Aufruhr im Finanzsektor – die Börsen befinden sich im Abwärtstrend, einzelne Aktien verlieren massiv an Wert. Andere Papiere werden in den Sog gerissen; eine neue Finanzkrise wirft ihre Schatten voraus. Die sich ankündigenden Verwerfungen sind anders als die internationale Finanzkrise 2007/08 und die darauf folgende Verschuldungskrise im Euro-Raum. Dennoch sind ökonomische Krisen im Kern immer Verteilungskrisen. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Und den Verlierern gehen so langsam die Kraft und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren – das gilt auf der persönlichen, nationalen, europäischen und internationalen Ebene. Die nächste Krise wird daher mit Sicherheit tiefgreifender; das System der renditeorientierten Marktwirtschaft wird sie aber kaum gefährden. Denn der Markt ist extrem anpassungsfähig.
Die Krise im deutschen Bankensektor ist inzwischen keine Ausnahmesituation mehr, sondern Alltag. Dabei sah es zunächst danach aus, dass alles zu managen sei. Die Folgen der internationalen Finanzkrise wurden mit Fiskalprogrammen, Bankenrettungen, Staatsverschuldung und Niedrigzinspolitik bekämpft. Ad-hoc-Aktionen zeigten teils beachtliche Erfolge. Obwohl immer nur an einzelnen Stellschrauben gedreht wurde, konnte das Gesamtsystem in ruhigere Fahrwasser gebracht werden. Erst in der Folge wurde klar, dass die US-Immobilienkrise durch panikgesteuerte Politik den Euro-Raum und die Europäische Union massiv destabilisiert hat. Europa agiert seit fast zehn Jahren im Krisenmodus, vermeidet aber eine tief greifende Reform des Bestehenden.
In dieser Zeit muss ein Teil des gemeinschaftlichen Grundwissens der Menschheit verloren gegangen sein. Denn es galt bislang als common sense, dass in solch einer instabilen Lage ein starker Staat wichtig für das Vertrauen in die Zukunftsgestaltung und damit für die Krisenbewältigung ist. In der EU jedoch beschnitten die Regierungen durch den „Fiskalpakt“ ihre Handlungsmöglichkeiten. Sie drängten den staatlichen Interventionismus zurück und räumten den Urgewalten des Marktes noch mehr Raum ein, der Neoliberalismus und die Finanzintermediäre meldeten sich zurück.
Private Rendite ist gut, staatliche Schulden sind böse: Das wurde das alte, neue Mantra, dessen Widersprüchlichkeit vielen verborgen blieb. In einer solchen Situation kommt der Geldpolitik eine besondere Bedeutung zu. Denn sie steht zwischen Renditen und Krediten. Zur Revitalisierung der Wirtschaftskraft setzen die Zentralbanken aller Industrienationen inzwischen auf eine Nahe-null-Zinspolitik. Vordergründiges Ziel ist es, die Investitionstätigkeit über billige Kredite anzuregen und damit gesamtwirtschaftliches Wachstum zu generieren. Wirtschaftswachstum und Rendite gehören in dieser Gedankenwelt zusammen. Das Geld ist dabei nur ein Kommunikationsmittel. Tatsächlich wurde eine massive Überliquidität erzeugt, die heute als vagabundierendes Kapital nach ihrer gewinnträchtigen Verwertung sucht.
Banken ohne Sinn
Aber die Niedrigzinspolitik greift nicht wie geplant. Denn Investitionen sind durch billiges Geld nur dann zu befeuern, wenn die Perspektiven attraktiv und stabil sind. Tatsächlich bleibt trotz der geldpolitischen Impulse die private Investitionstätigkeit in Deutschland wie in anderen Ländern weit hinter den Erwartungen zurück. In der EU bremst der Fiskalpakt öffentliche Investitionen aus. Das traditionelle Bankgeschäft wird bei Nullzins zäh. Die Sinnkrise des überkommenen Bankensystems wird dieser Tage nicht nur bei den Landesbanken, sondern auch bei großen privaten Instituten besonders deutlich. Ihnen fehlt die eigentliche Aufgabe.
Daher kommt die Diskussion um Bargeldbegrenzung und -abschaffung zur rechten Zeit: Die Dokumentation von Finanzströmen könnte den Geschäftsbanken ein neues Arbeitsfeld geben, für das sie sicher in Kürze nicht unerhebliche Gebühren verlangen würden. Einfach so wird ein neues Geschäft zur Alimentierung des krisengeschüttelten Bankensystems geboren.
Gerade in Zeiten von Überliquidität lassen sich an den Börsen, Finanzmärkten und im Immobiliensektor durch nachfrageentfachte Preisbewegungen Spekulationsrenditen erzielen. Hinter einem starken Anstieg etwa der DAX-Werte steht keine entsprechende realwirtschaftliche Entwicklung. Vielmehr geht es um die Erwartung, dass der Index zukünftig weiter an Wert gewinnt. Aus Investorensicht ist dabei entscheidend, den Wendepunkt der Preisentwicklung zu antizipieren. Wenn jetzt also der DAX fällt, so ist das ein nötiger Anpassungsprozess an die Realität. Es bleibt abzuwarten, wann sich ein ähnlicher Trend auf dem Immobiliensektor in Gang setzt. Auch hier ist inzwischen klar, dass es in einigen Segmenten zu deutlich überschießenden Preisentwicklungen gekommen ist. Der DAX-Absturz ist eine Warnung.
Während die Börsen nachgeben, wichtige Wachstumsmärkte wie Japan und China kränkeln und internationale Investoren auf Renditesicherung durch Freihandel pochen, gibt es eine neue Anti-Krisen-Idee, die immer mehr an Attraktivität gewinnt. Letztendlich geht sie auf den von Marx herausgearbeiteten tendenziellen Fall der Profitrate, die Keynes’sche Konsumneigungsidee und die Analyse Thomas Pikettys zurück: Umverteilung von „oben“ nach „unten“ als Gewinnsicherungsprogramm. Damit könnte das bestehende Wirtschaftssystem vitalisiert werden. Die Vermögens- und Einkommensungleichheit ist gerade in Deutschland inzwischen so stark, dass von einer breiteren Teilhabe weiter Bevölkerungsschichten wichtige gesamtwirtschaftliche Impulse ausgehen könnten. Ein zunehmend zentrales Argument in dieser Verteilungsdebatte ist weniger die Armutsbekämpfung, sondern der erwartete Wachstumseffekt und damit letztendlich die Renditesicherung. Wenn sich herumspricht, dass sich der Kapitalismus durch maßvolles Umverteilen von „oben“ nach „unten“ noch eine lange Lebenszeit verschaffen kann, wird diese Chance mit Sicherheit genutzt. In Deutschland ist viel Raum für eine solche Strategie. Das renditeorientierte Wirtschaftssystem ist so fundamental verankert, dass es in jeder Hinsicht flexibel auf existenzbedrohende Herausforderungen reagieren kann – im Notfall auch mit Umverteilung. Eine Revolution wird es also vorerst nicht geben.
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