Meinungs-)Freiheit sind tatsächlich heilig. Religionen sind es nicht. Diese müssten sich den Spott über sie geradezu erst einmal verdienen, in Zeiten wie diesen.

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