Was Vermögen vermögen

Sozialpolitik Die grassierende Ungleichheit lähmt die Gesellschaft. Lange haben wir uns vor der Lösung gedrückt. Dabei ist sie längst bekannt
Ausgabe 39/2021
Eigentlich wären die Bedingungen gut, Verteilungsfragen gezielt anzugehen. Deutschland ist ein reiches Land. Doch es gilt zahlreiche – auch gedankliche Hürden – zu überwinden
Eigentlich wären die Bedingungen gut, Verteilungsfragen gezielt anzugehen. Deutschland ist ein reiches Land. Doch es gilt zahlreiche – auch gedankliche Hürden – zu überwinden

Foto: Leon Neal/Getty Images

Während des Wahlkampfs wurden große Versprechen abgegeben. „Nachhaltigkeit“ – blinkte es von vielen Plakaten. Doch Nachhaltigkeit ist mehr als Ökologie: Viel komplexer, als CO2-Vorgaben einzuhalten, ist die soziale Nachhaltigkeit. Sie meint nichts anderes als eine umfassend verantwortungsvolle Ausgestaltung des Gesellschaftssystems. Unser real existierendes Gesellschaftssystem aber wird aktuell entscheidend vom Kapitalismus und damit ökonomisch bestimmt. Es wird also nicht überraschen, dass die soziale Nachhaltigkeit im Kern die Systemfrage berührt – und gern vernachlässigt wird. Denn sie stellt die Verteilungsfrage. Einer jeden zukünftigen Bundesregierung sei mitgegeben: Verantwortungsvolle Zukunftsgestaltung kommt an der Verteilungsfrage nicht vorbei.

Eigentlich wären die Bedingungen gut, Verteilungsfragen gezielt anzugehen. Deutschland ist ein reiches Land. Doch es gilt zahlreiche – auch gedankliche Hürden – zu überwinden. Der Schutz des Privateigentums und seiner Erträge wird auch von jenen finanziert, die nur marginal oder in einem ganz geringen Maße über Eigentum verfügen. In Der Code des Kapitals hat Katharina Pistor diese Asymmetrie deutlich herausgearbeitet. Sie hat eine lange Geschichte und ist die Grundlage der heutigen Verteilungsprobleme. Wir leben in einer Zeit, in der selbst Unternehmen verstärkt von „Corporate Social Responsibility“ und „Shared Value“ sprechen. Innovative Konzepte sind gefragt, um der Verantwortung, die aus dem Privateigentum erwächst, einen klaren Rahmen zu geben.

Grundsätzlich gilt: Der Staat schafft Strukturen, die die Unsicherheiten im System reduzieren sollen. Aktuell sind die Risiken höchst unterschiedlich verteilt: Die Schwelle zur Armutsgefährdung wird vom Statistischen Bundesamt bei einem Jahreseinkommen von 14.109 Euro für Alleinlebende angesetzt. Die Ungleichheit war vor Corona schon groß, es ist davon auszugehen, dass sie sich im Zuge der Pandemie verschärft hat. Viele Minijobs – ohnehin ein armutsnahes Gesellschaftskonzept – wurden gekündigt. Kinderarmut wird zwar immer wieder medial bedauert, hört deshalb aber nicht auf zu existieren.

Blick nach Skandinavien

Ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung bedeutet auch eine ungleiche Verteilung von existenziellen Problemen. Zum Thema „Soziale Nachhaltigkeit“ gibt es keine internationalen Treffen von Regierungen. Das Thema hat es schwerer als andere. Dabei sind europäische Problemlösungen schon längst bekannt. Wer daran zweifelt, sollte in die nordeuropäischen Länder blicken. Natürlich – Ungleichheit zu bekämpfen, kostet Geld. Aber Geld ist genug da. Der Verschuldung des öffentlichen Sektors stehen gigantische Privatvermögen gegenüber. Eine nachhaltige Finanzierung kluger, verteilungsorientierter Sozialpolitik stellt zwangsläufig die Frage nach höheren Steuern für sehr gut verdienende Menschen. Natürlich muss eine Vermögensteuer, aber auch die Erbschaftsteuer endlich wieder auf die Schiene gebracht werden. Keine Angst – das durchschnittliche Nettovermögen der privaten Haushalte liegt gerade einmal bei 160.000 Euro. Das würde natürlich unter eine solche Besteuerung nicht fallen. Gemeint sind bei der Vermögensteuer die Millionenvermögen.

Deutschlands Regierungen und Verwaltung arbeiten schon länger nach der Devise: Die Probleme sind bekannt, wir werden sie später angehen. Doch Problemlösungen in die Zukunft zu verschieben, bedeutet, dass sie erheblich teurer werden. Daher ist es ein Gebot der Stunde, dass der Staat seinen sozialpolitischen Gestaltungswillen zeigt: Angefangen beim Mindestlohn. Dieser muss deutlich angehoben werden, damit endlich ein armutssicheres Einkommen durch Arbeit erzielt werden kann. Die geplanten zwölf Euro helfen da nur bedingt weiter. Die Idee vom großen Niedriglohnsektor trägt keine Gesellschaft in die Zukunft.

Mechthild Schrooten ist Professorin für VWL an der Universität Bremen und Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

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