Schlappschwanz, schreit sie ihn an. Dann tritt sie gegen sein Schienbein. Manchmal, wenn sich Franz und Johanna streiten, kennt Johannas Wut keine Grenzen. Dann hat sie ihre Fäuste nicht im Griff, und auch ihre nicht ihre Füße. Sie kratzt, sie tritt, sie brüllt herum. Franz kennt das, aber er ist zu schwach, sich dagegen zu wehren. Am Ende wird er Blutergüsse haben, manchmal auch Platzwunden.
Dieses Paar, dessen Namen geändert sind, ist nicht das einzige, das mit Partnerschaftsgewalt zu tun hat. Jede vierte Frau in Deutschland erlebt laut einer Studie des Familienministeriums mindestens einmal in ihrem Leben physische und psychische Gewalt. Schätzungen sprechen von etwa 20 Prozent männlicher Opfer, repräsentative Statistiken zu häuslicher Gewalt gegen Männer gibt es kaum.
Die Scham unter betroffenen Männern, darüber zu reden, ist groß. Fassen Männer mit Gewalterfahrungen den Mut, offen mit ihren Erlebnissen umzugehen, reagieren selbst Freunde und Familie meist verständnislos: Der lässt sich verprügeln? Das kann ich nicht glauben.
Hilfsangebote für männliche Opfer von häuslicher Gewalt sind rar. Während es bundesweit rund 400 Frauenhäuser und in allen größeren Orten Beratungsstellen für Frauen gibt, finden Männer gerade mal in drei Zufluchtswohnungen Unterschlupf.
Die Freunde sind ratlos
„Gewalt gegen Männer wird belächelt“, sagt Rolf Weinert von der Männerwohnhilfe im niedersächsischen Oldenburg. Weinert weiß nicht nur, wie schwer Männer Hilfe finden. Er weiß auch, wie sich Gewalt anfühlt. Vor ein paar Jahren hat er das selbst erlebt. Und jahrelang ertragen, bis er all diese Streitigkeiten und Übergriffe durch seine Partnerin satthatte.
Verwundert war Weinert über die Reaktionen in seinem Umfeld. Manche seiner Freunde waren ratlos über die Gewalt im Bekanntenkreis – und schwiegen. Einige wenige standen ihm zur Seite. Als er schließlich den Entschluss fasste, zur Polizei zu gehen, sagten die meisten: Seine eigene Frau zeigt man nicht an. Eine Verwandte habe ihn, sagt er, gefragt, warum er seiner Partnerin „nicht mal ordentlich eine geknallt“ hätte.
Der Trennung von seiner Partnerin folgte ein Kampf mit Behörden, Gerichten, der Polizei, es war ein Kampf ums gemeinsame Kind. Er traf auf wenig Verständnis, sämtliche Verfahren wegen häuslicher Gewalt gegen seine Frau wurden eingestellt. Weinert sagt: „Das Familiengericht und auch das Jugendamt haben die Gewalt bemerkt, aber ignoriert.“ Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind sei der Mutter zugesprochen worden. Eine Gutachterin habe vermerkt, dass es zwar zur Gewalt gekommen sei, Weinert aber seinen eigenen Anteil daran nicht erkennen wollte.
Weinert zog aus der gemeinsamen Wohnung aus, allein, ohne die Hilfe einer Organisation für von Gewalt betroffene Männer. Es ging nicht anders, eine Anlaufstelle für Fälle wie ihn gab es damals in Oldenburg, wo er wohnt, nicht. Das kann nicht so bleiben, sagte er sich. Und beschloss, einen Verein zu gründen. Gesagt, getan, gemeinsam mit Walter Dinninghoff und Wolfgang Rosenthal gründete er 2002 die Männerwohnhilfe in Oldenburg.
Seitdem kamen dort mehr als 80 Männer jeden Alters unter, das Durchschnittsalter liegt bei rund 40 Jahren. In der Zufluchtswohnung können zwei Männer bis zu drei Monate lang unterkommen, auch mit ihren Kindern. So wie in einem Frauenhaus auch müssen die Männer ihren Alltag hier selbst organisieren: putzen, kochen, aufräumen. Frauen- und Männerhäuser sind keine Hotels.
Für die Unterkunft müssen sie Miete bezahlen, in Oldenburg derzeit 90 Euro pro angefangene Woche. Sind zwei Männer da, können sie sich die Miete teilen, jeder zahlt dann also nur 45 Euro.
In die Oldenburger Männerwohnung können Gewaltopfer einziehen, bevor es zu handfesten Auseinandersetzungen kommt. Rolf Weinert nennt das „präventiven“ Ansatz. Den würden vor allem Väter gemeinsam mit ihren Kindern nutzen und dort vorübergehend einziehen. Dinninghoff sagt: „Wir gehen davon aus, dass sich Väter im Interesse ihrer Kinder und aufgrund eines ausgeprägten Verantwortungsbewusstseins über einen längeren Zeitraum dazu entscheiden, das Bestehen der Familie in gewohnter Form fortzusetzen.“
Die Oldenburger Wohnung ist fast immer ausgebucht. „Wir gehen davon aus, dass es möglich wäre, mit einer ähnlichen Auslastung noch ein bis zwei weitere Wohnungen allein in Oldenburg zu betreiben“, sagt Dinninghoff. Dennoch ist unklar, wie es mit dem Verein weitergeht, die Stadtverwaltung fördert den Verein schon seit 2014 nicht mehr. Eine Männerberatungsstelle musste 2016 schließen, dafür gab es kein Geld. Dinninghoff vermutet dahinter einen „falsch verstandenen Feminismus“ der Behörden, indem ein Angebot für Männer als eines gegen Frauen missinterpretiert werde.
Dass der meist körperlich überlegene Mann Opfer seiner gewalttätigen Partnerin wird, erscheint nur schwer vorstellbar. Das zwar überholte, aber noch weitverbreitete Männerstereotyp schreibt vor, dass ein Mann kein Opfer sein darf und kann. Stärke und Durchsetzungsvermögen gelten traditionell als männliche Eigenschaften.
Ein althergebrachtes kulturelles Konstrukt, das Jungen schon im Kindesalter prägt: Sie dürfen nicht weinen und keine Schwäche zeigen. Später, als Heranwachsende, haben sie es schwer, offen ihre Gefühle zu zeigen und so Schmerzen und psychischem Druck standzuhalten. In den meisten alltäglichen Situationen, beispielsweise im beruflichen Bereich, wirken diese Eigenschaften als Privilegien.
Mittlerweile ist klar, dass Geschlechterstereotype dieser Art vor allem den Männern selbst schaden – und viele jüngere Eltern erziehen ihre Kinder anders. Da dürfen Jungen weinen, mit Puppen spielen und rosa Strumpfhosen tragen, und Mädchen selbstverständlich mit dem Spielzeugkran herumfahren.
Toxischer Kreislauf
Klar ist inzwischen auch, dass Männer, die als Kinder und Jugendliche zu „richtigen Kerlen“ erzogen worden sind, Kerlen, die sich auch mal mit der Faust wehren müssen, als Erwachsene gewalttätig werden können. Oder – andersherum – in gewalttätigen Beziehungen verharren, weil Gewalt für sie eine gelernte Strategie ist, Probleme zu lösen. Sie wagen es kaum, sich Hilfe zu suchen. Befinden sie sich zudem in einem Umfeld, das ähnlich tickt wie sie, erscheint es nahezu unmöglich, dem toxischen Gewaltkreislauf zu entkommen.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diesen Kreislauf zu durchbrechen: Männer sollten keine Scheu haben, über ihre Gewalterfahrungen zu reden, Frauen sollten das anerkennen, Hilfseinrichtungen müssen stärker als bisher finanziert werden. Zu guter Letzt: Da muss die Politik ran. Das profeministische Bundesforum Männer fängt damit gleich mal an: An diesem Donnerstag trifft der Interessenverband für Jungen, Männer und Väter in Berlin einige Bundestagsabgeordnete, um mit ihnen über „männerpolitische Perspektiven in der neuen Legislaturperiode“ zu debattieren. Ein Thema wird sicherlich Gewalt gegen Männer sein.
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