Eine politische Berichtigung und ihre Kosten

Hilblestraße in München Eine nach einem NS-Täter benannte Straße wird nach jahrelangen Diskussionen umbenannt. Der Boulevard spricht von hohen administrativen Kosten. Dabei handelt es sich um die Korrektur einer alten Fehlentscheidung

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Die Münchner Hilblestraße, benannt nach dem NS-Täter Friedrich Hilble
Die Münchner Hilblestraße, benannt nach dem NS-Täter Friedrich Hilble

Foto. Kritzolina/Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0

Friedrich Hilble war mehr als nur einer von vielen pflichtgetreuen Beamten der Stadt München während der 1930er-Jahre. Er trat durch nahezu uneingeschränkte Loyalität zum NS-Regime aus der Beamtenschaft hervor, indem er als Leiter des städtischen Wohlfahrtsamtes unter anderem die Sozialhilfe für zahlreiche Juden verweigerte. Unter penibelster Befolgung und Auslegung der NS-Gesetzgebung trug er direkt und indirekt zur Deportation jüdischer Mitbürger in Konzentrationslager bei – auch zahlreiche als sogenannte „Asoziale“ stigmatisierte, teils sozial bedürftige, teils politisch missliebige Personen wurden ins KZ-Dachau deportiert.

Fast zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, im Jahr 1956, gelangte Friedrich Hilble zu der Ehre, dass zu seinem Andenken eine Straße im Münchner Stadtteil Neuhausen benannt wurde. Im Jahr 2022 wird diese städtische Entscheidung nun revidiert. Der für Straßennamen verantwortliche Kommunalausschuss beschloss die Umbenennung der Hilblestraße. Künftige Namensgeberin wird eine jüdische Künstlerin und Opfer der NS-Diktatur: Maria-Luiko-Straße wird künftig auf den Straßenschilden zu lesen sein.

Ein Jahrzehnt des beständigen Bemühens, des Ingangsetzens von Diskussions- und Meinungsbildungsprozessen sowie die kontinuierliche mediale Begleitung des Themas führten zum Umdenken und schließlich zum Umbenennen. Am 2. Februar wird, sofern die Covid-Maßnahmen es nicht verhindern, der Münchner Stadtrat mit seinem formalen Beschluss eine 66 Jahre alte Fehlentscheidung korrigieren.

Kosten: Adresswechsel ohne Umzug

Im relativ dicht verbauten Stadtgebiet betrifft die Umbenennung der Hilblestraße etwa 1.800 Privatpersonen und 150 Gewerbebetriebe. Es dauerte nicht lange, bis der Boulevard in diesem Kontext nur eine einzige Nachricht publizierte: die Kosten für die Änderung des Straßennamens auf Drucksorten, Firmenregistern und vielfältigsten Dokumenten der Privatpersonen und Firmen. Es kämen einige Hunderttausend Euro an Entschädigungen zusammen, welche die Stadt an die Betroffenen Privatpersonen, Firmen und sonstigen Eigentümer zu zahlen hätte. Für die Leserinnen und Leser des Boulevards blieben somit kaum andere Lesarten übrig als: was für ein überflüssiges Unding in Zeiten wie diesen.

Einige Hunderttausend Euro sind kein geringer Betrag, umgerechnet auf jede Münchnerin und jeden Münchner jedoch nur einige Cent. Gewiss, auch der administrative Aufwand für jede Bewohnerin, jeden Bewohner und jedes Unternehmen ist beträchtlich. Festzuhalten ist jedoch: die Umkehrung von Ursache und Wirkung vonseiten des Boulevards ist nicht nur populistisch, sondern auch inhaltlich unzulässig. Es ist nicht die isolierte Entscheidung der Stadt München im Jahre 2022, die zu den Kosten führte. Die Straßenumbenennung ist die heutige Korrektur einer politischen Fehlentscheidung aus dem Jahr 1956, die nunmehr mit Kosten verbunden ist. Sie ist die kulturelle Korrektur eines kommunalpolitischen Fehlers, der 66 Jahre zurückliegt. Friedrich Hilble hätte niemals die kommunalpolitische Ehre zuteilwerden dürfen, dass eine Straße nach ihm benannt wird. Die heutige Entscheidung ist gleichzeitig auch eine Korrektur der politischen Versäumnisse, diese Umbenennung nicht eher vorgenommen zu haben. Eine Korrektur in den 60er- oder 70er-Jahren hätte aufgrund der Besiedlungsdichte vermutlich nur einen Bruchteil gekostet. Doch die politische Landschaft war damals bekanntlich eine völlig andere.

Historische kommunalpolitische Fehler und Versäumnisse zu korrigieren, ist eine kulturelle Notwendigkeit und kostet Geld, so wie die Reparaturen von mangelhaften Bauwerken im Nachhinein finanziellen Aufwand bedeuten. Die primäre Wertschöpfung entsteht jedoch aufgrund des Beitrags zum nachhaltigen, langfristigen positiven Image der Stadt München. Positives kulturpolitisches Image bedeutet Umwegrentabilität, unter anderem im Tourismus. Die zu tragenden Kosten könnten daher, anstatt als Geldverschwendung gegeißelt, auch als Wertschöpfung interpretiert werden.

Beibehaltung versus Umbenennung

Die Benennungen von Straßennamen werden auch im 21. Jahrhundert weiterhin oftmals zu rasch und zu leichtfertig, vielfach ohne sorgfältige Recherche durchgeführt. Noch immer gibt es etwa in München-Bogenhausen Straßen, die nach Agnes Miegel und Ina Seidel benannt sind.

Gegen die Umbenennungen von den Täter- und Mitläufernamen zu Namen von Opfern des NS-Regimes werden vielfach Argumente angeführt, wie etwa jenes, dass schließlich auch die Täter ein Teil der Geschichte gewesen seien.'Doch Ehrungen, die von Kommunen ausgesprochen werden, seien es Ehrenbürgerschaften, Verdienstorden oder Benennungen von Straßen und Plätzen, meinen niemals nur isolierte Einzelleistungen auf bestimmten Gebieten, sondern stets den gesamten Menschen. Das Lebenswerk, die Lebensleistung und vor allem die Lebenshaltung. Und mit dieser auch das zu der jeweiligen Haltung führende Denken und Handeln. Sie meinen den Menschen als Vorbild für spätere Generationen. Demgemäß zählt die gängige Praxis von Straßenbenennungen zu den hinterfragenswerten Arten kommunaler Ehrungen.

Konstanze Sailer, Dominik Schmidt

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Memory Gaps

"Memory Gaps ::: Erinnerungslücken", die digitale Kunstinitiative, wurde von der Malerin Konstanze Sailer 2015 gegründet.

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