Als "arisiert" wurde: von Künstlern und Toden

Salzburg. Aus dem Leben der Grafikerin Poldi Wojtek: vom Plakat der Salzburger Festspiele 1928 bis zur "Arisierung" der Atelier-Villa der Malerin Helene von Taussig und danach

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Bildtitel: “Aufschrei 11:09 Uhr”
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Die "Arisierung" der Atelier-Villa von Helene Taussig

Die "Arisierung" der Villa Taussig in Anif, einer kleinen österreichischen Gemeinde am südlichen Stadtrand Salzburgs, erfolgte per "Kaufvertrag" vom 1. Oktober 1941. Gemäß dieses "Vertrags" erwarb Hofrat Ing. Josef Wojtek für einen Betrag von 17.100 Reichsmark die Atelier-Villa der Malerin Helene Taussig. Der SS-Offizier und NS-Kunsträuber Kajetan Mühlmann, mit Leopoldine "Poldi" Wojtek, der Tochter von Josef Wojtek in den Jahren 1932-1941 verheiratet, zahlte in diesem Zusammenhang einen Teilbetrag von 15.000 Reichsmark auf das Namenskonto "Entjudungserlös Helene Taussig" bei der Landeshypothekenanstalt in Salzburg ein.

1940 war die Malerin Helene Taussig aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Anif ausgewiesen und 1941 durch "Arisierung" enteignet worden. Sie floh nach Wien und fand im Stadtbezirk Wien-Floridsdorf kurzfristig Zuflucht im Altersheim des Klosters der Karmelitinnen. Von dort wurde sie am 9. April 1942 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert und vermutlich noch vor dem 21. April 1942 ermordet. 1943 schenkte Josef Wojtek seiner Tochter Poldi das "arisierte" Atelierhaus der Malerin.

Kai Mühlmann: Ehemann, SS-Mann, NS-Kunsträuber

Kajetan (Kai) Mühlmann, Kunsthistoriker, späterer SS-Offizier und NS-Kunsträuber war ab 1926 bei den Salzburger Festspielen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig. Er lernte dort die Grafikerin Poldi Wojtek (1903–1978) kennen. Sie gestaltete u. a. 1928 ein Sujet, das als Plakat vergangener Festspiele und auch heute noch als "Logo" der Salzburger Festspiele Verwendung findet. Die Ehe mit Poldi Wojtek wurde 1941 geschieden, u. a. deshalb, weil Mühlmann in der Zwischenzeit mit einer anderen Frau drei Kinder hatte.

Kajetan Mühlmann knüpfte bereits im Laufe der 1930er Jahre maßgebliche Kontakte in die NSDAP, u. a. zu Hermann Göring, und er war 1938 zu Besuch bei Adolf Hitler, auf dessen Berghof am Obersalzberg, als dieser am 12. Februar den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg brüllend demütigte und ihm das sog. "Berchtesgadener Abkommen" aufzwang. Als Kurzzeit-Bundeskanzler und Reichsstatthalter ernannte Arthur Seyß-Inquart den SS-Offizier Mühlmann zum Staatssekretär für Kultur. Als "Kunsträuber" der NS-Diktatur raubte dieser schließlich mit seinen Schergen zahlreiche öffentliche und private jüdische Kunstschätze, in mehreren von der deutschen Wehrmacht unterworfenen europäischen Ländern. Unter anderem ließ sich auch Josef Thorak, der Lieblingsbildhauer Hitlers, von Mühlmann geraubte gotische Türen und Skulpturen für sein "arisiertes" Schloss Prielau – die Familie Hofmannsthal war ebenfalls enteignet worden – aus Frankreich beschaffen.

Die Jahre von 1945 bis 1948 verbrachte Mühlmann zum Teil in amerikanischer Internierungshaft und sagte in mehreren Kriegsverbrecherprozessen aus; ein Prozess gegen ihn selbst kam weder vonseiten der Alliierten, noch später seitens Deutschlands zustande – von einem österreichischen Gerichtsverfahren in Abwesenheit abgesehen. Nach 1948 lebte Mühlmann als Zivilist unbehelligt am Starnberger See, starb 1958 in München und wurde in Salzburg begraben. Durch Kajetan Mühlmann erhielt Poldi Wojtek während der NS-Zeit zahlreiche Aufträge, u. a. die Mitarbeit an der Gestaltung des Eisernen Vorhangs am Wiener Akademietheater. Ebenso illustrierte sie, 1936 als Poldi Mühlmann, ein propagandistisches Kinderbuch, das die Lebensgeschichte Hitlers idealisierte und entwarf 1938 einen Gobelin mit NS-Reichsadler- und Hakenkreuzmotiv samt Hitler-Zitat für das Ärztehaus in Linz.

Josef Wojtek: Vater, Schwiegervater, Hofrat in Salzburg

Der Vater von Poldi Wojtek-Mühlmann, Hofrat Josef Wojtek, trat auch vor der "Arisierung" der Villa Taussig im Zusammenhang mit "NS-Enteignungen" in Erscheinung, nämlich als zuständiger Beamter für konfiszierte Repräsentationsgebäude in Salzburg; so wurde er etwa im Frühjahr 1938 zum kommissarischen Leiter des Schlosses Leopoldskron – Max Reinhardt war gleichfalls enteignet worden – bestellt. (Salzburger Volksblatt, 6. Mai 1938) Die "Illustrierte Kronen-Zeitung" vom 31. März 1938 höhnte dazu: "Die Frage nach dem Aufenthaltsort des Schmocks Reinhardt scheint uns aber weit weniger wichtig zu sein als die Tatsache, daß er nicht mehr da ist. Mehr wollten wir doch gar nicht ... !"

Tonia Wojtek: Schwester, Tänzerin, Reichshochschulprofessorin

Grete Wiesenthal war eine Koryphäe der österreichischen Tanzszene während der Ersten Republik. Sie tanzte und choreographierte u. a. in Salzburger Produktionen von Max Reinhardt. Ab 1934 leitete sie den Meisterkurs für künstlerischen Tanz an der Staatsakademie in Wien (Name der Universität für Musik und darstellende Kunst zwischen 1919-1938). Nach dem Anschluss 1938 übernahm die Schwester von Poldi Wojtek, Tonia (Antonia), eine Absolventin der Wigman-Schule in Deutschland und seit 1933 Mitglied in der NS-Reichstheaterkammer, die Leitung der Abteilung Tanz von Grete Wiesenthal an der sog. Reichshochschule (Name der Universität zwischen 1938-1945).

Poldi Wojtek war keine apolitische Gebrauchsgrafikerin der 1930er Jahre, sondern – wie zahlreiche andere Künstler, etwa Josef Thorak, der Lieblingsbildhauer Hitlers – eine Profiteurin der Zeit und des totalitären NS-Regimes.

Memory Gaps unterstützt seit 2016 die von der Malerin Konstanze Sailer stammende Idee, die nach Josef Thorak, dem Lieblingsbildhauer Hitlers benannte Straße in Salzburg-Aigen in Helene-Taussig-Straße umzubenennen.

Dominik Schmidt

Salzburg, am 26. Juni 2017

Zur "Intervention I: Poldi Wojtek, Grafikerin" von Memory Gaps ::: Erinnerungslücken

Zur "Intervention II: Poldi Wojtek war nicht harmlos" von Memory Gaps ::: Erinnerungslücken

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"Memory Gaps ::: Erinnerungslücken", die digitale Kunstinitiative, wurde von der Malerin Konstanze Sailer 2015 gegründet.

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