Maren Haushofer: Die Wand. Mensch in Extremen.

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Was passiert ist, entzieht sich jedem wissenschaftlichem Erklärungsversuch: ein Gebiet in den Bergen ist über Nacht von einer unüberwindbaren Wand eingeschlossen worden, außerhalb der Wand scheint jedes Leben erstorben zu sein.

Innerhalb der Wand findet sich eine Frau in radikaler Isolierung von der Zivilisation. Den Bericht dieser Frau lesen wir in Maren Haushofers Roman „Die Wand“. Wir erfahren, wie die Frau sich einrichtet, wie sie sich den Umständen anpasst, sich arrangiert. An vieles kann man sich gewöhnen, sagt sie. Und: „Es ist besser, nicht an die Wand zu denken.“ Sie richtet sich in ihrem kleinen Waldhäuschen ein, sie kümmert sich um ihre Versorgung, sie legt Gemüsebeete an, erkundet ihr Gebiet, drescht Heu und hackt Holz. Sie versorgt ihre Tiere: ihre einzige Gesellschaft sind Katzen, ein Hund und eine Kuh.

Ihre Lebensaufgabe ist: überleben, nicht um jeden Preis, aber um die Tiere nicht zurückzulassen. Existenzgründung bekommt eine ganz andere Bedeutung, und es ist eine Art Subsistenzwirtschaft, in der die Frau lebt. Zum verhungern zu viel, zum satt werden zu wenig. Aber sie beklagt sich nicht, solange es weitergeht. Solange ihre Tiere und sie überleben, ist die Frau zufrieden. Es geht weiter, für fünf Jahre langen ihre Streichhölzer noch, was danach kommt, sie wird es sehen, wenn sie dann noch lebt, wird sie sich was einfallen lassen. „Nur wir sind dazu verurteilt, einer Bedeutung nachzujagen, die es nicht geben kann.“ In ihrer üblichen beiläufigen, stoischen Ruhe handelt sie ihren Lebenssinn ab.

Wie verhält sich ein einzelner Mensch in dieser isolierten Extrembedingung? Der Charakter der Hauptfigur wird von der Auswegslosigkeit, vom Stumpfsinn und der Beschwerlichkeit nicht übermannt. Unrealistisch wäre, würde die Frau glücklich werden; der Leser bliebe angesichts der Idylle und der Naturharmonie wohl etwas verwirrt zurück. Die Protagonistin jedoch betäubt ihre Verzweiflung in Arbeit und Schlaf, sie schiebt unangenehme Gedanken auf, lässt sie auf sie lauern, aber nicht zu nahe an sich heran, sonst würde sie wohl nicht überleben: das Wetter, der Hunger, die Isolation. Die Natur. Die Natur wird hier nicht romantisch-heimelig dargestellt, aber auch nicht wie ein grausames Monster. Der Mensch kann nicht ohne die Natur, die Natur braucht keinen Menschen um zu funktionieren.

Überhaupt, wer braucht schon Menschen? Die Sonne geht weiter auf und unter, das Unkraut wächst immer noch, die Tiere vermehren sich, das natürliche Gleichgewicht stellt sich wieder ein. Haushofer portraitiert einen Menschen, nach dem kein anderer mehr sein wird. Es kommt einem vor, als würde die menschliche Zivilisation mit ihr steigen oder fallen. Denn nach ihr ist jede menschliche Errungenschaft für immer vergessen. Die Protagonistin ist gewissermaßen die Bewahrerin der Menschlichkeit. Über bedeutungslose Konventionen setzt sie sich hinweg, aber niemals über die Menschlichkeit als solche: „Das einzige Wesen im Wald, das wirklich Recht oder Unrecht tun kann, bin ich. (…) Manchmal wünsche ich mir, dass diese Last der Entscheidung läge nicht auf mir. Aber ich bin ein Mensch und ich kann nur denken und handeln wie ein Mensch.“

Beim Lesen hat man nicht das Gefühl, man würde die Isolation der Protagonistin durchbrechen: das ist das Verstörende an dieser Geschichte. Die Geschichte wird erzählt ohne Ausbruchsversuche. Die Wand bleibt bis zum Schluss stehen, die Frau zögert, einen Fluchtversuch zu beginnen. Selbst wenn sie ausbrechen könnte, alle, die sie liebte, sind tot. Sie hat sich abgefunden mit ihrem Leben, ihr geht es gut genug, sie vermisst den Komfort nicht. Sie hat eine Wandlung vollzogen von der gehetzten Stadtbewohnerin zur wandernd-gemächlichen Ackerbäuerin. Ihr Sätze sind eindringlich, objektiv, eine beklemmende „es ist nun mal so“- Attitüde hin und wieder, die nur durch die hinreißenden Natur- und Tierbeschreibungen etwas abgeschwächt wird. Ohne lange Ausschmückungen sind die Sätze ausgestaltet.

Kein Buch für die einsame Insel. Kein Buch für den Sommer am Strand. Für Gesellschaftskritiker, Natur-Freunde und Natur-Feinde.

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