Mitte Oktober brach das deutsche Schiff „Humanity 1“ der Seenotrettungsorganisation SOS Humanity ins zentrale Mittelmeer auf. Kurz darauf, während der Vereidigung des neuen italienischen Innenministers Matteo Piantedosi, rettete die Crew Menschen aus Seenot. Eine der ersten Amtshandlungen des parteilosen Ressortchefs war es, die Rechtmäßigkeit der Einsätze der beiden Rettungsschiffe „Humanity 1“ und der unter norwegischer Flagge fahrenden „Ocean Viking“ anzuzweifeln. Die Crew der „Humanity 1“ hatte da bereits bei drei Such- und Rettungsaktionen 104 unbegleitete Minderjährige an Bord genommen, zudem 74 Erwachsene. Mindestens sechs Menschen seien ertrunken, bevor ihnen geholfen werden konnte, so Petra Krischok, Pressesp
Seenotrettung: Italien will private Schiffe aus dem Mittelmeer verbannen
Migration Unterdessen gibt es kaum Zweifel, dass in libyschen Internierungslagern Menschenrecht gebrochen wird. Vor allem Menschen mit schwarzer Hautfarbe werden misshandelt, vergewaltigt, gefoltert und verkauft
esprecherin von SOS Humanity, am 28. Oktober per Telefon von Bord. „Natürlich kann die neue italienische Regierung unsere Arbeit erschweren, aber wir lassen uns davon nicht abschrecken. Auch sie muss sich an geltende Gesetze halten. Seenotrettung ist Pflicht“. Zu Wochenanfang lag die „Humanity 1“ im sizilianischen Hafen Catania, zunächst blieb es 35 Geflüchteten verwehrt, das Schiff zu verlassen, „keine Notfälle“, hieß es. Mitte der Woche durften auch sie an Land.Innenminister Piantedosi war einst am „Salvini-Dekret“ beteiligt, benannt nach dem Ex-Innenminister von der Lega, das Tausende Geflüchtete in Obdachlosigkeit und Schwarzarbeit trieb. Sie konnten sich nicht mehr bei Einwohnermeldeämtern registrieren lassen, verloren den Zugang zu ärztlicher Fürsorge und legaler Arbeit. Und das, obwohl etwa 25 Prozent der Geflüchteten, die in Italien ankommen, Personen mit besonderem Schutzbedarf sind. Jedes vierte Kind ist unbegleitet, mindestens jede zehnte Frau braucht allein deshalb medizinische Hilfe, weil sie schwanger ist.„Die Menschen, die ich auf meinem Schiff hatte, besaßen außer einer alten, kaputten Unterhose nichts mehr“, erinnert sich Claus-Peter Reisch, ehemaliger Kapitän des Rettungsschiffes „Eleonore“. Während Salvinis Amtszeit hatte er das Schiff der Mission Lifeline mit Dutzenden von Minderjährigen an Bord aus einem schweren Gewittersturm in den Hafen von Pozzallo gelenkt. Er verstieß damit gegen Anweisungen der Behörden. Es wurde eine Strafe von 300.000 Euro verhängt, die jedoch von Zivilrichtern als Instrument krimineller Repression eingestuft wurde, um das Verfahren daraufhin einzustellen.Internationale Verpflichtungen bei der SeenotrettungDass Matteo Salvini im Kabinett von Giorgia Meloni der Posten des Innenministers verwehrt blieb, hat auch damit zu tun, dass gegen ihn Verfahren anhängig sind. Es geht um Freiheitsentzug und Amtsmissbrauch bei den Hafensperrungen für Rettungsschiffe während seiner Regierungszeit 2018/19. Salvini hatte nicht zuletzt Malta unter Druck setzen wollen, mehr Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Allerdings sind jedem Land Grenzen gesetzt, will es internationalen Verpflichtungen bei der Seenotrettung ausweichen. Das Seerecht schreibt vor, Schiffen, die in internationalen Gewässern Menschen aus Seenot gerettet haben, zügig einen „Port of Safety“ zuzuweisen, einen nahe gelegenen, sicheren Hafen. Dabei sei es völlig egal, welches Schiff die Menschen rette – der Versorger einer Bohrplattform, ein Frachter oder das Schiff einer Hilfsorganisation, sagt Claus-Peter Reisch. Das Problem bestehe darin, dass die EU die Italiener alleinlasse. Solange das so bleibe, würden die weiter versuchen, „in irgendeiner Weise die Reißleine zu ziehen“. Durch Schikanen werde dann versucht, die Latte für private Seenotretter höher zu legen und deren Geld zu verbrennen. Damit dünne man die Seenotrettung nicht nur finanziell, sondern auch personell aus.In einer ähnlichen Lage wie Italien ist Malta. Seit Jahren häufen sich die Berichte von überfüllten, hygienisch unzumutbaren Aufnahmelagern dort. Der Europarat wurde vom Sachverständigenrat des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung und Strafe (CPT) über diese Zustände ausgiebig informiert. Nur was änderte sich? Eine Folge des Wegschauens der EU war das Ende von „Mare Nostrum“, der von Oktober 2013 bis Oktober 2014 staatlich organisierten Operation der italienischen Küstenwache und Marine unter Admiral Guido Rando. Sie kostete das Land monatlich gut neun Millionen Euro, war erfolgreich, wurde aber von den Italienern allein getragen. Als das für wachsenden Unmut sorgte, wurde die Operation trotz der vielen geretteten Menschenleben und gefassten Schlepper ad acta gelegt. „Weil ein Teil der Zivilgesellschaft dem Sterben auf dem Mittelmeer nicht tatenlos zusehen will, wird versucht, die Lücke, welche die europäischen Staaten in der Seenotrettung hinterlassen, mithilfe ziviler Rettungsschiffe zu schließen“, sagt Pressesprecherin Petra Krischok. „Die Einzigen, die davon profitieren, dass eine staatlich organisierte europäische Seenotrettung fehlt, sind Milizen, Menschenhändler und libysche Küstenwächter“, meint Sophie Weidenhiller von Sea-Eye e.V. „Für die EU-Staaten ist es eine bequeme Sache, Abschiebungen outzusourcen.“ Damit nehme man bewusst das Sterben von Menschen in Kauf oder verursache es sogar. Frontex mache sich wegen der Kooperation mit den Libyern mitschuldig an illegalen Pushbacks im Mittelmeer.Offenkundig besteht das Ziel des neuen Innenministers Piantedosi darin, Flüchtlinge und Rettungsschiffe aus dem Mittelmeer zu verbannen. Asylsuchende sollen möglichst schon in Afrika abgefangen und dort in Lagern interniert werden. Ein Muster könnten Deals sein, wie sie Dänemark und Großbritannien mit Ruanda eingegangen sind, um Migranten dorthin abzuschieben.Angst und DepressionenBerichte von Geretteten sowie von Medizinern auf Rettungsschiffen lassen kaum Zweifel: In libyschen Internierungslagern wird Menschenrecht gebrochen. Vor allem Menschen mit schwarzer Hautfarbe werden misshandelt, vergewaltigt, gefoltert und verkauft, ohne dass den dafür Verantwortlichen Strafe droht. Die Liste der Beispiele ist lang: Ein Mann aus Eritrea berichtete dem medizinischen Team an Bord des MSF-Rettungsschiffes „Geo Barents“, er sei in Libyen aufgehängt und mit Stockschlägen sowie Elektroschocks gequält worden. Menschenrechtsanwälte vertreten Geflüchtete, die in libyschen Camps über Monate, manchmal Jahre, festgehalten wurden. Frauen berichten von Schlägen und Vergewaltigungen, denen sie ausgesetzt waren und die gefilmt worden seien. Amnesty International (AI), aber auch Seenotretter verweisen auf ungewollte Schwangerschaften. Teilweise seien Migranten, darunter Kinder, gezwungen worden, sexuelle Übergriffe mitanzusehen. Kleinkinder und Säuglinge erhielten kaum ausreichend Nahrung und sauberes Wasser. Amnesty International (AI) klagt seit Längerem die libyschen Autoritäten an, für all das verantwortlich zu sein.„Unsere Rescue-Teams bergen regelmäßig Menschen mit Verbrennungen, gebrochenen Gliedern, Schussverletzungen oder nach schwerer physischer und psychischer Folter aus seeuntauglichen Booten“, sagt Sophie Weidenhiller. Immer wieder müssten sogenannte MedEvacs von Bord der Rettungsschiffe eingeleitet werden. Gemeint sind medizinische Evakuierungen von Menschen in einem besonders kritischen Gesundheitszustand. „70 bis 80 Prozent der überwiegend jungen Menschen, die wir aus Seenot retten, befinden sich in einem erschreckend reduzierten Allgemeinzustand“, sagt Jakob Willenborg, der als Internist für Sea-Eye e.V. im Einsatz ist. „In diesem Alter ist das normalerweise äußerst selten.“ Auch Mohammed Fadlalla von Ärzte ohne Grenzen berichtet davon, dass Geflüchtete häufig unter Angstzuständen oder Depressionen litten. In einem von der italienischen Sektion der Hilfsorganisation mit dem römischen Gesundheitsministerium betriebenen Hospital im sizilianischen Hafen von Augusta benötigt rund ein Fünftel der aus Seenot geretteten Menschen eine Behandlung nach der Ankunft. Fünf Prozent müssen stationär betreut werden, weil sie teils in einem sehr kritischen Zustand sind.„Populismus ist Propaganda gegen Lösungen“, sagte einst Antonio Tajani, als er noch EU-Parlamentspräsident war. Als Außenminister und einer der Vizepremiers von Giorgia Meloni sollte er sich dieses Urteils erinnern, wenn darüber entschieden wird, nach welchen Kriterien künftig in Rom über das Schicksal von Menschen – über Leben und Tod entschieden wird.Placeholder infobox-1