Die Finca Tierra Grata liegt im Osten Kolumbiens. Die unerbittliche Hitze hat die Savanne vertrocknen lassen. Ein paar dünne Kühe und Rinder suchen zwischen trockenen Bananenfeldern etwas Grün. Trotzdem will sich hier eine Gruppe ehemaliger FARC-KämpferInnen eine Existenz aufbauen. Seit dem Friedensvertrag v0n 2016 werden überall in Kolumbien ehemalige revolutionäre GuerillakämpferInnen entwaffnet und ins zivile Leben eingegliedert. In Tierra Grata befindet sich die einzige wachsende Demobilisierungszone. Zuwachs kommt durch Familienmitglieder und neue zivile Bekannte – fast alles junge Frauen. Sie verlieben sich in einen der Ex-Guerilleros und ziehen dann zu ihm. Auch Kinder werden hier geboren. Außerhalb der Zonen ist es für die KämpferInnen schwer, einen Partner zu finden.
218 FARC-Mitglieder haben sich im Januar 2017 in Tierra Grata eingefunden und unter strengster Kontrolle durch Polizei, Militär und Vereinte Nationen ihre Waffen abgegeben. Was noch vor einem Jahr eine Hochsicherheitszone war, ist heute eine Oase der Ruhe. Hier lebt mit rund 350 Personen Elena Duran*. Besuchern stellt sie sich mit ihrem bürgerlichen Namen vor. Aber den kennt unter ihren Genossinnen niemand, sagt sie lachend. „Ich habe 14 Jahre unter anderen Namen gelebt, diese Identität lässt sich nicht so schnell abschütteln.“ Ihr Partner ist ebenfalls Ex-Guerillero. Seit wenigen Monaten haben sie einen Sohn. „Der wird ,Mama‘ zu mir sagen. Oder wie alle anderen ,Elena‘, den alten Kampfnamen.“
In 24 Übergangszonen sollten sich die rund 8.000 Demobilisierten, davon rund 30 Prozent Frauen, auf das zivile Leben vorbereiten. 180 Tage sollten reichen, um die Waffen abzugeben und ein „normales“ Leben zu beginnen. Zwei Jahre später haben viele ehemalige Guerilleros noch kein anderes Zuhause gefunden. Elena zuckt mit den Schultern: „Wohin sollen wir denn gehen? Wir haben ja nichts.“
Auch der fortdauernde Krieg gegen die FARC spielt eine große Rolle für den internen Zusammenhalt. „Allein bringen sie uns um. Nur zusammen sind wir sicher“, sagt Elena. Sie behält Recht. Bisher sind alle 128 Morde an FARC-Mitgliedern seit der Demobilisierung außerhalb der Lager verübt worden. Drei Tage nach dem Besuch in Tierra Grata wird auf ein Paar und dessen Baby geschossen. Der neun Monate alte Sohn stirbt dabei. Der Ex-Kämpfer und seine Frau überleben schwer verletzt.
Elena bekleidete zuvor einen hohen Rang. Heute bedauert sie, die Waffen abgegeben zu haben: „Wer hilft uns, wenn wir ermordet werden?“ Sie erlebte die Waffenabgabe als Verlust von Macht. Nicht nur gegenüber dem Feind, sondern auch, weil sie nun die Frauen in ihrer Mannschaft nicht mehr schützen kann. Nun kämpft sie im Lager für Regeln des Zusammenlebens. Jeden Montag, früh um 5 Uhr, tagt das „Komitee des guten Zusammenlebens“. „Was wir vorher mit Disziplin erreicht haben, müssen wir nun mit Überzeugungsarbeit versuchen.“ Vor allem die Zugezogenen empfinden oft keine politische Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft. Ein Beispiel: Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der FARC haben auf Gleichheit beruht. „Wenn ein Mann eine Frau schlecht behandelt hat, wurde er sanktioniert und musste Selbstkritik üben.“ Jetzt gibt es das Komitee. Und wenn nun jemand die Regeln nicht befolgt? „Dann müssten wir den Fall der Polizei übergeben“, sagt Elena.
„Der Krieg war sicherer“
Mehr als 1.000 Kilometer südlich von Elena, in La Elvira, leben von den ehemals 400 KämpferInnen nur noch rund 15. Hier wohnt Ex-Guerillera Rita Jiménez* in einer der Hütten aus Gipskarton, gesäumt von Kokafeldern. „Im Krieg habe ich mich sicherer gefühlt als jetzt“, sagt sie. „Wir waren Nomaden, haben uns immer nur kurz an einem Ort aufgehalten, aber für alles war gesorgt.“ Die Umstellung fällt ihr schwer: Geld verdienen, einkaufen, Miete bezahlen. Wer wie Rita 37 Jahre lang im Krieg war, spürt die neue Freiheit auch als eine Unsicherheit. In der Guerilla hatte sie immer eine klare Aufgabe, war Teil von etwas.
Jetzt ist sie 50 Jahre alt. Kaum zu glauben: Zur FARC ging sie mit 13 Jahren. Rita erzählt, dass Mädchen in den Dörfern wie persönlicher Besitz behandelt wurden, zunächst von den Eltern, dann vom Ehemann. Meist bekamen sie vor der Hochzeit das erste Kind. „Ich konnte mir das für mich nicht vorstellen“, erzählt sie. Es gab viele Minderjährige in der FARC. Aber alle waren freiwillig dort, darauf besteht sie.
Viele Frauen aus den Reihen der FARC berichten mit Wehmut von der Guerilla. Männer und Frauen hatten die gleichen Aufgaben, als Frauen haben sie sich Respekt erkämpft. Elena ist 32 Jahre alt und ist an ihrem 18. Geburtstag der FARC beigetreten. In einer Fotogalerie im Lager ist auch sie zu sehen – bewaffnet und in Uniform. Hier hängen Bilder von Frauen. Man sieht sie bei der Ankunft in den Zonen, der Waffenabgabe und zu Veranstaltungen. Am 8. März, zum Internationalen Frauentag, gab es ein großes Fest.
Vielleicht brauchen die ehemaligen Kämpferinnen diese Prise Romantik in Anbetracht der Herausforderungen im zivilen Leben. Denn heute leben viele von ihnen in den klassischen Rollenmustern. Selbst Elena, die sich als Feministin beschreibt und im Gender-Komitee der FARC ist, macht den Haushalt allein. Warum? „Weil mein Mann auf dem Feld arbeitet und es mir leichterfällt.“ Sie kocht, wäscht und putzt und kümmert sich danach um die politische Arbeit. Allein das ist im Vergleich zum Rest des Landes schon ein Fortschritt.
Es gibt bisher kaum Beziehungen zwischen Ehemaligen und zivilen Männern. Die Männer außerhalb seien Machos, klagt Rita: „Ich habe doch nicht jahrzehntelang mein Leben riskiert, um jetzt einem Kerl seine Unterhose zu waschen.“ Aber genau das erwarten die meisten. Und auch die ehemaligen FARC-Kämpfer gewöhnen sich in den Beziehungen mit zivilen Frauen schnell wieder an den Machismo.
„Ehemalige Guerilleros gelten als gute Beschützer und starke Typen. Uniformen machen sexy. Aber die Männer außerhalb haben vor Guerilleras Angst. Sie denken, wenn sie sich schlecht benehmen oder sich in eine andere verlieben, dann würden wir sie behandeln, wie Männer das tun würden“, sagt Rita. Männer haben also Angst vor Männlichkeit? So scheint es zu sein, das erklärt auch ein männlicher Genosse: „Die Zivilen haben Angst, dass die Ex-Kämpferin ihnen dann eine runterhaut oder Schlimmeres.“ Beziehungen sind auch in Kolumbien häufig gewaltvoll, dem entsprechen auch die Statistiken zu Feminiziden und sexualisierter Gewalt. Und Männer wollen auf das Recht des Stärkeren offenbar nicht verzichten, vermutet Elena.
Bewaffnet und geschminkt
Mehr als notwendig ist also die feministische Bewegung innerhalb der FARC. Auch die hat sich mit der Demobilisierung verändert. Für Rita bedeutet Feminismus, auch unter den Bedingungen des Krieges weiblich zu bleiben. „Wir waren Feministinnen, trotz Gleichheit und in Uniform haben wir unsere Weiblichkeit nicht verloren.“ Unterstützungsgruppen aus der Stadt haben sie sogar mit Kosmetik und Schmuck versorgt. „Damit wir zwischen den Aufgaben des Alltags und den Gefechten unsere feminine Art nicht aufgeben mussten“, erklärt sie. Und tatsächlich sind die schwer bewaffneten Frauen auf den Fotos außergewöhnlich gut gekleidet, geschminkt, haben die Haare zurechtgemacht, die Fingernägel lackiert.
In den Bergen waren Männer und Frauen in der Praxis gleichgestellt, aber es gab kaum Auseinandersetzungen mit feministischer Theorie. „Das hat erst während der Friedensverhandlungen angefangen“, erklärt Elena. So entstand der feminismo insurgente, der Guerillafeminismus. „Wir identifizieren uns mit den feministischen Theorien und fügen ihnen unsere Praxis hinzu.“ Daraus folgt für sie: Ohne Frauen wird es keinen Kampf gegen den Kapitalismus geben, denn das Patriarchat ist ein Teil dieses Systems. Weder der Körper der Frau noch das Land dürfen zu einem Territorium für Eroberungen werden.
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