Wir haben die Wahl

Parteien-Check Was ist uns lieber: Grüne Fehltritte oder Umverteilung nach oben mit Union und FDP?
Ausgabe 28/2021

Vielleicht hat die Corona-Pandemie ja auch etwas Positives bewirkt: Wir haben gelernt, unser Leben entlang von Daten und Statistiken auszurichten. Zahlen und Wahrscheinlichkeiten können wir immer besser verstehen, selbst wenn sie nur Trends angeben. Im letzten Jahr hat die empirische Forschung großen medialen Stellenwert erlangt. Vielleicht lassen sich die Programme der Parteien ja auch in solche Angaben packen und damit besser verstehen?

Diese Frage treibt auch die Wirtschaftswissenschaft um. Einen interessanten Ansatz dazu verfolgen drei Forscher vom Mannheimer ZEW, Florian Buhlmann, Michael Hebsaker und Sebastian Siegloch, die die finanziellen Folgen der Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und Die Linke untersucht haben. Dabei geht es diesmal nicht nur um die Auswirkungen der Parteienpläne auf die öffentlichen Haushalte. Nein, das wirklich Spannende an der Studie ist, dass es vor allem um uns geht, die privaten Haushalte.

Trickle-down ist wieder da

Dazu werden wir erst einmal in zehn Einkommensgruppen geteilt. Und siehe da, während am unteren Ende der Einkommensskala Haushalte mit einem Bruttojahreseinkommen von bis zu 10.000 Euro stehen, sind es am oberen Ende solche mit einem Einkommen von 250.000 bis 2 Millionen Euro. Aha. Da oben wird also nicht mehr in 10.000er-Schritten gerechnet. Schon diese Gruppierung zeigt, dass Einkommen in Deutschland offenbar höchst unterschiedlich verteilt ist. Aber das wissen wir ja, von den unendlichen Debatten um Einkommensgerechtigkeit. Geändert haben die bis heute nichts an dieser Tatsache.

Natürlich muss die ZEW-Kurzexpertise mit vielen Annahmen arbeiten und gegen Datenprobleme ankämpfen. All das wollen wir an dieser Stelle nicht diskutieren. Hier geht es um die Ergebnisse. Die Autoren haben so etwas wie eine Gewinner:innen-und-Verlierer:innen-Tabelle vorgelegt. Hier zeigt sich etwas Interessantes: Unabhängig von der jeweiligen Partei würden private Haushalte bis zu einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 Euro demnächst – also nach der Wahl – mehr Geld zum Ausgeben haben. Wow! Gehören Sie zu der großen Gruppe der Haushalte bis 100.000 Euro, dann können Sie also weitere Konsumpläne machen. In der Politikwissenschaft wäre davon die Rede, dass hier großzügig um die Medianwähler:innen gekämpft wird.

Aber – Vorsicht ist geboten: Erstens sind es Wahlprogramme, die hier analysiert wurden, keine Haushaltsgesetze. Zweitens unterscheidet sich der geplante Einkommenszuwachs der einzelnen Einkommensgruppen zwischen den Parteien teilweise erheblich. Während Geringverdiener nach den Programmen von Grünen und Linken deutlich zulegen könnten, blieben die Zuwächse nach den Programmen von CDU/CSU und FDP eher moderat. Zum besseren Verständnis: Bei der ZEW-Studie geht es nicht nur um Steuerzahlungen oder -entlastungen, sondern um ein Paket aus Transferleistungen und Steuerzahlungen.

Zurück zu unserer vermeintlichen Gewinner:innen-und-Verlierer:innen-Tabelle. Die Wege der Parteien gabeln sich dann richtig ab einem Haushaltseinkommen von 150.000 Euro. Denn SPD, Die Linke und Grüne wollen höhere Abgaben als bislang für Gutverdiener. Für FDP und CDU/CSU ist das offenbar keine Option. Ganz im Gegenteil. Gerade diese Einkommen sollen kräftig entlastet werden. Und zwar deutlich stärker als die anderen Einkommensgruppen.

In einer weiteren Tabelle wird in der Studie deutlich, dass bei der geplanten FDP- und CDU/CSU-Politik die Ungleichheit in Deutschland weiter steigen würde. Das verwundert nicht. Bei allem Verständnis für eine Klientelpolitik dürfte aber klar sein, dass wir uns das nicht leisten können. Hatten wir in der Corona-Zeit nicht selbst in Mainstream-Medien und Politik beklagt, wie ungerecht die Ungleichheit in diesem Lande ist? Ist das schon vergessen? Ist schon verdrängt, dass die in Gesundheitskrisen systemisch besonders relevanten Berufe besonders wenig verdienen – und es für diese verteilungspolitische Schieflage eigentlich kein Argument gibt? Wer jetzt mit dem ökonomischen Argument der vermeintlich geringen Produktivität des Dienstleistungssektors kommt, dem sei geantwortet: „Was gibt es, bitte schön, Produktiveres, als das Leben anderer zu retten oder zu unterstützen?“ Vielleicht stimmt hier etwas nicht mit der Methode der Produktivitätsmessung?

Tendenziell ähnliche Ergebnisse wie das ZEW liefern übrigens auch andere wirtschaftswissenschaftliche Institute. Wenngleich mit anderen wissenschaftlichen Methoden, Grundannahmen und mit anderem Fokus – vom DIW Berlin bis zum IW in Köln. Im Kern können wir also davon ausgehen, dass Besserverdienende vor allem von der CDU/CSU und der FDP in alter Tradition mit dem Versprechen von Einkommenszuwächsen adressiert werden.

Dabei haben wir gerade gelernt: Vorgestrige Ideen, die Reiche reicher und Arme eher ärmer machen, gefährden nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern sind gleichsam aus der Zeit gefallen, da es um die Lösung von drängenden Menschheitsproblemen geht.

Dabei kommen wichtige gesellschaftspolitische Impulse aus einer Ecke, die nun wirklich nicht als kapitalismusfeindlich eingestuft werden kann: aus der modernen Managementtheorie. Dort wird bei der Analyse unserer Gegenwart von einer „VUCA-Situation“ gesprochen. VUCA, das ist in der englischsprachigen Literatur eine Abkürzung für die Kombination aus Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. VUCA beschreibt eine moderne Welt, in der es viel Wissenschaft und Erkenntnis, aber auch ein großes Maß an Unklarheit und fehlender Eindeutigkeit gibt. Kurzum: die aktuelle Lebensrealität vieler Menschen, Unternehmen und Gesellschaften. Mit kurzfristiger Renditesteigerung und dem einfachen Wettbewerbsgedanken von gestern lassen sich die Probleme der VUCA-Welt nicht lösen.

Die Antwort der Managementtheorie auf dieses anspruchsvolle Zeitalter ist VOPA: Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität. Damit ist eine Menge gesagt, wenn es ernst genommen wird. Vernetzung in Kombination mit Partizipation ist das Gegenteil von „andere abhängen“. Vielmehr geht es ums Befähigen und um Teilhabe. Auch um Teilhabe an Einkommen.

Es stimmt, bislang sind das alles nur Wahlprogramme. Was angesichts von scheinbar klammen Kassen nach der Corona-Krise Realität wird, hängt vom Wahlausgang ab, von möglichen Koalitionen und den Besetzungen von Posten im Kabinett. Aber wir haben gelernt, mit Zahlen umzugehen, wenn sie Tendenzen und Trends abbilden. In den ökonomischen Analysen zu den Wahlprogrammen werden die grundlegenden Ideen der Parteien zur Zukunftsgestaltung deutlich. Manchen fällt eben nur ein „Zurück zur Vergangenheit“ ein. Das ist traurig, denn: Wir können uns eine Verschärfung der ökonomischen Ungleichheit heute nicht leisten.

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