Thorak darf bleiben?

Salzburg. Nach einem der Lieblingskünstler Adolf Hitlers, dem Bildhauer Josef Thorak, ist heute noch eine Straße in Salzburg benannt.

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“Aufschrei 21:57 Uhr”
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Bild: Konstanze Sailer, 2015

Die Vertreter der beiden Salzburger Stadtparteien ÖVP und der SPÖ erklärten nun, dass sie sich mit „Zusatztafeln“ an den Straßenschildern der Josef-Thorak-Straße begnügen möchten. Und das, trotz des Vorschlags der Kunst-Initiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken, die Josef-Thorak-Straße nach der von den NS-Schergen ermordeten Malerin Helene von Taussig, die in Salzburg lebte und arbeitete, umzubenennen.

Helene von Taussig (* 10. Mai 1879 in Wien; † 21. April 1942 im Transit-Ghetto Izbica) war eine österreichische Malerin. Nach dem Tod ihres Vaters, des Gouverneurs der Bodencreditanstalt Theodor von Taussig, widmete sie sich ab 1910 gänzlich der Malerei. Sie lebte und arbeitete seit 1919 in Anif bei Salzburg, Ausstellungen ab 1927 folgten, 1934 ließ sie sich ein Atelier in Anif errichten. 1940 wurde sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Anif ausgewiesen, 1941 enteignet und am 9. April 1942 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert. Helene Taussig wurde am 21. April 1942 von Izbica als verstorben gemeldet, vermutlich aber bereits davor in einem der NS-Vernichtungslager Belzec, Sobibor oder Majdanek ermordet.

Bis zum heutigen Tag existiert in Salzburg keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Josef Thorak seit 1963 immer noch eine Straße im Salzburger Stadtteil Aigen benannt. Thorak war Bildhauer, NSDAP-Mitglied und sowohl durch die NSDAP als auch von Adolf Hitler persönlich gefördert und unterstützt. Albert Speer wurde 1938 von Hitler beauftragt, in Baldham bei München ein monumentales Atelier für den Bildhauer zu planen und errichten zu lassen. Allein die drei Eingangstore des für riesige Arbeiten ausgelegten Ateliers hatten eine Höhe von etwa 11 Metern. Thorak gelangte 1944 nicht nur auf Hitlers sog. "Gottbegnadeten-Liste", sondern auch auf die Sonderliste der zwölf wichtigsten „unersetzlichen“ bildenden Künstler.

Memory Gaps erinnerte im Februar 2016 daran und empfahl seither laufend, anstelle von Josef Thorak künftig in Salzburg an Helene Taussig zu erinnern. 80 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland (März 1938) möchten die Salzburger Vertreter von ÖVP und SPÖ nun (Stand 27. Januar 2018, Holocaust-Gedenktag) die Thorak-Straße beibehalten und sich wie vielerorts mit lapidaren, erklärenden Zusatztafeln begnügen.

Dadurch wird vermutlich im Gedenkjahr 2018 und darüber hinaus - im gesamten deutschen Sprachraum - nur noch eine einzige Straße weiter nach dem Lieblingsbildhauer Hitlers benannt bleiben.

Ehrungen von Persönlichkeiten, die Kommunen durch die Benennung von Straßen oder Plätzen kundtun, meinen immer den gesamten Menschen. Helene Taussig, Künstlerin und NS-Opfer, scheint diese Ehrung vorerst nicht zuteil zu werden. Während Josef Thorak also (vermutlich) bleibt, bleibt Helene Taussig (vermutlich weiter fast vergessen).

Dominik Schmidt

Zur aktuellen Ausstellung der digitalen Kunstinitiative Memory Gaps: "von Taussig - von Neuem"

Hier gelangen Sie zum (kostenlosen) Download des E-Books "Die braune Gegenwart", München/Wien 2017, in dem die digitale Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken von 2015 bis Herbst 2017 zusammenfassend enthalten ist, Formate: mobi (Kindle), epub und PDF (Umfang 70 S., mit 32 Abb.).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Memory Gaps

"Memory Gaps ::: Erinnerungslücken", die digitale Kunstinitiative, wurde von der Malerin Konstanze Sailer 2015 gegründet.

Memory Gaps

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