Der Bart steht vor der Drüse

Prävention Der Community-Chef ist nun teil den medizinisch industriellen Komplexes

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Der Bart steht vor der Drüse

Foto: JJK

Im Rahmen von Movember lässt JJk sich einen Schnurrbart wachsen oder soetwas in der Art. Mit der Aktion soll, wenn ich das richtige verstanden habe, Aufmerksamkeit für die Prostata-Krebs-Forschung geschaffen werden und für Männergesundheit: Gut so. Männer gelten im allgemeinen als Bevölkerungsgruppe, die ihre körperliche und wahrscheinlich auch geistige Integrität eher vernachlässigen als der Teil der Bevölkerung mit zwei X-Chromosomen (die meisten davon Frauen). Somit kann es nicht schaden, die Herren der Schöpfung ein wenig zu schulen ihre Aufmerksamkeit dahin zu lenken, wo viele eher genannt sind: Untenrum auf die Rückseite.

Doch das ist nur die halbe Geschichte. Oder etwas weniger. Denn beim Thema Prostatakrebs konnte man in den letzten Jahren zum wiederholten Male sehen, wie sich eine weitere große Hoffnung in der Behandlung von Krebs in Rauch aufgelöst hat, oft genug Rauch vom Kauterisierer. Als man merkte, dass viele Krebserarten eine höhere Tendenz zur Heilung hatten, je früher man sie therapiert, wurde versucht, durch Früherkennungsprogramme den Zeitpunkt der Entdeckung möglichst weit vorzuverlegen. Eine der größten Entdeckungen dabei war wohl der "Lead-Time-Bias". Das bedeutet, jemand, bei dem man einen Krebs mit 50 Jahren entdeckt, überlebt (zum Beispiel) 5 Jahre länger als derjenige bei dem man den Krebs mit 55 Jahren entdeckt. Dummerweise sterben beide im gleichen Alter.

Beim Prostata-Krebs kommt hinzu, dass es sich oft um einen Tumor handelt, der niemals lebensbedrohlich wird, weil er sehr langsam wächst. Ein weiteres Problem ist, dass bei einem Verdacht auf Prostatakrebs im Rahmen eines Screenings weitere Untersuchungen unternommen werden müssen, die selbst Risikoreich sind. Es kann also passieren, dass man nach einer Untersuchung wie einer Biospie Schäden davon trägt, obwohl man keinen Krebs hat und gesund ist ... oder war.

Aus diesem Grund wurde in den USA vor kurzem entschieden, auf den Screening-Test von PSA, dem Prostataspezifischen Antigen zu verzichten. Das heißt jedoch nicht, dass der PSA-Test nicht sinnvoll ist oder sein kann. Um das zu erklären muss man ein wenig mit Zahlen spielen.

Angenommen, ein Screening-Test erkennt von 100 Kranken 95, dann ist seine Sensitivität 95%.

Ein weiterer Wert beschreibt die Tatsache, dass eine Test von 100 Gesunden 99 als gesund erkennt. Das nennt man Spezifität und die läge im oben genannten Fall bei 99%.

Wenn ich diesen Test bei 100 000 Menschen nutze, von denen ich weiß, dass 100 die Erkrankung haben nach der ich suche, bekomme ich folgende Zahlen:

Von den 100 Kranken erkennt mein Test 95 richtig als Krank und sagt 5 sie seien gesund.

Von den 100 000* Gesunden werden 99 000 als gesund erkannt, jedoch 1000 als krank obwohl sie gesund sind.

Am Ende hat mein Test mir 1095 Menschen als Krank ausgewiesen, von denen 95 wirklich erkrankt sind. Um diese 95 zu finden muss ich weitere Tests machen, die genauer sind als der Screening-Test, meist haben sie jedoch auch höhere Risiken. Nun ist die Frage, wie viele von den wirklich erkrankten (95) profitieren von einer frühen Therapie und wie viele von den eigentlich Gesunden (1000) nehmen Schaden.

Der jetzt beschriebene Fall stellt ungezieltes Screening dar, so als wenn jeder Mann ab einem bestimmten Alter einen PSA-Test bekommt. Im Moment sieht es so aus, als würden mehr Menschen von den eigentlich Gesunden geschädigt, als das erkrankte vom Test profitieren. Deswegen muss man an den Zahlen drehen.

Angenommen mit dem von JJK gesammelten Geld findet man heraus, Faktor X, Y und Z erhöhen das Risiko erkrankt zu sein, so dass von einer Gruppe von 100 000 Menschen mit diesen Faktoren 1000 erkrankt sind, dann verändert sich das Ergebnis wie folgt:

Von 1000 Kranken werden 950 als krank erkannt.

Von den 100 000* Gesungen werden 1000 als krank erkannt.

Anstatt 95/1000 habe ich nun 950/1000 und das kann die Risiko/Nutzen-Rechnung wieder vollkommen ändern.

Das sind noch nicht alle Stellschrauben, an denen man drehen kann, um möglichst wenige Menschen unnötig riskanten Prozeduren zu unterziehen. Eine weitere wäre, schon in einem frühen Stadium herauszufinden, ob ein Tumor einem Menschen einmal gefährlich werden wird oder man ihn ignorieren kann.

Um all das zu erfahren ist Forschung unerlässlich. Dem einen oder anderen kommt vielleicht das Buch von Ben Goldacre in den Sinn, in dem er beschreibt, wie Hersteller von Medikamenten alles daran setzen, ihre Medikamente im positiven Licht erscheinen zu lassen und so Patienten schaden. Hier habe ich die Hoffnung, Aktionen wie Movember können den Druck auf die Unternehmen erhöhen, transparent und ethisch zu forschen. Noch besser wäre es, den Universitäten durch die Bereitstellung von Mitteln Luft zum atmen zu geben und sie weniger abhängig von Drittmitteln aus der Industrie zu machen. Meine Hoffnung wäre, dass jemand, der sich mühsam um einen Schnurbart bemüht und ein anderer, der dafür gespendet hat, es sich nicht gefallen lässt, wenn die daraus aquirierten Mitttel für schlechte Forschung ausgegeben werden.

Es wird sich nur etwas ändern, wenn politisch Druck ausgeübt wird und bevor das geschieht, muss ein Bewusstsein geschaffen werden, Movember könnte daran Anteil haben.

Sollte es sich bei Movember um eine von gierigen Urologen und mächtigen Pharmakartellen unterwanderte Aktion handeln, könnte sie für diese langfristig nach hinten losgehen.

*ich ziehe der Einfacheit halber die 100/1000 Kranken nicht ab, weil das am Erbebnis nichts Substantielles ändert und das Rechnen erleichtert.

[Heute ist Lazy-Sunday, ich habe den Text nicht nochmal gelesen, wenn ich noch Lust habe gehe ich Rechtschreibfehler und überflüssige oder fehlende Satzzeichen suchen.]

Hier noch einige Links zum Thema, auch die wegen Lazy-Sunday nicht eingepflegt:

http://www.sciencebasedmedicine.org/index.php/prostate-cancer-dilemmas-to-test-or-not-to-test-to-cut-or-not-to-cut/

http://www.healthnewsreview.org/2011/10/the-doctor-decided-id-have-a-psa-test-without-consulting-me/

How to Counsel a Patient on Prostate Cancer Screening in 5 Minutes: http://www.clinicalcorrelations.org/?p=3738

http://ardentatheist.com/feeds/ardent.xml

http://ardentatheist.com/episode-90/

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Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

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