Der Anthroposoph und die Ethik

Steiners Erben Regeln des Zusammenlebens stehen der spirituellen Erleuchtung im Wege - Weg damit

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Dass vor 30 Jahren Ärzte und ihre Patienten noch ein anderes Verhältnis hatten, ist sicher kein Geheimnis. Der Arzt oder die Ärztin sagten was zu tun ist, sie wussten es besser, das war sozusagen ihre Profession. Ich kenne (bisher) keinen Arzt, der sich diese Verhältnisse wieder zurückwünscht und habe noch von keinem gehört, der sich mit etwas was er damals getan hat, brüstet, wenn es aus heutiger Sicht mindestens fragwürdig wäre.

Bis heute morgen. Da stieß ich auf die Website von Herrn Heinrich Brettschneider, der “Anthroposophische Medizin – Ganzheitliche Diagnose und Individuelle Therapie Naturheilkunde, Homöopathie und Schulmedizin” anbietet. Überschrieben ist seine Startseite mit “Mut zur Heilung“. Nachdem ich mich auf der Seite umgeschaut habe, fehlte mir jedoch schon der Mut zur Behandlung. Von der Kompetenz Rudolf Steiners in Fragen der Medizin mag ja jeder halten was er oder sie will aber wenn der Hausarzt des Vertrauens die Fehler seiner eigenen Lebensgeschichte (die jedem zugestanden seien) zu einem Erweckungserlebnis umdeutet, wird es vielleicht Zeit für einen Wechsel.

In seiner ersten Erweiterung zum Lebenslauf schreibt der “Geburtshelfer der Selbstheilungskräfte“:

Erst nach 2 Jahren klinischer Tätigkeit und der Approbation als Arzt erkannte ich die geistige Not, in die mich meine Entscheidung für das Medizinstudium gebracht hatte: Nichts rechtes wusste ich, um den Patienten zu helfen. Und sie nennt es immer noch “Therapie”, wenn ein Patient darauf angewiesen ist, bestimmte Medikamente für den Rest seines Lebens einzunehmen.

Soweit so gewöhnlich, ein junger Arzt kämpft mit der Realität (in der Medizin) und sucht nach der wahren Heilung, die doch mehr sein muss als eine jämmerliche Symptombekämpfung.

‘Die Abschaffung der Medizin!’. Ja, das hatte ich meinen Kollegen entgegengeschleudert (…)! Damals schienen mir die Chirurgie und das Fasten die einzig gangbaren Wege für den Arzt zu sein: Beide hatten das Weglassen gemein, bzw das Wegschneiden eines Organes oder Organteiles, doch dies immer nur, wenn es unvermeidlich ist. Die Selbstheilungskräfte sind beim Fasten und in der Chirurgie die Hauptsache: Wenn ein gebrochener Arm gegipst, genagelt oder verschraubt, oder eine Wunde vernäht wird, so ist das ja noch nicht die Heilung, sondern stellt nur die Bedingungen sicher, unter denen die Selbstheilungskräfte wirken können.

So sind sie, die Selbstheilungskräfte, wenn man nur genug nagelt, schraubt und vernäht, kommen sie schon heraus. Doch dieser Absatz war nur das Vorspiel, harmloses Geschreibsel eines Vertreter “integrativer Medizin“. Nicht der Rede und schon gar keinen eigenen Blog Wert. Doch was folgt ist Gold in der 30. Potenz:

Einige Monate später ging meine Chefin auf den Weltkongress für Chirurgie und ließ mir nicht nur die ganze Station, sondern vor allem eine etwa 45 jährige Mutter von 4 Kindern zurück, die von einem Lastwagen erfasst worden war und eine offene Oberschenkelfraktur hatte. Solche offenen Knochenverletzungen sind lebensgefährlich und werden üblicherweise antibiotisch behandelt. Als aber das Fieber nicht sinken wollte, fragte ich den ältesten der Gynäkologen, die im Nachbar-OP operierten, was ich machen soll, denn den Internisten traute ich nicht. Dieser ältere Gynäkologe antwortete: “Spritzen Sie Argentum in der 30. Potenz!”. Da frohlockte ich: Argentum ist Silber und das ungiftigste aller Metalle, und in der 30. Potenz ist weniger drin als Nichts! “Weniger als Nichts” geben, das war´s, wonach ich gesucht hatte!

Also strackste ich los auf die Station und füllte heimlich Argentum D30 ( also in der 30. Potenz) statt des Antibiotikums in die tägliche Spritze, die wie immer von der ahnungslosen Stationsschwester gegeben wurde.

An diesem Tag ging erstmals seit Wochen das Fieber herunter! Das war, als hätte ich bisher in einem Gewächshaus gelebt und jemand hätte nun einen Stein durch die Scheibe geschmissen! Natürlich war klar, dass Fiebersenkung noch keine Heilung ist. Aber es ist die Wirksamkeit von “weniger als Nichts”! Das Fieber kam wie zu erwarten am nächsten Tag zurück, wurde aber erneut durch Argentum D30 gesenkt. Da brauchte ich keine Statistik, sondern ich kündigte, denn nun hatte ich gefunden, was ich die ganze Zeit gesucht hatte: Das Heilen mit “weniger als Nichts”!

Ja, so kennen wir sie, die jungen wilden Heiler. Ein beeindruckendes Erlebnis reicht aus, um von diesem Zeitpunkt an nur noch das eigene Handeln bestätigt zu sehen, anstatt nach einer alternativen Erklärung zu suchen, als “weniger als nichts” habe das Fieber gesenkt. Vielleicht ist man einfach zu beschäftigt, von der eigenen Brillanz beeindruckt und seinem Mut gerührt zu sein, um in Erwägung zu ziehen, das Fieber könne durch Medikamente verursacht sein (wenn das, über “Wochen” unbemerkt, auch sehr peinlich wäre). Verstärkt in der Bestätigung durch vielfältige kognitive Mechanismen, zu deren Überwindung man unter anderem (mindestens) eine “Statistik braucht“, macht sich unser junger wilder Heiler in die Welt und…gebiert Selbstheilungskräfte.

In der ersten Praxis, die ich nun vertretungsweise leitete, bis mein Kurs für Anthroposophische Medizin an der Lukas-Klinik in Arlesheim/Schweiz beginnen sollte, hatte ich vor allem die Bergleute aus dem Braunkohle-Tagebau in Alsfeld bei Aachen zu behandeln, also Schwerstarbeiter ohne jeden “weltanschaulichen Hintergrund”. Damit will ich sagen: Die Leute hatten keine Ahnung, dass das, was ich vorhatte, etwas ganz anderes war als was ihr gewohnter Hausarzt tat, den ich zu vertreten hatte. Als ein noch sehr junger Arbeiter mit einer chronischen Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung) in die Sprechstunde kam, erinnerte ich mich des Argentum D30 und gab ihm eine probatorische Injektion davon. Am nächsten Tag nach seinem Befinden gefragt, antwortete der junge Mann mit der Frage: “Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass ich nach der Spritze nicht mehr Fahrrad fahren soll?” – Ich war perplex: Was meinte er? “nun ja”, fuhr er fort, als er sah, dass ich verwirrt war: “ich konnte auf einmal das Gleichgewicht nicht mehr halten”.

Potzblitz. Sowas ist mir auch noch nicht untergekommen, dass jemand beim Anblick einer Spritze (“kleiner Piekser”) oder den Gedanken daran mit Schwindel reagiert hätte. Nur das Zauberwasser kann den “jungen Schwerstarbeiter” so aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Und was lernen wir daraus?

Mit dieser Erweiterung meines Lebenslaufes möchte ich darauf hinweisen, dass man nicht an die Homöopathie glauben muss, damit sie wirkt, weder als Patient, noch als Arzt. Im Gegenteil: Haustiere, Kleinkinder und Schwerstarbeiter sind allzeit die besten Patienten, was die Empfänglichkeit betrifft, und die schlechtesten Patienten sind alte fanatische Jungfern, Heipraktiker und Ärzte! Man muss auch nicht ewig warten, bis endlich die Wirkung eintritt, sie kann, wie die Erzählung zeigt, innerhalb von Sekunden auftreten.

Mir gefällt am besten die Reihe “Haustiere, Kleinkinder und Schwerstarbeiter“.

Aber man muss sorgfältig unterscheiden zwischen Wirkung und Heilung: Die Wirkung ist ein beachtlicher, aber kurzfristiger Effekt; die Heilung dagegen ist ein Geschenk der Götter . . .

Richtig, Heilung schenken nur die Götter in Weiß von Steiners Gnaden.

[Nachtrag:

In letzter Zeit habe ich das eine oder andere zur Anthroposophie gelesen und den Eindruck bekommen, dabei gehe es vor allem um eins, den Anthroposophen. Ich mag mich täuschen, doch Aussagen wie die Folgende hinterlassen das Gefühl, nicht das Gegenüber steht im Vordergrund sondern, im guten Fall, die eigene spirituelle oder karmische oder was auch immer Entwicklung und im schlechten Fall "die Sache":

"Was wollte diese Schilderung?
Nicht Hürden und Ängste sollten damit aufgebaut werden, sondern das Gegenteil, es sollte nachvollziehbar gemacht werden, dass es keineswegs erforderlich ist, schon ein Eingeweihter zu sein, bevor man überhaupt beginnen kann, die Welt neu zu sehen. Zunächst genügt es, die Fragen in der Seele zu erwecken, die den Menschen zu seiner eigenen Wesenheit führen. Wenn das geschieht, was auch für mein Leben ausschlaggebend war, dann entsteht daraus das Vertrauen in die Ziele und Wege der Anthroposophie und einer Lebenspraxis, die auf eine geistige Sicht des Menschen und des menschlichen Organismus zielt."]

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Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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