Erinnerung: Intervention des Gegenwärtigen

Österreich Irgendwann sollte auch noch der letzte Rest an Geschichtsglättung aufgegeben und einfach nur gesagt werden, was war und was ist. Eine einfache Übung, meint Memory Gaps

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Helene Taussig
Helene Taussig

Bild: Konstanze Sailer, 2019

Leopoldine (Poldi) Wojtek (1903-1978) war Grafikerin in Salzburg. Sie gestaltete 1928 ein Sujet, das als Plakat vergangener Salzburger Festspiele und auch heute noch als "Logo" der Festspiele Verwendung findet. Darüber hinaus war sie eine ausgezeichnete Netzwerkerin, vor allem in der NS-Zeit. Dass sie mit Kajetan (Kai) Mühlmann, einem Kunsthistoriker, SS-Offizier, Staatssekretär und späteren NS-Kunsträuber verheiratet war, zählt in ihrem Lebensverlauf nicht zum Besonderen, sondern zum Normalen.

Auftragswerke im Schlepptau des Vaters ...

Bei zahlreichen ihrer sogenannten Salzburger Auftragswerke der 1920er Jahre war ihr Vater, Hofrat Ing. Josef Wojtek, Bauleiter der betreffenden Projekte. Zwischendurch "gewann" Poldi Wojteks Plakatentwurf 1928 auch einen Wettbewerb der Salzburger Festspiele. Kajetan Mühlmann, zu jener Zeit noch für die Festspiele im Bereich Werbung tätig, knüpfte in den 1930er Jahren Kontakte in die NSDAP, u. a. zu Hermann Göring.

... und im NS-Netzwerk des Ehemannes

Wojteks Ehemann war nicht der einzige NS-Sympathisant in ihrem persönlichen Umfeld, auch mit zahlreichen frühen "Illegalen" verband sie eine durchaus rege Zusammenarbeit. 1936 illustrierte die Grafikerin (lt. Katalogisat als Leopoldine Mühlmann) ein propagandistisches Kinderbuch, das die Lebensgeschichte Adolf Hitlers idealisierte. Der Text zu ihren Illustrationen stammte von Karl Springenschmid, jenem völkischen NS-Schriftsteller, NSDAP-, SA- und SS-Mitglied sowie Leiter des Salzburger Schulwesens, der als einer der Hauptverantwortlichen für die Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz, am 30. April 1938, gilt. Einen "besonderen" Auftrag erfüllte Wojtek 1938, als sie einen Gobelin mit NS-Reichsadler- und Hakenkreuzmotiv samt Hitler-Zitat aus dessen Linzer Rede, vom 12. März 1938, entwarf.

Wiener NS-Karrieren

Die persönlichen Spannungen zwischen Kajetan Mühlmann und Gauleiter Josef Bürckel wirkten sich auch negativ auf das Fortkommen der Familie Wojtek in Salzburg aus. Vorübergehend nach Wien ausgewichen, war Hofrat Wojteks Adresse die Wiener Reichshochschule (Name der Universität für Musik und darstellende Kunst zwischen 1938-45). Dort hatte seine zweite Tochter, Tonia, seit 1933 Mitglied in der NS-Reichstheaterkammer, ab 1938 die Leitung der Abteilung Tanz von Grete Wiesenthal, einer Koryphäe der österreichischen Tanzszene während der Ersten Republik, "übernommen".

Heinrich Damisch: Gründervater und Antisemit

Positive Besprechungen erhielten die Choreografien von Tonia Wojtek, Poldis jüngerer Schwester, auch von Prof. Heinrich Damisch, einem der Gründerväter der Salzburger Festspielhausgemeinde und, eigenen Angaben zufolge, Direktionsmitglied der Salzburger Festspiele bis 1925. Der Antisemit Heinrich Damisch, NSDAP-Mitglied ab 1932, publizierte 1938 den Artikel "Die Verjudung des österreichischen Musiklebens", in der offen rassistischen Monatsschrift "Der Weltkampf".

Dieser Kurzaufsatz lässt keine Fragen zu Charakter und Haltung seines Autors offen, wenn dieser schreibt: "Arnold Schönberg, ein kleiner jüdischer Handelsangestellter marxistischer Richtung, entdeckte seine Berufung zum musikalischen Demolierer …". Heinrich Damisch zufolge wurde Gustav Mahler, der "aus dem Wiener Konservatorium »wegen Größenwahn« vorzeitig entfernte militante jüdische Dirigent" … "über Betreiben der Familie Rothschild" … "nach Wien zur Leitung der Hofoper berufen."

Umbenennung der Heinrich-Damisch-Straße in Helene-Taussig-Straße?

Dass Heinrich Damisch nach wie vor die Ehre einer nach ihm benannten Straße im Salzburger Stadtteil Parsch zuteil wird, könnte im kommenden Jubiläumsjahr der Salzburger Festspiele vonseiten der Stadt Salzburg zum Anlass genommen werden, eine Umbenennung der Straße durchzuführen. Memory Gaps schlägt bereits seit 2016 vor, die Josef-Thorak-Straße, die in Salzburg-Aigen nach dem Lieblingsbildhauer Hitlers benannt ist, oder, alternativ dazu, die Heinrich-Damisch-Straße in Salzburg-Parsch in Helene-Taussig-Straße umzubenennen.

Zurück in Salzburg: "Arisierung"

Helene Taussig, Malerin und Eigentümerin einer Atelier-Villa in Anif bei Salzburg war aufgrund ihrer jüdischen Herkunft 1940 aus Anif ausgewiesen, im April 1942 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert und kurz nach ihrer Ankunft ermordet worden.

Vor ihrer Deportation wurde die Künstlerin gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. "Käufer" der Villa war Josef Wojtek, der seiner Tochter Poldi das Haus schenkte. "Aryanization" ("Arisierung"), vermerkten die US-amerikanischen Militärbehörden nach dem Krieg.

Poldi Wojtek nahm die Atelier-Villa, die ihr Vater "ohne jeglichen Druck auf Fräulein Taussig rechtmäßig erworben" hatte, wie sie den US-amerikanischen Militärbehörden im März 1946 mitteilte, gerne an. Denn die Vorbesitzerin, Fräulein Taussig, sei aus der Gemeinde Anif hinausgeworfen worden und "starb kürzlich in Polen".

Alte Seilschaften

Wojteks alte Kontakte hielten auch nach 1945. Karl Springenschmid, von den amerikanischen Besatzungstruppen gesucht, tauchte unter dem Namen Karl Bauer in Tirol unter und stellte sich als Ghostwriter in die Dienste des beliebten, anfangs auch von Hitler bewunderten, NSDAP-Mitglieds Luis Trenker. Er verbreitete auch nach 1945 völkisches Gedankengut, was Poldi Wojtek nicht daran hinderte, bis 1966 Weihnachtspostkarten für ihn zu gestalten.

Kajetan Mühlmann, der als NS-Kunsträuber in den Niederlanden und vor allem auch in Polen sein Unwesen trieb was am heutigen 75. Jahrestag des Warschauer Aufstandes erwähnt werden muss lebte ab 1948 weitgehend unbehelligt am Starnberger See. Schwester Tonia zog vom österreichischen Attersee nach Hannover und Vater Josef Wojtek wurde zum Siebziger eine triumphale Rückkehr nach Salzburg, samt medialer Ehrung für sein Lebenswerk zuteil. Die kleinen Details, wie das NS-Mitläufertum und die "Arisierung" der Villa von Helene Taussig wurden diskret weggelassen.

All die Jahrzehnte arbeiteten die Salzburger Festspiele mit dem Logo einer Künstlerin, die bis dato so gut wie keine offizielle Biografie hatte und dementsprechend neutral besetzt war. Als weltweit bedeutendstes Festival für klassische Musik sind diese zu ihrem 100. Jubiläum im kommenden Jahr gefordert, sich zum nunmehr rekonstruierten Lebensweg von Poldi Wojtek zu verhalten und Stellung zu beziehen. Wenn möglich, nicht halbherzig und mit Blick auf die politisch problematische Haltung vieler damaliger Komponisten, Dirigenten und Sänger. "La mémoire attend l’intervention du présent", schrieb Paul Valéry in seinen Cahiers. (K)eine einfache Übung.

Dominik Schmidt und Konstanze Sailer

Memory Gaps ::: Erinnerungslücken: zu den aktuellen Interventionen

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Geschrieben von

Memory Gaps

"Memory Gaps ::: Erinnerungslücken", die digitale Kunstinitiative, wurde von der Malerin Konstanze Sailer 2015 gegründet.

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