In den gefährlichsten Ländern der Welt ist sie unterwegs. Die Gynäkologin Monika Hauser kämpft mit ihrer Frauenrechtsorganisation medica mondiale mit Wut und Ausdauer für die gesellschaftliche Anerkennung und die Entschädigung von Frauen und Mädchen und deren Kindern, die brutale, sexualisierte Kriegsgewalt erlitten und überlebt haben. Dabei setzt sie sich auch für die Einbindung von Männern in den Prozess ein, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Der Verein medica mondiale wurde vor genau 30 Jahren gegründet, im April 1993, als die Ärztin mit Unterstützung bosnischer Fachfrauen das Frauentherapiezentrum Medica Zenica in Zentral-Bosnien errichtete. Heute setzt sich ihre Organisation weltweit für Frauen in Konflik
Gynäkologin Monika Hauser: „Was ist denn mit Ihren Töchtern?“
Interview Die Gynäkologin Monika Hauser versucht seit 30 Jahren, mit dem Verein medica mondiale Opfer von sexualisierter Kriegsgewalt zu unterstützen. Ein Gespräch über den Versuch, einen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen

Dieses 13-jähriges Kind floh 2004 in Uganda aus der Kriegsgefangenschaft
Foto: Francesco Zizola/Laif
likt-und Kriegssitutationen ein.der Freitag: Frau Hauser, für Ihre Frauenrechtsorganisation medica mondiale stehen von Kriegsgewalt betroffene und gefährdete Frauen im Fokus des Handelns. Was macht es mit Ihnen, wenn Sie im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg einzelne Personen in Deutschland öffentlich sagen hören, dass Vergewaltigungen zu jedem Krieg nun mal dazugehören?Monika Hauser: Wenn das Leid betroffener Frauen in der medialen Berichterstattung skandalisiert, relativiert oder für politische Meinungsmache instrumentalisiert wird, setzt sich die patriarchale Gewalt, die sie im Krieg überlebt haben, fort. So wie derzeit in Deutschland teilweise über Kriegsvergewaltigungen öffentlich gesprochen wird, tragen gewisse Äußerungen dazu bei, dass Gewalt bagatellisiert und Überlebende weiter stigmatisiert werden. Es geht dann nicht um die Anerkennung des Unrechts, es wird auch nicht über die Ursachen und patriarchale Strukturen gesprochen, die sich im Krieg verschärfen.Wenn die Menschen in der Ukraine sich nicht dem russischen Regime ergeben wollen, das auch die systematische Vergewaltigung von Frauen und Mädchen anordnet – führt die Suche nach der richtigen politischen Haltung zu einer Spaltung in der feministischen Frauenbewegung bei uns?Die feministische Bewegung war und ist immer vielfältig und sich in vielen Positionen uneinig.Die Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt durchleben häufig eine emotionale Berg-und-Tal-Fahrt und müssen seelische Einbrüche überwinden. Für die Heilung braucht es einen langen Atem. Welche Rolle spielen sinnstiftende Arbeit und Ausbildung?Sinn durch Individualität spielt in vielen Ländern eine völlig andere Rolle als bei uns, genauso die Sinnhaftigkeit von Arbeit. Für viele Frauen in Afghanistan, der Demokratischen Republik Kongo, Liberia Uganda oder im Nordirak, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben, gibt es nichts Sinnhafteres, als Geld zu verdienen, damit ihre Kinder in die Schule gehen oder sie sich eine nötige Medizin leisten können – es gehört zusammen, um Heilung sowohl bei den Überlebenden als auch in der Gesamtgesellschaft fördern zu können.Und für die Rückgewinnung ihrer Identität nach Vergewaltigung?Überlebende brauchen zusätzlich Stärkung, um sich überhaupt etwas zuzutrauen: „Ich mache diese Arbeit, und ich kann auf eigenen Beinen stehen.“ Deshalb arbeiten wir bei medica mondiale mit einem ganzheitlichen, traumasensiblen, emanzipatorischen und vor allem langfristigen Ansatz, der die patriarchalen Strukturen im Blick hat. Denn es reicht nicht, diese Frauen mal drei Monate zu unterstützen. In Bosnien stehen unsere Partnerorganisationen auch noch 30 Jahre danach an der Seite von Frauen, die therapeutische Interventionen brauchen.Wie holt eine Frauenrechtsorganisation wie medica mondiale die Männer ins Boot?Auch wenn unser Hauptfokus in der Trauma- und Empowermentarbeit auf den Frauen liegt, haben wir sehr früh schon – als wichtiges, komplementäres Element unserer Arbeit – begonnen, Entscheidungsträger in Justiz, Polizei und Gesundheitswesen für die Problematik (kriegs-)vergewaltigter Frauen zu sensibilisieren. Das war über die Jahrzehnte unterschiedlich schwierig und bleibt ein kompliziertes Unterfangen.Wie war das in den Anfängen Ihrer Organisation mit der Einbindung männlicher Entscheidungsträger?Als wir 2002 unsere Arbeit in Afghanistan begannen, haben wir mit Chefärzten gesprochen, weil wir das Gesundheitspersonal schulen wollten. Wenn das Personal nicht für die Problematik sexualisierter (Kriegs-)Gewalt sensibilisiert ist, können Überlebende retraumatisiert werden. Die Chefärzte aber haben alle gesagt: „Wir brauchen doch keine Traumaarbeit! Wir brauchen das neueste Ultraschallgerät.“Und wie konnten Sie sie dann doch überzeugen?Dann haben unsere Kolleginnen versucht, mit ihnen zu reden. Nach einer halben Stunde hat jeder, wirklich jeder, angefangen zu weinen und gesagt: „Trauma? Wer bitte schaut denn auf mein Trauma? Jahrelang wusste ich nicht, ob meine Familie noch vollzählig am Tisch sitzt, wenn ich nach Hause komme. Nie habe ich darüber reden können, was ich erlebt habe. Ich bedauere zutiefst, dass ich meine Menschlichkeit verloren habe und es mir im Nachtdienst manchmal egal ist, wenn eine Frau unter der Geburt schwer blutet. Da geh ich nicht unbedingt hin.“ Plötzlich war das moderne Ultraschallgerät passé, wir konnten über Reflexions- und Schulungsprogramme sprechen.Sie erreichen Männer in Machtpositionen also über die Berührung mit ihrer eigenen Geschichte?Ja, und die ihrer Töchter mit Fragen wie: „Was ist denn mit Ihren Töchtern? Möchten Sie, dass sie auch zwangsverheiratet werden?“ – Das gibt natürlich kein Entscheidungsträger zu, im Gegenteil. Männer haben in patriarchalen Gesellschaften sehr oft überhaupt keinen Raum zu sprechen. Selbstverständlich können auch sie durch das Erlebte traumatisiert sein. Ähnliches erlebten wir ganz zu Beginn von medica mondiale in den 1990ern, als eine Kollegin, Psychiaterin, eine ambulante Beratungsstelle für rückkehrende Frontsoldaten in Bosnien einrichten wollte, um sie bei der Traumabewältigung zu unterstützen. Sie sah, dass dort viele traumatisierte Soldaten in ihren eigenen Familien Gewalt ausübten. Der Kommandant, dem sie den Vorschlag machte, sagte nur: „Meine Männer sind nicht traumatisiert.“Hören Sie solche Antworten öfter?Ja, und in patriarchalen Gesellschaften ist das oft Teil des Problems, denn, wenn nicht anerkannt wird, dass auch Männer traumatisiert werden, kommen wir an die Thematik sexualisierter Kriegsgewalt überhaupt nicht mehr ran.Wie schätzen Sie den Anteil von Frauen am Kreislauf sexualisierter Gewalt ein – wie solidarisch zeigen sie sich mit den Überlebenden?Wir wissen, dass Frauen sich von vergewaltigten Frauen auch distanzieren und unsolidarisch sagen können: „Mir passiert das nicht! Die Welt ist gut. Das ist der anderen Frau passiert, weil sie sich falsch verhalten hat.“ – Frauen tragen so bewusst oder unbewusst mit zum Kreislauf der Gewalt bei, weil sie oft selbst die patriarchalen Inhalte internalisiert haben und die vielen Mythen um sexualisierte Gewalt auch weitergeben. Frauen, die sich entschieden haben, patriarchale Strukturen mitzutragen, tun das auch, weil sie vom patriarchalen System profitieren wollen.Anders Frauen, die daraus bewusst aussteigen.Ja. Solidarität muss immer wieder neu erarbeitet werden. Oft geht es nur so lange gut, wie Frauen funktionieren und nicht selbst Gewalt erfahren. Das können wir immer wieder nur feststellen, aufzeigen, reflektieren, dafür sensibilisieren und daran arbeiten. Das sind sehr langwierige gesellschaftliche Entwicklungsprozesse.Die Stationierung von NATO-Friedenstruppen allein reicht nicht aus.Wir haben in den letzten 30 Jahren die Erfahrung gemacht, dass Strukturen nicht für sich alleine verändert werden können. Es muss immer die dahinterliegende Haltung mitverändert werden. Gerade auch UN- oder NATO-Soldaten sind in Verbrechen von sexueller Ausbeutung vor Ort involviert. Deshalb betonen wir immer wieder, dass es nicht ausreicht, mit einem sehr hohen Anspruch Gesetze zu erlassen, sondern dass stets auch die gesellschaftliche Aufklärung erfolgen muss, weil es sonst zu einem Backlash kommt. Den haben wir in Liberia mit dem sogenannten Rape Law erlebt: Die erste, 2006 gewählte Staatspräsidentin des Landes, Ellen Johnson-Sirleaf, berichtete, dass sie selbst Gewalt erfahren habe und es ihr wichtig sei, Frauen und Mädchen besser zu schützen. Sie wollte dafür kämpfen, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt, und installierte in einer ihrer ersten Amtshandlungen dieses Vergewaltigungsgesetz.Es war eine unglaubliche Errungenschaft.Ja, Vergewaltiger sollten extrem hohe Strafen bekommen. Die Richter in der Umsetzung aber fanden, dass Vergewaltigung doch nichts Schlimmes sei. Warum sollte ein Mann dafür 30 Jahre ins Gefängnis? – Ein hoher Anspruch hilft also nicht unbedingt bei der Implementierung: Viele Zwischenschritte müssen gegangen werden, um ein solches Gesetz auch nur ansatzweise in einem so notleidenden, von Korruption beherrschten Nachkriegsland umzusetzen. Im Nachgang bedurfte es viel Aufklärungsarbeit. Es musste erst noch deutlich gemacht werden, dass Vergewaltigung, speziell Kriegsvergewaltigung, eine schwere Menschenrechtsverletzung ist.Welches Resümee würden Sie für die Kooperation mit Männern ziehen? Im Iran wurden Männer hingerichtet, die sich mit den Frauenprotesten solidarisierten.Natürlich würden wir uns viel mehr Männer wünschen, die unsere Arbeit und die unserer Partnerorganisationen noch viel stärker und proaktiver unterstützen. Der Wert hoch sensibilisierter Männer, die mit uns für mehr Geschlechtergerechtigkeit kämpfen, ist unbestritten groß. Auch in extrem patriarchalen Ländern, wie Afghanistan, überall, immer, habe ich sie angetroffen: Männer, die bereit sind, ein persönliches Risiko einzugehen. Es gibt sie, die erfolgreichen, gemeinsamen Anstrengungen inmitten des Desolaten.Placeholder infobox-1