Ukrainische Leihmütter tragen Kinder für westliche Paare aus
Fruchtbarkeitstourismus Trotz des Krieges bringen jeden Monat Hunderte von ukrainischen Frauen Wunschkinder für andere Frauen zur Welt. Kliniken wurden teilweise in den Westen des Landes verlegt
Das private Geburtskrankenhaus der Klinikkette Adonis IVF (In-vitro-Fertilisation) in Buzova, keine hundert Meter von einer Hauptverkehrsader Richtung Kiew gelegen, wird im Frühjahr 2022 durch vorrückende russische Panzer zerstört. Die Evakuierung des Hauses in diesem Kiewer Vorort sei noch rechtzeitig erfolgt, berichtet Dmytro Pugach, Gründer der Ukrainischen Agentur für Leihmütter und Eizellspenderinnen (Ukrainian Surrogates and Egg Donors Agency) Mitte Januar 2023 im Interview. Adonis IVF ist für die Agentur einer der wichtigsten Kooperationspartner im Raum Kiew. Auch Reproduktionskliniken in Odessa, Charkiw, Dnipro und Lwiw würden unvermindert Leihmütter der Agentur abrufen, so Pugach.
„Wegen des Krieges haben einige IVF-Kliniken ihre L
ken ihre Lager zur Kryokonservierung von Embryonen und anderem Biomaterial an Orte in der Westukraine verlegt, die sicherer sind.“ Einige dieser Depots seien inzwischen bereits wieder an ihrem ursprünglichen Standort. Die Situation werde stets von Neuem geprüft, die Programme passe man an.Global Market Insides (GMI) im US-Staat Delaware beziffert den Marktwert von Hospitälern und Fertilitätskliniken bei der gewerblichen und traditionellen Leihmutterschaft (intrauterine Insemination und In-vitro-Fertilisation) im Jahr 2022 weltweit auf 14 Milliarden Dollar. In einem Jahrzehnt soll die Branche nach GMI-Prognosen auf 129 Milliarden Dollar anwachsen. Wenn der Reproduktionsmarkt boomt, Global Player agieren und Outsourcing den Gewinn befördert, greifen nationale Kontrollsysteme nicht mehr. Dank räumlicher, zeitlicher und sozialer Entkoppelung von Mutter- und Vaterschaften ist es möglich geworden, weibliche Eizellen von Menschen günstig und rechtlich einwandfrei in ukrainischen Reproduktionskliniken bei Leihmüttern einzupflanzen. Sie tragen die Kinder für westliche Fruchtbarkeitstouristen aus. Einer Legalisierung in Deutschland, wie sie noch in dieser Legislaturperiode von der Ampel-Regierung vorgesehen ist, wird diese Marktbedingungen nicht verändern.Leihmutterschaft kostet 30.000 bis 45.000 DollarSind auf nationaler Ebene die Kosten für eine Leihmutterschaft wegen besserer Standards höher, ist die nationale Gesetzgebung zum Schutz von Leihmüttern, Eizellspenderinnen und den daraus hervorgehenden Kindern restriktiver, dann werden diese Beschränkungen anderswo einfach umgangen. Dies geschieht, indem sich Paare mit Kinderwunsch über Agenturen die „Gebärdienstleistungen“ von Frauen in den Staaten kaufen, deren Rechte weniger geschützt sind. Folglich bringen derzeit jeden Monat Hunderte von Frauen überall in der Ukraine Wunschkinder für andere auf die Welt. Nach einer Analyse, wie sie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages vorgelegt hat, liegen die Kosten für eine Leihmutter in der Ukraine bei 30.000 bis 45.000 Dollar; etwa ein Drittel davon erhält die Leihmutter. Nur wenige Agenturen geben mehr an die Frauen weiter. In Florida, wo Leihmutterschaft legal ist, liegt der Preis für ein Wunschkind um das Drei- bis Vierfache höher.Ukrainische Reproduktionskliniken haben mit einem Weltmarktanteil von gut 25 Prozent durch den Krieg viel zu verlieren. Doch bleibt ihnen das bisher eher erspart. Schenkt man dortigen Agenturen Glauben, geht das Geschäft trotz gezielter russischer Angriffe auf die kritische Infrastruktur unvermindert weiter. BioTexCom, die größte Agentur für Leihmutterschaften und Eizellspenden, schrieb auf ihrer Website am 27. Dezember 2022, alle Programme und Prozeduren hätten unverändert Bestand. „Dank BioTexCom wurden in den vergangenen sechs Monaten 434 Paare auf der ganzen Welt zu glücklichen Eltern. Unfruchtbare Paare aus Europa, Asien und Amerika durchlaufen im Kiewer Zentrum erfolgreich Programme zur Leihmutterschaft. Und das sogar in Kriegszeiten.“Tatsache ist allerdings: Etliche Reproduktionskliniken liegen in stark umkämpften Gebieten der Regionen Charkiw und Kiew. In der Ostukraine sind inzwischen 15 Prozent der Gesundheitseinrichtungen teilweise oder völlig zerstört. In Charkiw und der Hafenstadt Mykolajiw sollen es 50 Prozent sein. Es sei für die Branche belastend, dass wegen der Kampfhandlungen viele Reproduktionsmediziner, Gynäkologen und Hebammen die Ukraine verlassen hätten und nun in der EU, in Georgien und Nordamerika arbeiteten, erklärt der Arzt Dmytro Pugach. Doch war die Lage von Leihmüttern zuvor schon prekär. Emma Lamberton aus Pittsburgh hat sich als Autorin in einer im Journal of Public and International Affairs veröffentlichten Masterarbeit für die Princeton University 2020 eingehend mit Leihmutterschaft in der Ukraine befasst. Sie berichtet von „Zwangsadoptionen, autoritären Strukturen und prekären Lebensbedingungen in Entbindungsheimen für Leihmütter“. Frauen, deren Gesundheit durch eine Leihmutterschwangerschaft gelitten habe, erhielten nur eine mangelhafte medizinische Betreuung. Entschädigungszahlungen blieben aus. Viele Leihmütter, so Emma Lamberton, könnten sich nicht gegen Misshandlungen wehren, da ihnen die finanziellen Mittel fehlten.Ein spanisches Paar mit Kinderwunsch berichtete 2020 in einer Agenturbewertung, die Babys würden in kommunalen Kliniken in der Hauptstadt Kiew unter prekären Bedingungen geboren. Man habe eine traumatische vaginale Geburt gesehen, bei der einem Baby mit einem Geburtsgewicht von über vier Kilogramm die Schulter ausgekugelt worden sei. Das Sterberisiko der Kinder sei hoch. „Frauen, die eben noch einen Kaiserschnitt und Schmerzen hatten, wurden nach 48 Stunden zwangsentlassen“, heißt es weiter. Immer wieder entscheiden sich Alleinerziehende, Frauen mit pflegebedürftigen Kindern oder älteren Verwandten, Frauen mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder niedrigem Einkommen dafür, Leihmutter zu werden. Ihr durchschnittliches Monatseinkommen liegt bei umgerechnet 237 Euro, wie die spanische Zeitung El Pais ermittelt hat. Nun erhöht der Krieg den finanziellen und mentalen Druck für diejenigen, die in der Ukraine zurückgeblieben sind. Sie sind mehr denn je darauf angewiesen, dass eine Leihmutterschwangerschaft gelingt. Dafür werden gesundheitliche Risiken in Kauf genommen: Spontanaborte, Fehlbildungen des Fetus oder Embolien nach hormonellen Stimulierungen. Für die Frauen sind Komplikationen eine existenzielle Herausforderung: Es geht um die Unversehrtheit von Leib und Leben, die eigene Gesundheit, die der leiblichen Kinder und die der Wunschkinder.Leihmütter dürfen Ukraine nicht verlassenEs kommt als überaus relevantes Moment hinzu, dass es ukrainischen Leihmüttern per Vertrag untersagt ist, das Land zu verlassen, da sie in vielen Staaten jenseits der Grenze automatisch zur Mutter des Kindes würden, das sie für andere Paare ausgetragen haben. Wie Susan Kersch-Kibler, Gründerin von Delivering Dreams, einer internationalen Agentur für Leihmutterschaft, im Juni 2022 offenlegte, bestimmen die Agenturen nicht nur, wo die Frauen das Kind zur Welt bringen und wann sie sich dorthin zu begeben haben. Sie sprechen auch bei der „Kontrolle des Fetus“ mit. Das heißt, sie entscheiden, ob ein Fetus abgetrieben wird oder dies unterbleibt. Doch nicht nur die Agenturen bestimmen über den Körper der Leihmutter. „Wenn es während der Schwangerschaft Probleme gibt, haben die künftigen Eltern das letzte Wort“, sagt Susan Kersch-Kibler. Es sei denn, das Leben der Leihmutter sei von deren Entscheidung bedroht.Noch vor der russischen Invasion berichtete ein französisches Paar in einer Bewertung von BioTexCom von der Fehlgeburt „ihrer Zwillinge“ in der 20. Schwangerschaftswoche. Sie hätten davon lediglich per E-Mail erfahren. Was mit den toten Körpern geschah, wüssten sie nicht. Kein Wort zu den Folgen für die Leihmutter. Das Paar unternahm einen zweiten Versuch, bei dem ohne dessen Wissen eine Embryonenreduktion (Fetozid) durchgeführt wurde. Dadurch wird bei unerwünschten Mehrlingsschwangerschaften, die durch künstliche Befruchtungen und Hormonbehandlungen der Leihmütter häufiger auftreten, die Zahl der Embryonen auf ein bis zwei „reduziert“.Laut ukrainischem Justizministerium sorgen „gespaltene“ Mutter- und Vaterschaften jedes Jahr für Dutzende von juristischen Auseinandersetzungen, weil Leihmütter die Neugeborenen nicht an ihre Bestelleltern abgeben wollten. Eine andere Sorge sind die Babys, die mit einem Handicap auf die Welt kommen: Werden sie von ihren genetischen Eltern abgelehnt, werden sie nicht automatisch ukrainische Staatsbürger und ebenso wenig automatisch das Kind der Leihmutter. Sie sind staatenlos und für eine Adoption nicht vermittelbar. Ihre Zukunft bleibt ungewiss, bis zu dem Zeitpunkt, da sie eine Institution anerkennt. Es gibt noch ein weiteres Problem: 2019 klagten neun Paare, weil sie festgestellt hatten, dass es mit ihrem Wunschkind keine genetischen Gemeinsamkeiten gab. An eine Überführung des Wunschkindes in einen Staat, der für die Anerkennung und den Schutz des Kindes eine genetische Übereinstimmung mit den beabsichtigten Eltern einfordert und erst dann die Geburtsurkunde ausstellt, ist in diesem Fall nicht zu denken. Bis heute konnte der Verdacht des Kinderhandels gegenüber den betroffenen Reproduktionskliniken nicht ausgeräumt werden.Zwischen Bomben, Blackouts und der mentalen Belastung der Leihmutter geboren, werden in Kiew weiterhin Wunschkinder teilweise durch die Hilfe Freiwilliger des paramilitärischen Carpathian Sich Battalion aus den Luftschutzbunkern der Geburtskliniken geborgen, um sie ihren Bestelleltern zu übergeben. Zurück bleibt die Frage, wessen Menschenwürde dabei eigentlich geschützt wird.