Vive la connerie!

Filmkritik. „Jacky im Königreich der Frauen“, Riad Sattoufs Persiflage auf autoritäre und fundamentalistische Regime, kommt mit einem Hauch Nordkorea-Atmo und kathartischem Effekt

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„Meine Schwestern! Die ausländischen Mächte planen eine Verschwörung. Sie sagen in der Demokratischen Volksrepublik von Bubunne hat das Mannsvolk keine Rechte“. Diese Welt ist nicht von dieser Welt und zugleich ein überzeichnetes Hybridgebilde ihrer schlimmsten Auswüchse. Nordkorea meets Saudi-Iran and the Taliban. Eine wahrlich freakige Mischung. In der „Demokratischen Volksrepublik Bubunne“ (frz., sprich: Bübünn) dominieren hemdsärmelige Frauen in blauen Arbeiterklamotten und in Soldatenuniform sowie ausschließlich weibliche Granden eines prototypischen, seiner ästhetischen Aufmachung nach faschistoiden Militärapparatschik. Die alte Generälin und Diktatorin (gespielt von Anémone Valérie) krallt sich an Gehstock wie Macht gleichermaßen fest und hält periodisch vor martialischer Kulisse und fahnenschwingendem Volk paranoide Reden über ausländische Agententätigkeiten und versuchte Fremdeinmischung ab.

Bereits zu Beginn lenkt Regisseur und Drehbuchautor Riad Sattouf den Fingerzeig auf typische Abwehrmanöver autoritärer Regime, weg von inneren gesellschaftspolitischen Spannungen hin zum äußeren Feindbildkonstrukt. Und zeigt damit deren wahnwitzige Einfältigkeit. Nach innen herrschen Repression und blanke Willkür. Gemüse essen ist traditionell (religiöses Gebot!) strengstens verboten – selbstredend frönt gerade die Elite in ihren abgeschotteten Zirkeln und Partys diesem Genuss. Politische Dissidenten finden rustikal den Tod durch den Strang in öffentlich inszenierten Massenhinrichtungen à la Iran. Und die Architektur und zentralistische Planwirtschaft gepaart mit Personenkult, spärlichen Ladenregalen und wohldosierter Menschenverachtung – ein schleimiger Nährbrei findet per Pipeline-Netz Zugang in jeden Haushalt um „den Pöbel“ zu versorgen – wecken Assoziationen zur militarisierten Elendsverwaltung kleptokratischer Kader-Regime von Ceausescu bis Kim Jong-un. Obwohl die Prototypen, Szenen und Kulissen so grell überzeichnet wirken und stets das Groteske bedienen, drängt sich einem im Laufe des Film häufig ein befreiendes Lachen auf, wenn hinter dem vorgeschoben Skurrilen sich zugleich das Unbehagen meldet ob der Erkenntnis, dass die Lebensrealitäten in Teilen unserer Welt vergleichbar trist ist. Wenn nicht noch krasser. Die Kritik des Films an Autoritarismus gleich welcher Art, einmal dem satirischen Gewand entkleidet, ist entsprechend beißend.

So bleibt einem Lachen im Halse stecken bei zwei klamaukhaft anmutenden Vergewaltigungsszenen. Die eine, weil deren bizarrer Aspekt nur deshalb vordergründig so wirkt, weil es die Frauen in Uniform sind, die die Tat begehen. Die andere verlangt gerade der Darstellerin noch mehr ab: In einem Moment situativer Macht verriegelt die Angestellte des Ladens die Tür und bereits ihr „männlich“ abschätzender Blick deutet an, dass sie sich im nächsten Moment ihr vermeintliches Recht an dem schüchternen hübschen Dorfburschen unter der Ladentheke nehmen wird. Glück im Unglück: Die Mutter des Opfers wird ihn im Anschluss daran, trotz der erlittenen "Schande" der verlorenen Jungmännlichkeit, nicht mit der Täterin verheiraten. Immerhin das. Traditionen und so. Die hier als „andere“ gedachte, die männliche Hälfte der Bevölkerung huscht und tänzelt tatsächlich nur vollverschleiert in einer Art roten Abaya-Tschador-Burka-Stoffmixtur, die offenkundig einer nicht näher bezeichneten lokalen Bekleidungskonvention oder -verordnung geschuldet ist, durch die Szenerien. Und doch sind sie, die unterdrückten Männer mit ihrem (Auf-)Begehren, präsenter und individueller, jenseits ihrer äußerlichen Uniformität, als es die uniformierten Frauen in ihrer beeindruckend gespielten Emotions- und Ausdruckslosigkeit je sein könnten. Bestimmung des „Mannsvolks“ ist die Sorge um Haushalt und Kinder – dem Familienoberhaupt Ehefrau viele Töchter zu schenken gilt als das ganz große Los. Mädchen dagegen düsen in Hosen und Hemden auf Mopeds durch die Straßen und Singen des Nächstens aufdringlich-kitschige Avancen unter des Angebeteten Fenster: „Ich will ein Kind von dir“. Oder befinden, Blickmacht und Besitzansprüche markierend, als freche Straßengören laut vernehmbar vor der geschäftig vorbeieilenden, männlichen Schönheit: „Jacky sieht geil aus, oder?!“, „Ja, das stimmt, und ich heirate ihn irgendwann“, „Nein – er gehört mir!“. Paff, neckischer Sidekick gegen die Kumpanin. Kennt man von der Straße, nur für gewöhnlich andersherum: kleine und mittelgroße Jungs, die schon ganz den Macker raushängen lassen. Haltung und Habitus der Jungen und Männer im Film aber, die uniform in wallenden Stoff gezwängt – immerhin ohne Gesichtsgitter – zeugen hingegen von einem gesellschaftlich schweren Stand.

In dieser Welt bleibt dem Protagonisten Jacky (Vincent Lacoste) tatsächlich nur das Träumen. Wie alle „Jungmänner“ seines Alters ist auch er von der Sehnsucht nach der großen Liebe und der erträumten Überführung in eine gesicherte Ehe ganz ausgefüllt. Religiöse Verblendung versüßt die zu langsam dahinplätschernde Zeit bis zum Tag X. Die Auserwählte ist keine geringe als Verteidigungsministerin und Diktatorinnen-Tochter Bubunne XVII (Charlotte Gainsbourg), die, für den Nepotismus autoritärer Regime typisch, demnächst die Staatsgeschäfte von ihrer Mutter und Übermutter des Volkes übernehmen soll. Aus einfachen Verhältnissen stammend scheinen die Chancen gering, am großen Ball teilnehmen zu können, der eigens dazu abgehalten wird, der künftigen Amtsträgerin die Jungmänner des Landes zur Bräutigamshow vorzeigen zu lassen. Subversiver Gegenentwurf ist Onkel Julin (Michel Hazanavicius), der im Untergrund wirkend zur Erhebung der Männer aufruft und nebenbei ganz alltagspragmatisch routiniert Soldatinnen – als „Cousinen auf Besuch“ inszeniert – gegen sexuelle Dienstleistungen um Bares erleichtert, um die Flucht aus dem verhassten Land zu planen. Der Plot hangelt sich entlang der Alltagsabsurditäten in einer religiös legitimierten Diktatur, in der Pferde – warum eigentlich nicht? – als heilig verehrt und nach der Zukunft befragt werden. Tröstlich: Am Ende werden ohnehin alle Lebewesen wieder in die ewige „Prärie“ eingehen werden, aus der sie einst vertrieben wurden. An der Vertreibung aber haben historisch „natürlich“ – die Männer schuld! So will es der Gründungsmythos, weshalb sie kollektiv das Schicksal ereilt, zur Unmündigkeit verdammt noch in alle Ewigkeit mit der Mühsal von Haushalt und Kindererziehung belegt zu werden. Amen.

Allerdings verliert sich der Film bisweilen in allzu grobschlächtige Verweise auf die geschlechtsspezifische Unterdrückung, die schon von der Ästhetik her spiegelverkehrt die Verhältnisse in islamistischen Regimen wie Saudi-Arabien, Iran oder das Afghanistan der Taliban heraufbeschwört, die dennoch kein Patriarchat der Welt so unmittelbar ausübt, dass es der letzten noch zum Aufschrei gereichte. Alleine das Gängelband am eigenen Hals, mit dem die Jünglinge einer potentiellen Heiratskandidatin entgegenwinken, wirkt dann eben irgendwie mehr danebengegriffenen als beabsichtigt – und tut dem Satirischen damit mehr Abbruch als beabsichtigt. Auch wenn Satire von der Überzeichnung lebt, ist manchmal weniger doch treffender. Inszenierung und Darsteller hätten sich stattdessen noch mehr an Habitus und insbesondere einer prototypisch „würdevolleren“ Körperhaltung, Sprache und „Sanftheit“ abarbeiten können. Insgesamt beweist der langjährige Ex-Mitarbeiter von Charlie Hebdo und Franko-Syrer Sattouf trotzdem insgesamt auch diesmal wieder seinen klaren, schonungslosen Blick auf die Verhältnisse, die er in der Überzeichnung erst so richtig vorführen kann als das was sie sind: eine Zumutung an den empathie- und vernunftbegabten Menschen. Wie mit seinen autobiographisch inspirierten Graphic Novels („Meine Beschneidung“; „Der Araber von morgen“) lenkt er auch in diesem Genre einmal mehr den Blick auf patriarchale Herrschaftsstrukturen, willfährigen Despotismus einerseits und servile Obrigkeitshörigkeit andererseits.

Die Überzeichnung des autoritären Geschlechterregimes mit ihren religiös-politischen Dogmen schafft eine gewisse Distanz zu realen gesellschaftlichen Parallelen und führt sie zugleich scharf vor. Die eigene Sprache und insbesondere etliche Wortspiele tun ihr Übriges dazu. Allein aus diesem Grund schon sollte der Film unbedingt im französischen Original – derzeit mit deutschem Untertitel alternativ zur deutschsprachigen Version in den Kinos – angesehen werden. Alles ist schon dem Klang nach connerie – französisch für Blödsinn, Unsinn, Quatsch. So ist die Verschleierung für die Männer bloß noch eine unbedeutendes Essential des Alltags, und verkommt sprachlich zur voilérie, in der deutschen Untertitelung entsprechend zur „Schleierei“ (von frz. voile – Schleier). Das Aufbegehren gegen die Ordnung pure blasphèmerie (eigentlich blasphème – Blasphemie). Die systemimmanente Homophobie artikuliert sich in der Diktatur der Frauen entsprechend nicht primär gegen Schwule, sondern die lesbeuse (eigentlich „lesbienne“; dt. UT: „Lesböse“) und die Jungmänner fiebern entfremdet und dadurch zugleich ihrer beschwerlichen Existenz befreit dem großen Ball und damit ihrer möglichen Ehestanderhebung zum couillon (dem lt. UT „großen Dödel“, frz. „les couilles“ – „Eier“/Hoden) entgegen. Kein unpassendes Pendant übrigens zur gewohnten prätentiösen Accessoir-Funktion der First Ladies dieser Welt und ein Seitenhieb gegen ihre bemüht selbstvergessenen Nachahmerinnen aus der Welt des Boulevards.

Der Film endet mit einem kleinen kathartischen Effekt. Nach einem einschlagenden Ereignis zieht die neue First Lady durchs Land, um endlich die ersten Schulen „auch für Jungen“ einzuweihen. Das kennt man doch irgendwie irgendwoher. Lachen. Innehalten. Die Strukturen haben sich ja gar nicht verändert. Es ist schon bitter. Aber die Symbolik hilft aus! Alles nicht so schlimm und zugleich noch viel schlimmer, willkommen im wahren Leben. Bitterböses Lachen. Zum Ausklang entlässt der Film die Zuschauer damit wieder in die Realität – oder war die nicht die ganze Zeit zu sehen? Alles anders und doch vertraut.

Herrlich respektlos führt Riad Sattouf die willkürlich gesetzten und mithin austauschbaren Inhalte religiöser Narrationen auf groteske Weise vor, die an sich noch unterhaltsam sein könnten. Sich weit häufiger aber als dem Zweck dienlich entlarven, das Prinzip Autorität zu legitimieren und Herrschaft einer sozialen Gruppe, hier einmal verkehrt in: Frauen über die Männer, aufrechtzuerhalten. In einer Welt der zunehmenden Konfessionalisierung von Konflikten und fundamentalistisch bis terroristischer Erweckungsbewegungen wirkt der Humor des Films quasi therapeutisch: Wenn schon irre, dann aber so richtig zum Totlachen! Danach sind alle geheilt. In seiner slapstickhaften Inszenierung drängt sich sofort der vielzitierte Eindruck eines französischen Monty Python-Revivals auf. Im Vergleich zum „Leben des Brian“ wirkt „Jacky im Reich der Frauen“ allerdings wie die Python-Truppe 3.0. Und total auf Koks. Funkensprühender Unsinn und ganz großes Kino. Das muss ein religionskritischer Satire-Film heute wohl auch. Seit dem kollektiven Gedächtnis post Karikaturenstreit 2006 das Bewusstsein eingebrannt wurde, dass Satire und der realexistierende Fundamentalismus eine schwierige, mitunter explosive Beziehung zueinander pflegen, kann man es mit der Satire auf diesem Gebiet entweder gleich ganz sein lassen – oder aufs Ganze gehen. Sattouf entschied sich für letzteres und landet mit seinem respektlosen Angriff auf die Lachmuskeln einen fulminanten Volltreffer.

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