Endlich mehr als 140 Zeichen

Idealismus Platz zum Schreiben, wie beispielsweise über die Tücken der eigenen Branche? Den hat ein junger Journalist im Copy-Paste-Alltag nur selten

Trotz aller Schwarzmalerei zieht es immer noch viele junge Menschen in Medienberufe. In München finden jetzt vom 14.-17. Oktober die Jugendmedientage zum Thema „Ich will mehr als 140 Zeichen – Medien und Ökonomie“ statt.

Ich will auch mehr. Viel mehr. Und hier sind sie, die 7.700 Zeichen, die allein mir gehören. Jetzt auf jeden Fall. Denn eigentlich sollten hier Journalisten, Verleger und andere Experten zu Wort kommen. Aber wie das Leben so spielt, war die Zeit knapp und gibt es keinen Interviewpartner. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Eine halbe Seite zu füllen, keine Experten und nur noch eine Nacht Zeit.

Ich sollte das hinkriegen, ich studiere Journalistik. Schon dreieinhalb Jahre, bin im Bachelorsystem schon fast eine Langzeitstudentin. Aber meine Kollegin, die gerade bei der taz ein Praktikum macht, sagt, ein Artikel ohne O-Töne gehe nicht. Ich wäre ja kein Experte. Mist, da hat sie natürlich recht. „Google dir die Fakten doch zusammen“, rät mir meine Freundin, die ebenfalls bei einer Tageszeitung arbeitet. Um Gottes willen, genau darum geht es doch. Ich kann doch jetzt keinen kritischen Artikel über „Medien und Ökonomie“ schreiben und mir die Fakten dazu aus dem Internet suchen. Aber so laufe das, sagt meine Freundin. Ich will trotzdem mal etwas anderes versuchen.

Ein halbes Jahr umsonst gearbeitet

Ich bin tatsächlich kein Medienexperte. Aber wo ein junger Mensch, der Journalist werden will, mit wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zu kämpfen hat, das weiß ich.

Meine Jobs neben dem Studium sind eher bescheidener Natur. Ich bin Redakteurin beim Magazin des AStA meiner Hochschule, der eine kleine Aufwandspauschale zahlt, und ich arbeite bei einem Stadtmagazin für 400 Euro im Monat.

Um den Job beim Stadtmagazin zu bekommen, habe ich zunächst über ein halbes Jahr kostenlos gearbeitet. Später gab es eine kleine monatliche Entschädigung und nach etwa einem Jahr hatte ich dann einen festen Job. Ab dem Zeitpunkt, ab dem man mich richtig bezahlte, schrieb ich allerdings immer weniger Artikel. Dafür hatte ich unliebsamere Aufgaben. Das Schreiben der Artikel sollte für die Praktikanten aufgespart werden – die nämlich sind durch stupide Copy-Paste-Arbeit nicht zu halten. Als die Anzeigenkunden ihre Anzeigen mit Beginn der Wirtschaftskrise erstmal aussetzten und es an Geld fehlte, wurden die Praktikanten sogar unentbehrlich.

Ich habe in diesen ersten Jahren journalistischer Erfahrung aber nicht nur gemerkt, wie sehr Journalisten von Sparmaßnahmen betroffen sind, sondern auch, wie leicht man sich von der PR einlullen lassen kann. Nicht nur, wenn eine Zeitschrift zu einem Drittel vom Veranstaltungsteil eingenommen wird.

Und da liegt dann ein Stapel Pressemitteilungen mit ausführlichen Texten, Formulierungen, allen Daten. Wenn der Druck näher rückt, reizt es schon, über das Konzert oder die Lesung mit der besseren Pressemitteilung zu schreiben.

Ein Lob trotz fehlender Nudeln

Pressemitteilungen sind manchmal die letzte Rettung. Sie sind umsonst, sie kommen ins Haus, sie bieten Neuigkeiten. Fast zu schön um wahr zu sein. Es sind eben nur „Wahrheiten“, die dem Journalisten schnell zur Verfügung stehen. „Am Ende des Tages, wenn noch drei Meldungen offen sind und die, in der ohnehin schon ausgedünnten Redaktion, letzten Redakteure im verdienten Feierabend verschwunden sind, dann greift der Ressortleiter schon mal in den Stapel Pressemitteilungen. Dann fehlt zwar nicht mehr der Aufmacher der Zeitung, nicht die exklusive Nachricht, aber möglicherweise der Text zum Seitenfoto. Dann wird abgetippt und nicht mehr recherchiert“, erzählt meine Freundin, die in einer anderen dieser ausgedünnten Redaktionen arbeitet. „Die Motivation der Kollegen stirbt jedoch nicht, solange noch täglich eine Zeitung erscheint: Die exklusive Nachricht, den Aufmacher auf der Seite eins, die Reportage auf der Seite drei, das wollen sie alle. Das bringt wahrscheinlich die Portion Eitelkeit und Selbstbewusstsein, die man für diesen Beruf benötigt, mit sich. Denn wenn über die Online-Medien und die Agenturen läuft, dass Lidl seine Mitarbeiter ausspioniert, dann erscheint auch diese Nachricht. Mit einer Einschränkung: Vielleicht nicht gerade auf der Seite, auf der die Discounter-Anzeige platziert ist.“

Bei kleineren Lokalblättchen und Magazinen sieht es dagegen ein bisschen anders aus. Durch die lokale Begrenzung gibt es auch nur eine begrenzte Zahl an Anzeigenkunden. Was macht man also mit der Restaurantkritik vom Italiener, der die Nudeln im Nudelauflauf vergessen hat? Hat er doch nicht vergessen, die Anzeige zu bezahlen, die er geschaltet hat. Mit diesem Geld zahlt mein Chef schließlich mein Gehalt. Da wir alle nicht gern in die Hand beißen, die uns füttert, sei es auch ohne Nudeln, fällt die Kritik wohlwollender aus. Ich schaffe es, die kleine Notlüge mit mir zu vereinbaren. Nur ein Restaurant, kein Atomkraftwerk, sage ich mir. Aber im Grunde habe ich die Übung für später nicht bestanden.

Flexibel und crossmedial

Auch noch nicht bestanden und vor allen Dingen nicht verstanden, habe ich mein Studium. Ich studiere alles. Ich studiere Fernsehen, Radio, Fotografie, Layout, Schreiben, Internet, PR, Wissenschaft. Wahnsinn. Ich kann alles ein bisschen und nichts richtig. Der Journalist sollte heute alles können. Denn crossmedial ist gefragt. Ohne Zweifel, es bringt Spaß. Es ist toll, seine Geschichten in verschiedenen Medien umsetzen zu können. Ich habe nur das Gefühl, dass ich so niemals eines perfektionieren kann. Wenn ich kein Volontariat bekomme, dann kann ich ja auch noch in die PR gehen. Wird sowieso von uns erwartet, dass wir da flexibel sind.

Wenn man als Journalist irgendwann merkt, dass es gar nicht so leicht ist davon zu leben, kann ich es ansatzweise sogar verstehen, wenn jemandem die Puste ausgeht.

Eine meiner Dozentinnen, die Kulturjournalistin ist, erzählte einmal, dass einer ihrer Texte in einem Schulbuch abgedruckt werden sollte. Als sie nach dem Honorar fragte, entgegnete man ihr etwas verblüfft mit der Aussage, es sei doch eine große Ehre, wenn man ihren Text in einem Buch abdrucken würde, das im Unterricht genutzt wird. Meine Dozentin konnte daraufhin nur noch entgegnen: „Entschuldigen Sie bitte, ich lebe davon.“

Dass die meisten Journalisten aus Leidenschaft diesen Beruf ausüben und nicht wegen der grandiosen Bezahlung, hat sich rumgesprochen. Gerade junge Journalisten liefern ihre Texte in unbezahlten Praktika zuhauf ab, froh dass sie überhaupt veröffentlicht werden. Aber Entschuldigung, auch wir wollen mal davon leben.

Die neuen Möglichkeiten

Bei den großen Verlagen sieht es nicht besser aus. Auflagen sinken, Online wird zur größten Konkurrenz des klassischen Printprodukts. Abonnenten sterben im wahrsten Sinne des Wortes aus. Auch die besagte Freundin von der Tageszeitung mit Zweijahresvertrag hörte vor einem Jahr, ihre Stelle könnte weggespart werden, weil die Auflage eben auch den Anzeigenpreis bestimmt – bleibt die Zeitung am Kiosk liegen, wird’s auch für den Werbekunden billiger. Der Verleger erklärte damals, die Zukunft liege eben woanders.

Warum erzähle ich das? Es gibt zum einen durch das Internet, aber auch durch die allgemeine Beschleunigung der Medien und der Gesellschaft viele Schwierigkeiten, mit denen junge Journalisten zu kämpfen haben. Aber es werden auch ganz neue Möglichkeiten geboten, etwa der unbegrenzte Platz im Internet, Chancen durch neue Bezahlmodelle oder der Digitaldruck, der eine Magazingründung auch ohne großes Kapital möglich macht. Man muss diese Möglichkeiten nur zu nutzen wissen. Angebote wie die Jugendmedientage sollen werdenden Journalisten eine Hilfestellung sein, sich in der Medienwelt zu orientieren. Sie sollen denen eine Diskussionsplattform bieten, die auch mehr als 140 Zeichen wollen. Denn manchmal bekommt man die und dann sollte man sie zu nutzen wissen.

Melanie Petersen wollte Schriftstellerin werden, bis sie merkte, dass es schon genug Geschichten gibt. Jetzt gilt es sie zu finden und aufzuschreiben

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